Tichys Einblick
Bei Hart aber Fair

Für die Ampel soll die FDP ihr Staatsverständnis überdenken – Klimaschutz bedeute Freiheit

Im Öffentlich-Rechtlichen ist man für die feierliche Ampel-Trauung bereit. Nur die inhaltlichen Differenzen stören noch - sie wird man aber schnell überwinden können. Schließlich können Einschränkungen auch liberal sein. Irgendwie.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Bei „Hart aber Fair“ begrüßt Frank Plasberg am Montagabend zahlreiches Publikum – der Moderator freut sich merklich über ein fast volles Studio. „Die Zukunft sondieren: Gelingt den Parteien ein Aufbruch?“, fragt der Titel der Sendung. Der 88-jährige FDP-Linksausleger Gerhart Baum und der junge Grünen-Politiker Felix Banaszak diskutieren im Studio mit der Unternehmerin Sarna Röser, dem WELT-Autor Robin Alexander und der TAZ-Journalistin Ulrike Herrmann. Wie ist ihre Einschätzung zu den Gesprächen, die die Parteien miteinander führen – zum „politischen Speeddating“, wie Plasberg es nennt?

„Der große Senior der FDP“, wie Baum vorgestellt wird, ist schonmal ein Ampel-Enthusiast. FDP und Grüne hätten eine besondere Verantwortung für die Zukunft, weil sie gemeinsam die junge Generation vertreten würden, meint der ehemalige Innenminister. Die Union sei nicht gesprächsfähig – und Grün-Gelb ein gutes Bündnis. Denn es zeige, dass die FDP sich zu ihren alten Millieus des Linksliberalismus öffne. Die Euphorie beim „großen Senior“, seine Partei endlich wieder nach links zu rücken, ist greifbar.

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Da springt ihm auch Ulrike Herrmann bei. Die TAZ-Journalistin verortete die FDP bisher rechts von der Union – in einer bösen rechten „Todeszone“, wie sie das nennt. Jetzt könne sich die Partei von Rot-Grün nach links ziehen lassen. Auch der NRW-Vorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, ist begeistert von der Ampel. So begeistert, dass er für die FDP sogar direkt schonmal einen neuen Freiheitsbegriff definiert, auf den man sich einigen könnte: einen, der individuelle Freiheit einschränkt, um „das Klima“ und damit die angeblich bedrohte Freiheit künftiger Generationen zu schützen.

Selbst die Bundesvorsitzende des Verbandes „Junger Unternehmer“, Sarna Röser, trommelt für die Ampel. Sie sei eine „Chance für die Zukunft“. Dass Röser jedoch vor allem von der FDP begeistert ist, merkt man schnell: Diese „Chance“ bestehe aus der FDP, die Wirtschaftskompetenz und Effizienz in eine neue Regierung bringen werde – und den Grünen, die Klimapolitik „auch besetzen“. Die Grünen als kleiner Mitläufer dabei und eine FDP, die den Kurs vorgibt: Das sind wohl eher Wunschträume – die sich am Ende aber trotzdem nahtlos an die ersten rund 20 Minuten der Sendung anschließen, in denen fast das gesamte Panel regelrecht versucht, die Ampel herbeizutalken.

Dann kommt Robin Alexander zu Wort – und grätscht erstmal voll in die sich hier schon anbahnende „Zitrus“-Hochzeit hinein. „Diesen ganzen grün-gelben Werbeblock – den sollte man vergessen, der stimmt so nicht.“ Alexander gegen vier, die die FDP am liebsten links von den Grünen koalitionsfähig machen wollen – eine Aufgabe, die sich der Welt-Journalist angriffslustig zur Brust nimmt. Auch das Gerede, FDP und Grüne seien gemeinsame Vertreter der jungen Generation, sei Unsinn. Den jungen Leuten, die FDP gewählt haben, gingen vor allem „ihre rot-grünen Lehrer, die rot-grünen Medien und diese ganze Fridays-For-Future-Beschallung auf die Ketten“, ordnet Alexander das Ganze ein. Trotzdem glaubt er an eine Ampel – Scholz‘ pragmatischer Ansatz, das Ganze ohne pathetisches Gerede von gemeinsamen Visionen „eine Etage tiefer einzufliegen“, sei erfolgversprechend.

