Tichys Einblick
Hart aber Fair vom Montagabend

Alles neu – Alles wie gehabt …

„Wut, Proteste, neue Parteien: Wer hält unser Land noch zusammen?“, fragt Louis Klamroth. Die Antwort, so kurz, so knapp: Hart aber Fair ist es sicher nicht. Und auch nicht die Bundesregierung. Von Michael Plog

Screenprint: ARD / Hart aber fair

Alles neu bei Hart aber Fair. Neues Sendekonzept: Mehr Zuschauereinbindung, weniger Journalisten. Weniger Phrasensportler und Profi-Profilneurotiker aus der Liga der zweitklassigen Politik-Leute. Klamroth holt stattdessen die Hälfte der Gäste einzeln aus dem Publikum. Und er hat jetzt auch zwei Pulte. So sitzen sich Berufspolitiker und vermeintliche „Normalbürger“ gegenüber; sie können ihre Argumente direkt austauschen und sich konfrontieren. Eigentlich keine schlechte Idee.

Das Problem: Es fehlen die wirklich kritischen Gäste auf der Zuschauer-Seite, Leute mit Haaren auf den Zähnen. Stattdessen wird man das Gefühl nicht los, dass auch diese „Normalbürger“ sorgsam ausgewählt und ausgiebig gecastet worden sind.

Da wäre zunächst Zuhra Visnjic, eine Frieseurmeisterin mit eigenem Salon. Sie kann nachts nicht schlafen, sagt: „Mein Friseursalon ist mein Baby. Ich habe Angst, dass es bis Ende des Jahres nicht mehr existiert. Ich mache mir Sorgen um unsere Kinder. Was soll aus denen werden, wenn das so weitergeht mit der Politik?“

Klare Worte. Harte Worte? Nicht hart genug. SPD-Mann Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, an den sich Visnjic anfangs direkt wendet, speist sie mit den üblichen Politiker-Phrasen ab. Die wirtschaftliche Lage sei besser als die Stimmung, sagt er allen Ernstes. Er lobpreist die hohe Zahl der Erwerbstätigen im Allgemeinen (gähn), spricht von Respekt für die Dame im Besonderen (stöhn). Lobt ihren Mut, einen Frisiersalon zu gründen (schnarch). Es trieft. Mit anderen Worten: Er kann mit der Friseurin Ü-BER-HAUPT nichts anfangen. Visnjic sagt resigniert: „Ich hab’ Sie (sie meint die SPD) gewählt, aber ich hab’ das Gefühl, Sie kümmern sich nicht.“

Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat erkennbar Mühe, sich als Politiker mit dem Verstand eines Prenzlauerbergbewohners auf das Niveau einer stinknormalen Unternehmerin einzulassen. „Wir wollen das Bürgergeld in der Form wieder abschaffen“, sagt er, und nicht nur der Zuschauer fragt sich, was genau das jetzt eigentlich mit der Lebenssituation der Friseurmeisterin zu tun haben könnte. Und Zuhra Visnjic stellt ihm genau diese Frage. Doch eine Antwort bleibt Linnemann schuldig. Und SPD-Mann Schneider keilt ihm zu allem Überfluss auch noch in die Seite: Bürgergeld? „Es ist noch kein Jahr her, da haben Sie doch selbst zugestimmt?!“ Linnemann kommt ins Stottern. „Jaja, wegen Sanktionen“, faselt er und „ich will jetzt hier nicht ins Klein-Klein.“ Der in Ehren ergrünte Christdemokrat ist demontiert. Immerhin etwas.

