Hart aber fair stellt die Frage: „Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?“ Frank Plasberg musste diesen Montagabend allerdings statt wie gewohnt um 21:00 Uhr schon um 20:15 Uhr mit seinen Gästen am roten Tresen stehen. Grund dafür war eine der Sendung vorgeschaltete Dokumentation mit dem Titel „Heimatland“. Hier wurde filmisch der Frage nachgegangen, was „Heimat“ heute noch bedeutet, welche Menschen dafür stehen und welche nicht. Was die Zuschauer dann allerdings zu sehen bekamen, war eine Sendung, die für all das steht, was immer mehr Deutsche nicht mehr sehen können, weshalb sie auch zügig umschalten, wegschalten, ausschalten.
Eine Dokumentation, die viele Anwürfe bestätigt, weshalb das öffentlich-rechtliche Fernsehen so unerträglich geworden ist, wenn zuerst ganz scheinheilig der spießige Deutsche am Grill vorgeführt wird und am Ende doch wieder alles im imaginären Naziland angekommen ist, wenn Heimatland doch nur AfD-Land ist, wenn die vermeintliche Nazi-Hochburg Anklam als Hort eines hochkontaminierten Heimatgefühls vorgeführt wird, wenn in einem Wort das deutsche Fernsehen so fremd erscheint, als hätte man sich versehentlich via Sat-Schüssel in irgendeinen Propaganda-Gaga-Sender eingewählt, wenn die Sprache zwar noch wörtlich verständlich ist, aber das Gesagte schon klingt wie vom anderen Stern.
Wenn es um Heimat geht, dann steht hier tatsächlich ein Verlust von Heimat an erster Stelle, dann nämlich, wenn diese öffentlich-rechtlichen Sender für immer mehr Zuschauer keine Heimat mehr sind. Wenn Fernsehen zwar noch per Zwangsgebühren finanziert wird, aber das Gefühl immer stärker wird, dass damit das Fernsehen anderer Menschen mit augenscheinlich anderen Interessen bezahlt wird, ohne schon zu wissen, wer diese anderen eigentlich sind und wie viele.
Die ihrer Fernsehheimat so verlustig gegangenen Bürger wissen allerdings, dass sie selbst immer mehr werden. Sie wissen, dass sie, wenn sie mit Freunden und Bekannten sprechen, die sie noch aus der Zeit vor 2015 kennen, dass dann immer öfter die gleichen Sätze zu hören sind: „Ich sehe das mittlerweile auch deutlich kritischer.“ oder „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so denken könnte.“
Eigentlich ist es auch ganz einfach, sich über eine Reihe merkwürdiger Befindlichkeiten mit dem Begriff „Heimat“ hinwegzusetzen und sie so zu definieren, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Nun mag da bei jedem etwas anderes herauskommen, aber authentisch klingt das beispielsweise so: Heimat sind die Leute und weniger das Land, Heimat ist die Sprache und Kultur und weniger die Landschaft oder der Wald. Heimat bedeutet zuerst im Deutschen zu Hause zu sein und dann erst in Deutschland.
So gesehen ist Heimat nicht zwingend an einen Ort gebunden, aber es kann noch einmal schöner sein, auch dort zu leben, wo schon die Eltern und Großeltern gelebt haben, wo ihre Erzählungen physisch greifbar werden, wo diese Erzählungen dadurch lebendig bleiben, dass sie nicht nur weitererzählt, sondern kontinuierlich ergänzt werden von jeder neuen Generation mit ihren eigenen Erzählungen.
Und wenn nun diese Heimat so etwas Schönes ist, warum sollte sie nicht abgegrenzt werden gegen alles vermeintlich Hässliche. Heimat ist schützenswert. Besonders dann, wenn sie Begehrlichkeiten weckt bei jenen, deren Heimat ihnen weniger schön geraten ist. So werden dann eben sporadisch oder dauerhaft Grenzen und Zäune aufgestellt und nur bestimmte Einlassmöglichkeiten geschaffen, welche die Sicherheit im Inneren weiter garantieren können.
