Hamed Abdel-Samad ist trotz seiner schonungslosen Kritik am Islam seit Jahren in den Medien präsent. Zu Beginn auch in den Mainstream-Medien – in Talkshows in Deutschland und Österreich, zum Zweier-Gespräch bei Frank A. Meyer und Peter Voß. Inzwischen ist er jedoch aus diesen Formaten fast gänzlich verschwunden, wurde nicht selten von Universitäten und anderen Institutionen wieder ausgeladen und steht unter ständigem Polizeischutz. Das Schicksal eines, der Klartext spricht.
Die Botschaften des Koran
Sein Deutsch ist heute perfekt, seine Sprache differenziert und überzeugend. Erst vor wenigen Tagen hat ihm NZZ-Standpunkte erfreulicherweise eine Plattform geboten. Das Gespräch mit Chefredakteur Eric Gujer und Politikphilosophin Katja Gentinetta ist ein Höhepunkt an Klarheit und Ausgereiftheit seiner Aussagen. Kein Satz ist überflüssig. Die anfangs noch scharfen Fragen von Eric Gujer versickern letztendlich ob der Stärke seiner Argumentation, die so scharfsinnig und konzise ist, dass ich die Darlegungen hier einmal zusammenfassten möchte, um dem Leser gegebenenfalls überzeugende Diskussionsargumente an die Hand zu geben.
Der Koran als letzte direkte Botschaft Allahs beinhaltet einen politischen Auftrag. Das Ziel ist eine Weltordnung, die sich allein nach den Gesetzen Allahs richtet, in einer Welt, die aufgeteilt ist in Gläubige und Ungläubige, Reine und Unreine. Letztere werden dämonisiert und „schlimmer als die Tiere“ angesehen – Affen und Schweine. Wenn sie eine so minderwertige Rolle in der Welt haben, liegt Gewalt gegen sie nicht mehr ganz fern: Es gibt 25 Tötungsbefehle im Koran, der gerne schön geredet wird, indem man nur die friedlichen Passagen zitiert. Hier zwei Beispiele:
Sure 9, Vers 5: „Sind aber die Schutzmonate abgelaufen, so erschlagt die Frevler, wo ihr sie findet, und packt sie und belagert sie und lauert ihnen in jedem Hinterhalt auf!“
Sure 47, Vers 4: „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt.“
Die Entwicklungsgeschichte Mohameds und seiner Bewegung
Wenn man die Lehre verstehen will, muss man über die Entwicklungsgeschichte ihres Propheten Bescheid wissen, die ein „Protokoll seiner Gemeinde-Bildung“ ist, erklärt Hamed Abdel-Samad. In den 13 Jahren, in denen Mohamed noch in Mekka wirkte, warb er für Friedfertigkeit und Verständigung, denn seine Gemeinde war noch klein und schutzlos und auf die Toleranz der anderen dort Lebenden angewiesen. Als er dann nach Medina ging, mit der wachsenden Zahl seiner Anhänger eine Armee gründete und anfing, von Kriegsbeute zu leben, veränderte sich die Sprache des Korans radikal. Nun offenbarte sich Allah als Krieger, der die Ungläubigen eigenhändig tötete und seine Anhänger aufforderte, ihr Leben für den Djihad aufzuopfern.
Nur diejenigen, die nicht gläubig sind, könnten den Koran heute als „Kind seiner Zeit“ sehen, sagt Abdel-Samad. Wer aber daran glaubt, dass es Gott ist, dessen Wille aus dem „Heiligen Buch“ spricht, braucht keinen Kontext. Für ihn ist Gott zeitlos. Sein Wort ist nicht an eine bestimmte Situation gebunden, sondern für alle Zeiten gültig und unveränderlich.
Islam – „Islamismus“
Als hätte er den Ausführungen nicht zugehört, stellt Chefredakteur Gujer die anscheinend unausrottbare Ansicht in den Raum, der Islam und der „Islamismus“ hätten nichts miteinander zu tun, seien zwei völlig verschiedene Dinge. Und bekommt natürlich die auch schon immer wieder ausgesprochene Antwort, der Islamismus sei nur eine konsequente Umsetzung dessen in die Tat, was im Koran stehe. „Der Islam ist mit diesem politischen Auftrag geboren„, sagt Abdel-Samad. Sein Geburtsfehler sei die Vermischung von Glauben, Politik, Wirtschaft und Gesetzgebung seit der ersten Stunde. Mohamed war Heerführer, Finanzminister, Prophet, Gesetzgeber und Polizei in einem. Der „Islamismus“ sei kein Missbrauch, sondern ein Gebrauch der Religion. „Es gibt keinen Islam und Islamismus. Es gibt nur einen Islam. Wer etwas anderes sagt, beleidigt den Islam“, wird Recep Tayyib Erdogan zitiert, der ja auch eine solch führende Position anstrebt.