Klamroth lässt per Einspieler vorrechnen, dass Familien mit niedrigen Einkommen künftig trotz Steuerermäßigung satt draufzahlen müssen, während gutsituierte Familien sogar entlastet werden. Oha, das könnte ein heißes weiteres Thema sein. Doch SPD-Schneider streitet die Sachlage kurzerhand ab und behauptet das Gegenteil. Niemand hakt nach, niemand macht ein Fass auf. Willkommen in der intellektuellen No-Go-Area. Weich, aber sinnlos, statt hart, aber fair. Auch später kommt der Irrationalsozialist Schneider mit einigen äußerst kühnen Aussagen ungestraft vom Hof. Deutschland habe dieses Jahr erstmals mehr als 50 Prozent seines Energiebedarfs mit erneuerbaren Energien erzeugt, behauptet er. Ach ja? Und das Klimageld gebe es nur deshalb nicht, weil: „Wir haben einfach kein Geld mehr.“ Das sagt er, wohlwissend, dass der Bund Rekordeinnahmen von rund eintausend (!) Milliarden verbucht. Und trotzdem mit der ganzen Kohle immer noch nicht auskommt. Radwege in Peru und indische Mondraketen sind eben einfach schweineteuer.

Linnemann haut noch ein paar Floskeln raus, lobt sich auch ungeniert selbst: „Ich sage hier jetzt mal ganz mutig“, zum Beispiel. Was er sagt? Egal. Wenn man ihm so zuhört, hat man den dringenden Wunsch, dass Hart aber Fair den linken der beiden Debattiertresen – jenen mit den Politikern – künftig gleich ganz weglassen möge. „Wir bürokratisieren uns hier in diesem Land zu Tode“, sagt Linnemann noch. Schon wieder so ein Satz. Nie gehört, seit mindestens 20 Jahren. Außer dauernd. Aber geändert hat sich nichts. Genau mit solchen Sätzen verdienen sie ihr Geld. Steuergeld.

Zu den Bauernprotesten bringt Klamroth einen Einspieler mit erstaunlich vielen kritischen Stimmen zur Regierung. Kein Wunder, dem ÖRR gehen offenbar die Fake-Zufallspassanten aus, die man vor der Kamera präsentieren kann und die sich im Nachhinein regelmäßig als Mitarbeiter der Regierungsparteien (oder des eigenen Senders!) entpuppen.

Beim Umgang mit Sahra Wagenknecht verfällt Klamroth indes wieder in alte Muster. Er will ihr prekäre Bekenntnisse zu Viktor Orbán entlocken, sie aufs Glatteis führen, aber die Altkommunistin ist einfach zu schlau für ihn. Er bemängelt, sie fordere einen besseren Umgang miteinander, würde aber zugleich die Regierung als die dümmste aller Zeiten bezeichnen. Wie das denn wohl zusammenpasse. Die Antwort, und diese Kröte muss auch Klamroth schlucken, ist ganz einfach: Es ist eine Tatsache! Deutschland hat momentan die schlechteste, die dümmste Regierung aller Zeiten.

Die regierungsgesteuerten Großdemonstrationen gegen Rechts-Nazi-Rechts-AfD-Deportationen-Wannsee-Rechts-Nazi der vergangenen Tage nehmen in der Sendung erstaunlich wenig Raum ein. Zudem wird hier seltsam leichtgewichtet. Aktivistin Maria Fichte hat im sächsischen Freiberg (42.000 Einwohner) rund 1.000 auf die Straße gebracht. Toll! Lobt Klamroth. Dass regierungskritische Bündnisse, die nicht im Gleichschritt laufen, regelmäßig ein Mehrfaches mobilisieren, kommt in der Sendung selbstverständlich nicht vor. Dafür ein Soziologe mit verträumtem Blick: Nils Kumkar. Ein atmendes Sinnbild für die Absurdität des deutschen Universitätskomplexes. Menschen, die Phrasenwissenschaften bis zum Erbrechen beherrschen. Zum Erbrechen des Zuschauers.

Ach ja, zum Schluss darf Genosse Schneider noch die These raushauen, die AfD wolle Menschen ausweisen, „die einfach eine falsche Hautfarbe haben“. Völlig unbelegt, völlig unwidersprochen. Wir lernen: Alles neu bei Hart aber Fair. Und trotzdem alles wie gehabt.

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