Frank Plasberg diskutiert heute bei „Hart aber fair“ das Thema „Hartz gleich arm – geht diese Rechnung auf?“ Zunächst könnte man denken, leicht zu beantworten, denn bei diesem Thema sind zwei Wahrheiten erlaubt. Hier darf man sich gefahrlos positionieren: Mehr Geld für Bedürftige hilft den Bedürftigen. Logisch. Und auf der anderen Seite dann jene, die hart arbeiten und mehr verdienen sollten, als jemand, der nicht arbeitet. Auch richtig.
Nur wie nun beiden Seiten gerecht werden, ist die große Frage. Die Linke hat die einfachste Idee für beide Seiten: Mehr Geld für Bedürftige und einen höheren Mindestlohn für den Arbeitenden, damit der Abstand gewahrt bliebt. Aber wer bezahlt die Zeche? Klar, die Kosten der Masseneinwanderung haben gezeigt, Geld scheint im Überfluss da zu sein: Aber warum wurden die Tresore erst nach 2015 geöffnet?
Plasbergs Redaktion hat das Thema wohl auch deshalb ausgewählt, weil der neue Gesundheitsminister Jens Spahn meinte, sich zum Thema äußern zu müssen, als er erklärte, „Hartz IV bedeutet nicht Armut“. Nun beauftragt die große Koalition regelmäßig einen Armutsbericht, es wäre also ein Leichtes für Spahn gewesen, Zahlen zu vergleichen. Hat er? Der Bericht erzählt, dass wenige Kinder in Deutschland unter erheblichen materiellen Entbehrungen leiden würden. Allerdings gäbe es für viele einen „beschränkte(n) Zugang zu einem durchschnittlichen Lebensstandard.“ Also eine Interpretationsfrage?
Diese unklaren Befunde decken sich übrigens mit der durchaus gespaltenen Haltung der Bevölkerung in dieser Debatte: „In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid für den FOCUS sind 45 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass die Hartz-IV-Sätze zu niedrig sind. 40 Prozent gehen davon aus, dass die Leistungen „zur Deckung des materiellen Grundbedarfs“ angemessen sind.“
Sandra Schlensog gehört wohl zu jenen, die Armut denken, wenn sie Hartz IV hören. Sie ist bei Plasberg zu Gast als Hartz IV-Bezieherin und Initiatorin einer Onlinepetition, die sich kritisch mit den besagten Aussagen von Jens Spahn auseinandersetzt. Sina Trinkwalder ist Gründerin der ökosozialen Textilfirma „manomama“ – sie beschäftigt hauptsächlich auf dem Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen. Dafür gab es zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Mit dabei ist auch Michael Müller (SPD), der regierende Bürgermeister von Berlin. In seiner Stadt lebt heute eine sechsstellige Zahl von Flüchtlingen und Einwanderern, davon alleine über 15.000 Syrer auf Hartz-IV und über zehntausend geflüchtete Schüler und Schülerinnen in fast eintausend Willkommensklassen mit fast eintausend Lehrkräften (2016). Flüchtlinge in Berlin unterzubringen, zu versorgen und zu integrieren, kostet aktuell knapp eine Milliarde Euro pro Jahr. Das entspricht in etwa den Kosten für alle Berliner Hochschulen zusammen und ist deutlich mehr, als der gesamte Etat des Kultursenators. Wie wird Müller bei Plasberg über eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze denken? Wie denkt er überhaupt über Armut in einer Stadt, die nicht nur Armut kennt, sondern auch viele ihrer Begleiterscheinungen wie Betteln, Obdachlosigkeit in großer Zahl, Hoffnungslosigkeit, Bildungsferne und Gewalt, wenn durchschnittlich jeden Tag sieben Messerangriffe stattfinden?
Hans-Werner Sinn ist der Ökonom in der Runde und als solcher geladen. Mal hören, auf welche Seite er sich in der Debatte schlagen wird. Die CDU schickte den Bundestagsabgeordneten Alexander Krauß ins Studio. Er ist Bundesvorstand der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA). Wird er lohntechnisch auf Abstand seiner Klientel zum Hartz IV Satz pochen?
Und wo ist eigentlich Sahra Wagenknecht? Nicht da. Ebenso wenig, wie Thilo Sarrazin. Warum der? Viele werden es vergessen haben, aber bevor sich Deutschland abgeschafft hat, lebte Sarrazin vorübergehend auf Hartz IV Niveau.
