Tichys Einblick
Worthülsen und Ratlosigkeit

Hart aber Fair: Die rassistischen Narrative und das Mysterium Wähler

Was will der Wähler bloß? Warum nur wählt er AfD? Wer das Offensichtliche nicht wahrnehmen will und nicht zuhören kann, muss rätselraten – und langweilt die Zuschauer mit hundertmal recycelten Plattitüden.

Screenprint: WDR / Hart aber Fair

Als Frau bin ich es gewohnt, ständig für ein Mysterium gehalten zu werden, das interessiert beobachtet und studiert wird. Viele Männer haben längst die Hoffnung aufgegeben, meinesgleichen auch nur annähernd zu verstehen, und so sehen sie sich als Amateurforscher des weiblichen Verhaltens.

Voller Faszination wird dann zur Kenntnis genommen und zu den Akten getragen, dass ich seltsamerweise auch beim 146.365.782sten Mal nicht gut auf das reagiere, worauf ich schon die 146.365.781 Male davor nicht hocherfreut reagiert habe: Es ist doch zum Beispiel völlig klar, dass ein Kompliment für mein Kleid eigentlich eine verdeckte Beleidigung ist, eine unterschwellige Kritik an meinem Gewicht, oder nicht? Ich fühle mich deshalb grob missverstanden!

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Doch gestern Abend ist mir etwas aufgefallen. Es gibt neben Frauen ein weiteres unergründliches Urmysterium, das sie Menschheit wohl niemals verstehen wird – und das ist der Wähler. Nach der Brandenburg-Wahl am Wochenende ist natürlich klar, dass Louis Klamroth am Montagabend ganz viel Redebedarf hat. „Nach den Wahlen: Wie zerrissen ist die Republik?“, will er mit seinen sechs Gästen ergründen, als ob er das nicht schon 146.365.783 Mal gemacht hat. Wenn er bei Luisa auch immer so gut zuhört, wird das mit den beiden auf Dauer nichts.

Die sechs Gäste sind so unglaublich typisch für Hart aber Fair ausgewählt, Sie könnten wahrscheinlich die Hälfte erraten. Es geht um den mysteriösen Ossi-Wähler auf dem Land und dann auch noch um Brandenburg – natürlich darf Juli Zeh nicht fehlen. Dann haben wir Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende des Bündnisses, das ihren Namen trägt. Die Front auf der einen Seite des Studios wird komplett durch Phillip Amthor, Bundestagsabgeordneter der CDU, vielleicht die einzige Halbüberraschung im Podium, aber auch nur, weil ich seine Existenz vergessen hatte.

Auf der anderen Seite sitzt Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär – mit Juli Zeh die zweite SPD-Repräsentation in der Runde. Daneben die Soziologin und Autorin Katharina Warda; und da Hart aber Fair sonst nicht hart aber fair wäre, kommt auch noch die Fleischereifachverkäuferin Doreen Lorsch dazu, als Stimme aus dem normalen Volk.

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Man hätte aus dieser Sendung vieles machen können. Ein Trinkspiel zum Beispiel, wenn einem der Restalkohol am nächsten Morgen nichts ausmacht. Jedes Mal ein Shot, wenn Louis Klamroth über Sahra Wagenknecht sagt: „An ihr führt kein Weg mehr dran vorbei“, oder noch besser: Jedes Mal wenn die Soziologin Katharina Warda „rassistische Narrative“ sagt. Selbst Klamroth stellte irgendwann verzweifelt fest: „Ich hab jetzt fünf Mal zu oft das Wort Narrativ gehört.“

Was will der Wähler? Es ist doch wirklich seltsam. Wie weit ist die Menschheit gekommen, vor allem im letzen Jahrhundert. Medizinische, technische Wunder, so viele tolle Erkenntnisse, aber der Endgegner ist der ostdeutsche Wähler aus ’nem brandenburgischen Kaff, der aus unergründlichen Gründen die AfD wählt. Und dann hocken sie alle zusammen.

Sahra Wagenknecht steht dann plötzlich als Schlangenflüsterin da, weil sie so etwas sagt wie, dass man eben mal auf die Sorgen der Bürger hören müsse. Juli Zeh wird, was immer sehr erheiternd ist, im Internet von Konservativen als Konservative aufgefasst, weil sie ab und zu anmerkt, dass Parteien wie die Grünen die Bürger zu sehr in ihrer Privatsphäre gängeln.

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Währenddessen hocken Phillip Amthor und Kevin Kühnert da, zicken sich gegenseitig an und versuchen auf peinlich offensichtlichste Politikerart, sich bei der Fleischereifachverkäuferin einzuschleimen, weil sie sich davon ein paar Stimmen erhoffen. Wie viele Sendungen wie diese in den letzten Jahren gedreht wurden! Wobei, weit braucht man gar nicht zurückgehen: Bereits in den letzten Monaten hat Hart aber Fair die Überschrift dieser Sendung mindestens dreimal recycelt.

Wie viele Journalisten, Soziologen und andere Talkshow-Tingler bauen ihre ganze Daseinsberechtigung darauf auf, in Sendungen wie diese zu kommen und darüber zu philosophieren, was der Wähler denn jetzt wohl komisches, exotisches gewollt haben könnte. Und sie haben es allen ernstes immer noch nicht raus? Ich könnte Ihnen ja die ganzen seltsamen Zitate aus der Sendung präsentieren, aber da würde ich mich der Leserbeleidigung schuldig machen, weil Sie das alles schon hundertmal gelesen haben.

Insofern ist der unergründliche Wähler, der auch trotz so vieler ihm gewidmeter Sendungen immer noch nicht zufrieden ist, ein noch größeres Phänomen unserer Zeit als die Frau. Er reagiert nicht mit „Willst du etwa sagen, ich wäre fett?“, er wählt die AfD, obwohl man ihm gesagt hat, dass er das lassen soll. Und bis heute haben die Experten nicht herausgefunden, wieso.

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