Tichys Einblick
Mehr Vertrauen in die US-Verfassung

Harris oder Trump? Nur keine Panik! – Hart aber Fair über den US-Wahlkampf

Während Luisa Neubauer in Pennsylvania als Wahlhelferin herumtingelt, erörtert ihr Freund Louis Klamroth, ob Trump eine Gefahr für die Demokratie sei. Was seine Gäste Strack-Zimmermann und Lafontaine dazu qualifiziert, über den US-Wahlkampf zu sprechen, bleibt im Dunkeln, und die wirklich spannenden Fragen werden nicht einmal angerissen.

Screenprint: ARD / hart aber fair

Vorgestern und etwa 6500 Kilometer von Deutschland entfernt klingelte eine Kommilitonin von mir, eine Göttinger Studentin, an Hunderten amerikanischen Haustüren. Den zur Tür eilenden Hausbewohnern stand dann aber nicht etwa eine Abgesandte der Zeugen Jehovas gegenüber. Nein, das nicht, sehr wohl aber dennoch eine Sektenvertreterin. Hunderte Bürger des US-Bundesstaates Pennsylvania kamen am Sonntag zu dem unverhofften Vergnügen, sich mit Luisa Neubauer, dem deutschen Gesicht von Fridays for Future, ein paar Minuten lang über die Formalitäten der US-Präsidentschaftswahl zu unterhalten. Dabei fällt mir auf: Wie nennt man das eigentlich, wenn Europäer den Bewohnern fremder Kontinente deren eigene Kultur erklären? Ist das nicht eigentlich Neokolonialismus?

Aber lassen wir das. Luisa Neubauer jedenfalls ist seit mehreren Wochen schon in den USA unterwegs. Und vorgestern war sie es auf den Straßen Pennsylvanias – schließlich gilt der Bundesstaat im Nordosten der USA als potenziell ausschlaggebend für den Ausgang der heutigen Präsidentschaftswahlen. Neubauer war dabei eine jener unzähligen Freiwilligen, die mit Bussen aus den urbanen Zentren in die zwar provinziellen, aber gleichwohl wahlentscheidenden Wahlkreise gekarrt werden und dort von Tür zu Tür ziehen – nicht, um die Wahlentscheidung aktiv in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen, sondern um indifferente Wähler und die jeweils eigenen Anhänger zum Wählen zu motivieren und sie über solche Dinge wie das nächstgelegene Wahllokal aufzuklären.

Angst vor Manipulation:
Donnergrollen an den US-Wahlurnen
Auf X hat sie die persönlichen Erfahrungen dieses Tages schriftlich festgehalten. Besonders empört hätten sie, wie sie dort schreibt, „die Gespräche mit Menschen, die offensichtlich wohlständig sind, mit 4-6 Autos in den Einfahrten, Aufsitzrasenmäher auf riesigen Rasenflächen, großen Häusern und die sich ganz offensichtlich nicht für die Wahl interessieren. Die nachfragen, warum Pennsylvania nochmal wichtig ist, oder mit ‚I don’t like either of them‘ abwinken, Menschen, die augenscheinlich von einer boomenden Wirtschaft profitieren, die jede Möglichkeit haben, sich zu informieren & sich ganz offensichtlich dagegen entscheiden.“

Luisa Neubauer ist also – und das ist das eigentlich Bemerkenswerte an ihrer über dieses Zitat hinausgehenden Einlassung – in erster Linie nicht über die festgelegten Trump-Wähler, sondern vor allem über die politisch abseitigen, die unpolitischen Amerikaner unglücklich. Denn, so ihre Logik, bei einer Wahl, bei der es um nicht weniger als den Kampf Demokratie versus Faschismus gehe, könne niemand einfach desinteressiert und unbeteiligt bleiben. Dabei ist es, wie Stefan Zweig es einmal formuliert hat, schwieriger, „in politischen Zeiten außen und unabhängig zu bleiben als Partei zu nehmen“. Aber Ideologen und Fanatikern waren zu allen Zeiten vor allem die Freien und Unabhängigen und nicht die Anhänger anderer politischen Glaubensrichtungen suspekt. Die von Neubauer verurteilten Unentschiedenen und Unparteiischen haben mit ihrem demonstrativen Desinteresse aber vollkommen recht.