Zumindest so lange, bis er meinte nachweisen zu können, dass sein Hartz-IV-Speiseplan der Beleg sei, dass Hartz IV nicht arm bedeutet, jedenfalls nicht, wenn man so haushalten würde, wie er es den Ärmsten vorgelebt hatte. „Man kann sich vom Transfereinkommen vollständig, gesund und wertstoffreich ernähren“, so sein Fazit. Aber damals wollte niemand mit Sarrazin Bratwurst für 38 Cent essen mit 150 Gramm Sauerkraut für 12 Cent und Kartoffelbrei für 25 Cent plus Gewürze und Öl für 20 Cent.
Also los geht’s vorerst ohne Armuts-Bratwurst auf Schweinefleischbasis nur mit je einem Glas Wasser für die Gäste.
Jens Spahn darf aus dem Einspieler heraus den Kick-Off geben: „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unser Solidargemeinschaft auf Armut.“ Sandra Schlensog antwortet als erste: „Es ist zu wenig und gehört neu berechnet.“ Zumal auch noch das Kindergeld angerechnet werden und so Kinderarmut gefördert würde. Schlensog hat viele Jahre gearbeitet, aber kommt einfach nicht unter im Arbeitsmarkt. Aber ein „Ausruhen auf Hartz IV“ erlebt sie nicht in ihrem täglichen Leben. Frank Plasberg sagt, er möchte nicht erleben, bei jeder Ausgabe nachdenken zu müssen. Aber wie merkwürdig weltfremd ist das eigentlich? Um dieses Gefühl kennen zu lernen, muss man nicht auf Hartz IV sein, da reicht es schon zu einem normalen Einkommen drei oder mehr Kinder zu haben und einen Elternteil, der die Betreuung der Kinder übernommen hat – also wenn man kein ÖR-Moderator ist, sondern Normalverdiener.
Hans-Werner Sinn räumt erst einmal die Falschbehauptung Plasbergs aus dem Weg, es gäbe in der Runde außer Frau Schlensog niemanden in der Runde, der Armut kennen würde. Sinn schon, er verweist auf die Entbehrungen der Nachkriegszeit, von denen auch er als Kind betroffen war: „Das Leben war extrem hart.“ Er sieht aus dieser Erfahrung heraus schon Armut vorliegen bei Frau Schlensog. Aber er versteht auch Herrn Spahn, der in den Zeitungen nur fragmentarisch wiedergegeben wurde.
Die Runde ist sich einig, dass es zuvorderst darum geht, Arbeit zu finden für die Menschen. Gut, aber das ist eine Ausweichbewegung. Denn damit will man sich nicht eingestehen, dass es nicht nur hunderttausende Einwanderer gibt, für die einfach keine Job zur Verfügung steht, weil diese zum einen nicht vorhanden sind und zum anderen die elementarsten Voraussetzungen fehlen. Nein, man will sich hier nicht eingestehen, dass es in der Gesellschaft immer Menschen geben wird, die dem Arbeitsmarkt aus welchen Gründen auch immer niemals zur Verfügung stehen werden. Sinn liegt falsch, wenn er davon ausgeht, dass jeder Mensch in Arbeit zu bringen ist. Was er meint, ist eine Art von Beschäftigung, die man schwerlich Arbeit nennen kann. Und es hat auch nichts mit dem Bohème-Leben zu tun, welches beispielsweise der Spiegel-Kolumnist Sascho Lobo noch 2006 in seinem prädestinierten Lebensmodell „Wir nennen es Arbeit“ abfeierte.
Der Berliner Bürgermeister weiß viel über die Sorgen seiner Bürger. Seine Stadt hingegen geht den Bach runter. Täglich neue Katastrophenmeldungen aus Berlin. Der Sozialdemokrat mag ein großes Herz haben. Ein Verwalter ist er nicht. Wäre er ein Hartz IV Empfänger, gehörte er, so wie er sich hier vorstellt, sicher zu denen, die weniger gut mit dem Hartz IV-Satz zurecht kämen. Ist hier seine Empathie begründet? Mitgefühl? Und tatsächlich hat er noch die Chuzpe, Schröders Hartz IV zu verteidigen als Job-Maschine.
Hans-Werner Sinn weiß, warum Schröders Agenda funktioniert hat: Schröder hat Geschäftsmodelle attraktiv gemacht, die vorher undenkbar waren, z.B. dank Aufstockung. Sinn unterscheidet zwischen Lohn- und Einkommensspreizung. Aber da wird es zu schwierig für den gemeinen Zuschauer.