Heute Abend ist Alexander auf Krawall gebürstet – und sprengt die sich in der Runde schon fest etablierte „Zitrus“-Romantik. Eigentlich hätten die Grünen auf ein Bündnis mit der CDU gepokert, meint der Journalist – da stimmt ihm seine Kollegin von der TAZ zu. Wie sie meint, habe die Union dies aber unmöglich gemacht – sie sei jetzt zu schwach, weil sie Markus Söder nicht aufgestellt habe. „Zum Glück“, meint Baum – Applaus im Studio. Immerhin: Weder Gäste noch Zuschauer scheinen Söder zu mögen.

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Der „große FDP-Senior“ stellt aber auch klar: Die Unterschiede zwischen Grünen und FDP seien immer noch groß. Ulrike Herrmann zeigt sich davon aber unbeirrt: Die FDP müsse (oder werde) für die Ampel einfach ein völlig neues Staatsverständnis entwickeln. Die Liberalen sollen „jede Subvention mitnehmen“: Der neue Liberalismus ist für die gelenkte Klimawirtschaft. „Warum denn nicht?“, fragt Baum – schnell beteuert die TAZ-Frau, dass sie da auch überhaupt nicht gegen wäre. Plötzlich halluziniert Baum von Einigkeit zwischen Grünen und FDP, beispielsweise beim Bürokratieabbau. Er erinnert sich an seine aktive Zeit als Verhandler – Brandt und Scheel wären nach schwierigen Anfängen auch zusammengekommen. Zack: Die Zitrusbesoffenheit ist wieder in der Runde. Banaszak sieht schon Mehrheiten für Grundgesetzänderungen, Baum will gemeinsam mit den Grünen das Internet von „Hass“ säubern und die „Querdenker“ bekämpfen – es fehlen schon wieder eigentlich nur Altar und Brautkleid, sonst würden die Anwesenden die Trauung zwischen einer völlig auf links gedrehten FDP und den Grünen direkt im Studio durchführen.

Da schaltet sich wieder Robin Alexander ein, der Opas Erzählstunde mit der Realität gegencheckt. „Ich glaube, dass diese historische Analogie zur sozialliberalen Koalition komplett in die Irre führt.“ Damals habe man nach der verstockten Adenauer-Zeit einen Aufbruch gestaltet – heute sei das Land bereits durchliberalisiert. Und auch Umverteilung sei nichts, was man neu beginnen könne: „Angela Merkel hat doch die letzten 8 Jahre Verteilungspolitik gemacht!“ Der historische Auftrag einer sozialliberalen Koalition – Umverteilung und Liberalisierung – sei unter Merkel doch längst schon verfolgt worden, meint Alexander. In den letzen Jahren sei doch schon längst linksgrüne Politik gelaufen, meint der Welt-Journalist: Aufbruch dahin, wo man schon sei, gestalte sich schwierig. Die Fragen seien heute andere: „Heute steht zur Debatte: „Kriegen wir Schulunterricht hin? Kriegen wir in Berlin Wahlen durchgeführt?“

Für den Zuschauer ist Alexander erfrischend – das linke Publikum treibt er derart zur Weißglut, dass sein Name noch während der Sendung auf Twitter trendet. Am Ende ist er aber eben doch auf verlorenem Posten – denn für den Rest der Runde ist der Weg in die Plan- und Lenkgesellschaft schon beschlossene Sache. Die FDP soll endgültig nach links kentern – Freiheit ist Klimaschutz, Einschränkungen sind Individualismus. Der Zitrus-Traum hat bei „Hart aber Fair“ Hochkonjunktur – nur die Realität stört noch.

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