Fangen wir mit Idil Baydar an. Sie ist eine türkischstämmige Kabarettistin, die mal freiwillig und noch öfter unfreiwillig vorführt und aufführt, wie verschieden Menschen und Kulturen sind und wie schwer es bisweilen ist, sich von der Kultur und Sozialisation eines türkischstämmigen Elternhauses zu lösen und gerne im Deutschen anzukommen. Man kann es hier so unverblümt sagen, weil es viele Deutsche im Alltag selbst schon erlebt haben, wenn die emanzipierte türkischstämmige Mutter aus der Kita, dem Kindergarten oder der Grundschule immer eine Spur zu laut ist, immer etwas über dem Punkt, immer zu schnell zu aufgeregt, die sich immer sofort angegriffen fühlt, die von einer Sekunde zur anderen von intensiver Zuneigung in kalte Ablehnung wechseln kann, wenn sie sich nicht verstanden fühlt, die immer so schlecht den Eindruck verbergen kann, dass es ihr nur um sich selbst und ihre Kinder geht. Ja, das Geschrei kann laut werden über so gemeine Klischees, aber ja, diese Klischee funktionieren, sie werden von vielen sofort verstanden und wiedererkannt.
Nikolaus Blome von der Bild-Zeitung soll eine der konservativen Stimmen des Abends sein, also ist er das häufigste Angriffsziel der unangenehm lauten wie nervigen Baydar. Blome hat seine liebe Mühe, obwohl er die laufenden Unterbrechungen und Herablassungen der Gegenüber eigentlich von Jakob Augstein gewöhnt sein sollte, mit dem er gerade das zweite Gesprächsbuch veröffentlicht und das er bei Plasberg so schlecht verkauft hat, dass er nach der Sendung sicher Schimpfe vom bösen Jakob bekommt, aber noch prügelt Idil Baydar auf ihn ein.
Details ersparen wir uns, wenn es um solche Befindlichkeiten geht, wie man nun Migranten oder ihre Nachfahren richtig ansprechen, was man sie fragen darf, soll und was nicht. Es nervt einfach nur noch. Es ist kompliziert, es ist aber eigentlich auch völlig gleich, weil jede Forderung, jede Zurechtweisung immer nur noch frecher wirkt von einer, die mit ihrem Bühnenprogramm offensichtlich gut davon lebt, dass es diese Integrationskluft gibt, die aber als hier Geborene verlangt, das diese Defizite nun als Teil unserer neuen deutschen Kultur gelten sollen.
Nein, man kann und will das im Wortlaut alles gar nicht aufschreiben. Selbst eine Katrin Göring-Eckardt scheint mittlerweile erkannt zu haben, von woher die Wählergunst weht, wenn sie sich verkaufen will als liebes ostdeutsches Mädchen, das im Alter irgendwie heimatverliebter geworden ist, und den Zuschauern dann den Unterschied erklären will zwischen Thüringer Rost- und der gewöhnlichen Grillbratwurst und sich dabei auch noch ungeschickt die Finger verbrennt. Frauen am Grill halt, die dem Grillmeister erklären wollen, es sei ein Rost.
Lassen wir weg, was noch alles erzählt wurde, was nicht hängen geblieben ist und kommen wir noch einmal zur Eingangsfrage zurück: „Heimat Deutschland – nur für Deutsche oder offen für alle?“
Die Frage ist falsch gestellt: Natürlich ist Deutschland Heimat der Deutschen, so wie Italien das der Italiener ist. Die Frage muss aber doch heißen, wie offen das Deutsche sein will für Fremde. Denn dieses Deutschsein ist die Eintrittskarte zur Heimat Deutschland.
Unterschieden wurde in der Dokumentation wie in der anschließenden Diskussionsrunde zwischen den Leuten, die vorgeben, überall zu Hause zu sein, und jenen, die mit ihrem Geburtsort verbunden sind (eine Heimat haben). Diese beiden Gruppen müsse man nur zusammen bringen, dass wäre die schwierige Aufgabe eines neuen Deutschlands als Heimat für alle.
Aber was für ein Quatsch ist das eigentlich? Eine verkomplizierende Umetikettierung eines altbekannten Problems, wenn die Gräben eben nicht zwischen zwei Haltungen verlaufen, sondern wie eh und je zwischen alt und jung.
Heimat heißt eben auch, als junger Mensch neugierig auf Fremdes die Heimat zu verlassen, in die Welt zu ziehen um irgendwann mit neuen Eindrücken und Ideen zurück zu kehren um diese Ideen ins Altbekannte zu etablieren, die Heimat zu bereichern und so selbst alt zu werden. Und zu schauen, wie wieder die eigenen Kinder als junge Erwachsene die Welt für sich entdecken mit einem Heimatgefühl im Rucksack, dass immer greifbar ist, wenn sie die Sehnsucht nach Heimat irgendwann in selbige zurückführt wie den Aal in die Sargassosee. So war es doch schon immer, was gibt es da eigentlich so aufgeregt zu diskutieren?