Sina Trinkwalder findet, über eine Bombe sei noch nicht gesprochen worden. Wer nun denkt, sie spricht die Massenzuwanderung an, irrt. Sie meint jene, die keine Jobs mehr bekommen ab 45, selbst nach Jahrzehnten der Arbeit nach einem Jahr kein Arbeitslosengeld I mehr bekämen und bei Hartz IV landen würden. Also eine Bombe neben der Bombe, neben der Bombe, neben der …
Zwischendurch muss die Frage erlaubt sein, warum immer dann, wenn Hartz IV Empfänger öffentlich auftreten – eine weitere Dame kommt noch zu Wort – warum das so oft Alleinerziehende sind. Fast so, als gäbe es den Familienvater nicht, der nach langjähriger Arbeit keinen Weg mehr weiß, die Familie durchzubringen. Dessen Frau zu Hause die Kinder versorgt hat und das Pech hatte, diese nach 1992 geboren zu haben, also nicht einmal in den schmalen Genuss der so hoch gelobten Mütterrente kommen wird, einfach nur deshalb, weil die Große Koalition es für undenkbar hielt, so ein antiquiertes Modell noch für Mütter von solchen Spätgeburten zu unterstützen.
„Mir geht es psychisch viel besser, ich bin aufgeblüht.“, berichtet die Alleinerziehende, die nun halbtags arbeitet. Ja, das sei ihr gegönnt. Aber gerne würde man bei solchen ja fröhlich stimmenden Bekenntnissen auch den oder die Väter des Kindes/ der Kinder hören, die ja, wenn alles gut läuft, einen gehörigen Teil monatlich beizusteuern haben. Wenn dann die Mutter sagt, sie habe gelernt mit Geld umzugehen, dann könnten da auch nach wie vor die Subventionen der Väter helfen, die nun zusätzlich noch schauen müssen, wie sie ihre neue Familie ernähren.
„Armut heißt nicht, dass man verhungert, sondern dass man nicht am öffentlichen und sozialen Leben teilhaben kann.“, schreibt ein Zuschauer in der Zuschauerrunde. Ein weiterer Zuschauer berichtet, er versuche seine Tochter davon abzubringen, ihren Niedriglohnjob zu kündigen, weil sie sich ausgerechnet hat, dass sie mit Hartz IV und ein bisschen Schwarzarbeit besser über die Runden käme. Der Berliner Bürgermeister soll helfen, sagt Plasberg schmunzelnd. Müller möchte der Frau eine echte Perspektive mit einer sinnvollen Tätigkeit geben. „Und das können Aufgaben im kommunalen Unternehmen sein.“
Das empört nun wieder Alexander Krauß von der CDU: „Aber wenn sie eine regulär bezahlte Arbeit hat, ist das doch dreimal besser.“ Wir könnten uns doch freuen, wenn Menschen in Arbeit sind. Und hier wird dann exemplarisch klar, wo das eigentliche Problem liegt: Der Berliner Stadtruinierer ist verliebt in die Idee staatlicher Subventionierung lebenslang und der visionslose Christdemokrat aus dem Erzgebirge erinnert sich nur daran, dass Arbeitsplätze in produktiven Unternehmen auch nicht das Schlechteste sind. Hebamme trifft auf Hausgeburt. Und die Hebamme ist gut drauf. Schmunzelt. Während die Hausgeburt angestrengter schaut.
Und dann darf Michael Müller zum Ende der Sendung noch das solidarische Grundeinkommen vorstellen. Der Bürgermeister mit der sozialdemokratischen „Leuchtturmidee“ für die Errettung der untergehenden SPD. Nein, nicht jeder soll es bekommen, sondern neue Schulhausmeister und neue Fußballtrainer, stellt Plasberg diese Ein-Euro-Jobs-de-Luxe im Einspieler vor. Müller gibt Beispiele aus seiner Stadt. Am Nachmittag eine AG betreuen, „das sind doch sinnvolle Tätigkeiten für die Gemeinschaft.“ Und ausgerechnet hier kommt ihm Alexander Krauß zur Hilfe. Der findet das gut! Aber ein Hausmeister soll dann doch vernünftig bezahlt werden und nicht ersetzt durch solche neuen Maßnahmen. Da könne man doch so was wie Hilfshausmeister einstellen.
Und in dem Moment kommt dem Autor hier die viel bessere Idee: Wenn schon so ein Hilfssheriff-Modell, warum dann nicht jedem Politiker einen Hilfspolitiker an die Seite stellen? Schaut man in die sozialen Medien, dann gibt es doch Millionen von Deutschen, die meinen, es Kommentar für Kommentar besser zu können. Dann sollen sie doch diesen Armutsverwaltern und Ideeschmieden mal hautnah zeigen, wie sie es besser machen würden: Mit in der weich gepolsterten Limousine sitzen und auch mal eine Rede im Bundestag übernehmen: Einfach den Buzzer drücken, wenn es was Besseres zu sagen gäbe. Also nur mal so als noch eine weitere alberne Idee.
Und die Probleme und Kosten der Massenzuwanderung? Kamen nicht einmal zu Wort. Die gibt es offensichtlich überhaupt nicht. Reiches Deutschland. Armes Deutschland.