Die schädliche Dämonisierung des politischen Gegners

Denn indem Leute wie Luisa Neubauer jemanden wie Donald Trump zu einem Faschisten und die Präsidentschaftswahl zu einem Referendum über die Fortexistenz der Demokratie in Amerika stilisieren, zeigen sie nicht nur ihr historisches Unwissen darüber, was Faschismus bedeutet, sondern sprechen Trump – was weitaus verhängnisvoller ist – eine geradezu dämonische und zerstörerische Macht zu, die mit seinen realen Einflussmöglichkeiten als Präsident nichts zu tun hat. Und auch die politische Gegenseite bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm, wenn sie Kamala Harris fortwährend mal als Linksradikale, mal als Kommunistin bezeichnet und bei ihrem Wahlsieg ebenfalls den Untergang von Demokratie und Rechtsstaat am Horizont heraufziehen sieht.

Beiden Seiten kann man da nur dringend weniger Hysterie und rhetorische Abrüstung empfehlen und nahelegen, sich einmal ein Vorbild an den unpolitischen Menschen in den USA zu nehmen. Denn ihre zur Schau gestellte Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem US-amerikanischen Polittheater bringt auch eine wohltuende Gelassenheit und ein wissendes Vertrauen in die Stärke und Stabilität der amerikanischen Verfassung und der aus ihr hervorgehenden demokratischen Ordnung zum Ausdruck, die ansonsten weitgehend verloren zu sein scheint. Denn was sagt es im Kern eigentlich aus, wenn man ernsthaft behauptet, dass solche Gestalten wie Trump oder Harris quasi im Alleingang in der Lage seien, die Demokratie in den USA abzuschaffen?

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Letztlich behauptet man damit immer auch, dass die US-Verfassung zu schwach und nicht in der Lage sei, mit diesen tatsächlichen oder vermeintlichen Herausforderungen klar zu kommen. Statt sich weiter rhetorisch zu radikalisieren, wäre es ratsam, wenn sich sowohl Demokraten als auch Republikaner zumindest darauf verständigen könnten, dass die Demokratie mit keinem der beiden Kandidaten dem Untergang geweiht ist. Der Grund dafür liegt in einer in der amerikanischen Verfassung festgelegten ausgeklügelten Gewaltenteilung, die diktatorische Bestrebungen per se verunmöglicht.

John Jay, Alexander Hamilton und James Madison – allesamt Mitunterzeichner der Verfassung – haben dieses System der Checks and Balances in den Federalist Papers, ihrer berühmten Streitschrift für die neue Verfassung, 1787 folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „vor Usurpationen schützt eine Aufteilung der Regierung in deutlich voneinander getrennte Gewalten. In der zusammengesetzten Republik von Amerika ist die vom Volk übertragene Macht zunächst zwischen zwei separaten Regierungen aufgeteilt, und dann ist der jeder von ihnen zugeteilte Anteil noch einmal auf separate Gewalten aufgeteilt. So erwächst den Rechten des Volkes eine doppelte Sicherheit. Die verschiedenen Regierungen kontrollieren sich wechselseitig, und zugleich wird jede von ihnen durch sich selbst kontrolliert.“

Und an anderer Stelle schreiben sie auf ihre unnachahmliche Art und Weise: „Es mag ein Ausdruck des Mangels der menschlichen Natur sein, dass solche Kniffe notwendig sein sollen, um den Missbrauch der Regierungsgewalt in Schranken zu halten. Aber was ist die Tatsache, dass Menschen eine Regierung brauchen, selbst anderes als der deutlichste Ausdruck des Mangels der menschlichen Natur? Wenn die Menschen Engel wären, wäre keine Regierung notwendig. Wenn Engel die Menschen regierten, wären weder äußere noch innere Kontrollen der Regierung notwendig.“

Die US-Verfassung sieht also nicht nur eine Gewaltenteilung zwischen, sondern sogar innerhalb der einzelnen Gewalten vor: Die Macht der Exekutive wird durch die Trennung von nationaler und bundesstaatlicher Regierung und die der Legislative durch die zwei Kammern Kongress und Senat geteilt. Vor dem Hintergrund dieser auf zuallererst auf Machtbeschränkung ausgerichteten institutionellen Rahmenbedingungen, ist es unverständlich, vom vermeintlich nahenden Ende der Demokratie in den USA zu sprechen.

