Was haben die Harald-Schmidt-Show und Kevin Kühnert gemeinsam? 20 Jahre lang gelaufen, aber nur mäßig erfolgreich. So witzelt Kult-Entertainer Harald Schmidt selbst über alte Erfolge. „Nur drei Jahre lief die ‚Harald Schmidt Show‘ im Fernsehen richtig gut“, sagt Schmidt. Aus unerfindlichen Gründen sei sie nie abgesetzt worden. Aber Kühnert verschwindet trotz Inkompetenz und überbordender Durchschnittlichkeit eben auch nicht.
Drei Stunden lang unterhält „Dirty Harry“ das Publikum in Dessau. Es ist Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen, die Brandenburg-Wahl ist nicht fern. Dennoch geht es nur in wenigen Momenten um Politik. Wenn Schmidt aber ansetzt, landet er einen Volltreffertreffer. Die Medien sind aus dem Häuschen.
Früher sorgte die heftige Zote für Aufregung. Heute reicht eine politische Tatsachenbeschreibung bereits für den Skandal. An Schmidt kann man sich halten, weil er ein Fossil ist, das bereits vor der Merkel-Ära existierte. Der Meinungskorridor hat sich seitdem verengt. Schmidt ist geblieben. Unter seinem Schutzschirm darf man lachen. Denn wer Schmidt angreift, der wird in den Boden gerammt. Das Bonmot, für Böhmermann habe es gerade noch zur Krawallschachtel gereicht, bleibt an dem ZDF-Comedyzwerg hängen. Was der Altmeister aufspießt, das bleibt filetiert.
Besonders hellhörig wird der Journalistenzirkus, wenn Schmidt auf das Thema AfD trifft. Erinnert sich noch jemand an das Foto von Matussek und Maaßen bei der Weltwoche? Nein? Schmidt hat auch hier seine Gegner ausmanövriert. Weil er den Medienzirkus besser kennt als die Statisten, die bei ihm mitlaufen, und das Programm für Realität halten. Schmidt kennt die Zirkusarena. Er steht aber immer einen Schritt abseits. Einerseits, weil er weiß, was Show, was Wirklichkeit ist. Andererseits weil er aufs Publikum achtet. Andere achten nur auf die Clowns.
So ist auch jede – spärlich gesetzte – Pointe an diesem Wahlsonntagabend gezielt gesetzt. Er weiß, wie man den Gegner provozieren kann, ohne sich selbst angreifbar zu machen. Seine freudige Parteinahme für das Apolitische ist eine Haltung, die irritiert, eben weil sie im Zeitalter der politischen Bekenntnisse haltungslos ist. Demonstrative Unaufgeregtheit im Angesicht des Grotesken ist zielgerichteter als beständige Aufgeregtheit. Wer sich aufregt, wer sich empört – der macht mit.
Schmidts Sprüche sind für das Medienkollektiv problematisch, weil er sie ohne Credo spricht. Die von den Medien zum Hollywoodstar zelebrierte Kamala Harris holt er auf die öde Fadheit eines Olaf Scholz runter. Nett lächeln, ins Publikum winken. Der Medienstar ist eine nichtssagende Mogelpackung. Schmidts Kunst der Dekonstruktion liegt in der Nonchalance, mit der er es tut. Ätzen mögen andere.
Bei Sahra Wagenknecht reicht es zur simplen Feststellung, dass sie die bessere Politikerin sei. Eben wie die Stabhochspringerin aus seiner Schulzeit. Die war eine bessere Sportlerin. Das ist das ganze Geheimnis des Wagenknechterfolgs.
Apropos Wagenknecht: Wie die Berliner Zeitung schon feststellte, ging es am Sonntag weniger um die Wahl als darum, wie diese zustande kam. Dabei geht es auch um den Konflikt mit Russland. Wenn US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert würden, dann würden dafür mit Sicherheit auch deutsche Ortskräfte gebraucht. „Den potenziellen deutschen Ortskräften gab er den Tipp, fleißig zu trainieren, um bei einer möglichen abrupten Abreise der Amerikaner, wie dies ja beispielhaft in Afghanistan geschehen war, ausreichend fit zu sein, um auf ein fliehendes Flugzeug aufspringen zu könne“, heißt es in der Berliner Zeitung.
Ist das schon Wahlwerbung für das BSW? Schmidt weiß, die Balance zu halten. Denn die Stelle, die durch die Medien geistert, handelt natürlich von der AfD. „Die Menschen haben Sehnsucht nach einer großen Koalition“, erklärte Schmidt in der Marienkirche. Um nach einer Kunstpause hinzuzufügen: Nach einer Koalition zwischen AfD und CDU.“
Es habe „schamhaftes Gelächter“ gegeben, heißt es übereinstimmend. Das muss man sich notieren: das Publikum weiß nicht, ob es über einen Witz eigentlich lachen darf – oder kann. Schmidt betreibt ein Stück weit ein Sozialexperiment. Er ist nicht das Kind, das auf den nackten Kaiser zeigt. Vielmehr testet er aus, ob es noch Kinder in der Menge gibt, die zu lachen wagen, wenn er auf das entblößte Gesäß des Monarchen draufklatscht. Das ist die eigentliche Pointe.