Spekulation statt Information: Die gestrige Hart-aber-Fair-Sendung

Nicht unverständlich genug allerdings, dass nicht neben Luisa Neubauer auch ihr Freund Louis Klamroth das dringende Bedürfnis verspürt hätte, eben jenes Thema in seiner Sendung zu diskutieren. Wenn ich es mir bis hierher erlaubt habe, mit meinen Ausführungen die gestrige „Debatte“ bei Hart aber Fair möglichst weit zu umschiffen, so liegt das vor allem daran, dass es dort im Grunde nichts gab, auf das einzugehen mir lohnenswert erscheint. Weil ich es dennoch als meine Pflicht ansehe, Ihnen, liebe Leser, das leidige Anschauen der Sendung zu ersparen, indem ich sie Ihnen wenigstens in groben Zügen skizziere, will ich doch noch ein paar Worte darüber verlieren.

Nächstes Interview-Fiasko:
Kamala Harris floppt auch bei Fox News
Zunächst zu den Gästen: Bereits im Vorfeld, aber noch mehr nach der Sendung, habe ich mich gefragt, was das eigentlich sollte. Welche Kompetenzen und besonderen Erfahrungen qualifizieren Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Oskar Lafontaine (BSW) bitteschön für eine Diskussion des US-amerikanischen Wahlkampfes? Viel interessanter wäre doch gewesen, einmal in Erfahrung zu bringen, wie die künftige Kanzlerpartei CDU – die der Wahlausgang aus deutscher Perspektive ja vor allem betreffen wird – über Harris und Trump denkt. Stattdessen erfuhr man, dass Strack-Zimmermann, ihres Zeichens „Sexist Man Alive 2024“ (EMMA), für Harris ist, weil sie Trump für verrückt hält und dass Lafontaine aufgrund seines alles dominierenden Antiamerikanismus mit beiden nicht viel anfangen kann – womit er bezeichnenderweise für die Runde schon die größte Nähe zu Trump aufwies.

Erkenntnisgewinn gleich null. Apropos Erkenntnisgewinn: Auch nach Caren Miosga am Sonntag, der US-Doku von Ingo Zamperoni und Hart aber Fair gestern ist mir nach wie vor nicht recht klar, wofür Kamala Harris eigentlich konkret steht. Weiß das jemand? Und wenn ja, warum sagt es dann keiner? Viel mehr, als dass sie für das Recht auf Abtreibung eintritt, farbig und weiblich ist und nicht Donald Trump heißt, wurde zu ihren Gunsten nicht ins Feld geführt. Und auch Trumps Pläne, beispielsweise seine Haltung zum „ultrakonservativen Project 2025“ oder wie er die Wirtschaft wieder auf Kurs bringen und den Ukraine-Krieg binnen eines Tages beenden will, sind zumindest mir nicht klar.

Überhaupt kamen die politischen Inhalte der beiden Kandidaten fast überhaupt nicht zur Sprache. Louis Klamroth hat es allerdings immer wieder geschafft, das Gespräch auf metapolitische Themen zu lenken, wie etwa auf die Frage, ob Trump eine Gefahr für die Demokratie sei, oder auf völlig spekulative Fragen. So wurde minutenlang erörtert, ob Trump eine mögliche Wahlniederlage denn dieses Mal akzeptieren würde und welche Auswirkungen seine Wahl auf Deutschland und Europa haben könnte. All das steht noch in den Sternen. Sicher ist nur eines: Die amerikanische Demokratie wird sowohl Donald Trump als auch Kamala Harris überleben.

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