Eric Gujer fährt fort, wieder stur all die Fragen zu stellen, deren wir schon lange überdrüssig sind, und auf die er anscheinend immer noch keine Antwort gefunden hat: Der Islamismus sei aber doch eine moderne politische Idee, entstanden an der Wende vom 19-ten zum 20-sten Jahrhundert als Reaktion auf die Begegnung der orientalischen Welt mit dem europäischen Imperialismus – und somit in der Jetztzeit angesiedelt. Hamed Abdel-Samad muss noch einmal wiederholen, was er gerade gesagt hat: Der „Islamismus“ sei so alt wie der Islam selber. Er habe zwar immer wieder sein Erscheinungsbild verändert, doch die Eckpunkte Djihad, Aufteilung in Gläubige und Ungläubige, Frauen als Dienerinnen und Sexsklavinnen sind Gebote des Islams seit seiner Geburtsstunde. Der Islam sei nach Aussage von Mohamed überdies die beste Gemeinschaft, die je für die Menschen hervorgebracht wurde. Daran sei nicht zu rütteln.
Überlegenheit versus Machtlosigkeit
Diese extreme Ausprägung hat sich in Wellen immer wieder erneuert. Es gab jedoch auch andere Zeiten, in denen diese Elemente nicht die Hauptrolle gespielt haben. Der Zeitraum zwischen dem 8-ten und dem 13-ten Jahrhundert war das Zeitalter des großen kulturellen Aufschwungs in der Philosophie, der Baukunst, der Medizin, in den Sprach- und Geschichtswissenschaften und Naturwissenschaften, der zu einer Blüte und zu einem Überlegenheitsgefühl in der islamischen Welt geführt hat.
Während der Kreuzzüge trafen die Kreuzfahrer auf eine Zivilisation, die der ihren kulturell überlegen war. Man trank Alkohol, es gab erotische Poesie und sogar islamkritische Vorträge von jüdischen Gelehrten. Das hohe Selbstbewusstsein führte zu Lockerungen der strengen Regeln. Doch als sich das Gleichgewicht zugunsten der Europäer verschob, erstarrte die islamische Welt wieder in ihren alten Traditionen. („Die versiegelte Zeit“ heißt ein Buch von Dan Diner.) Den Gläubigen blieb nur das Gefühl einer moralischen Überlegenheit und der Traum, am Ende doch noch den Sieg zu erringen.
Unterschiede
Eric Gujer fragt weiter, ob man denn wirklich alle islamischen Länder über einen Kamm scheren könne. Er habe den Islam in Indonesien z.B. ganz anders als in Pakistan erlebt. Antwort: Bei 53 islamischen Staaten mit muslimischer Mehrheit gebe es natürlich Unterschiede. Man könne einen Sufi aus Senegal nicht mit einem Wahabiten aus Saudi-Arabien vergleichen oder einen Schiiten aus dem Iran mit einem „Islamisten“ aus Somalia. Natürlich gebe es einen kulturellen Spielraum, aber diese Unterschiede seien aus politischer Sicht irrelevant. Die Geisteshaltung und der Auftrag seien die gleichen.
Warum man zum Kämpfer wird
Eric Gujer will nun wissen, was die Religion so interessant für potentielle Gewalttäter macht, von denen sich 30.000 aus allen westeuropäischen Ländern, wie er sagt, dem sogenannten IS angeschlossen hätten. Abdel-Samads Erklärung: Durch Isolierung in patriarchalischen Strukturen und Angstpädagogik der Community wachsen die Kinder zu verunsicherten Individuen zwischen zwei Kulturen heran und sind leicht verführbar für Ideologien. Sie sind empfänglich für das Versprechen, dass man, wenn man dem Propheten folgt, die Welt mit einfachen Mitteln verändern kann. Ein junger Mensch, der im Leben noch nichts zustande gebracht hat und sich weder von seiner Community noch von der westlichen Gesellschaft anerkannt fühlt, ist nun plötzlich Avantgarde, ein Soldat Allahs. Die Vorhut einer islamischen Revolution. In der Moschee wird ihm eingeredet, dass er in Sünde lebt und die Hölle fürchten muss, wenn er Alkohol trinkt, in die Disco geht und eine Freundin hat. Die Angst davor fördert den Wunsch, sich von all dem zu reinigen. Der Reinheitswahn ist weit verbreitet im Islam – Pakistan bedeutet „Land der Reinen“. Außerdem ist man von Vorneherein in einer Win-Win-Situation: Denen, die im Leben nicht siegreich sind, winkt das Paradies mit seinen Freuden. Von Aussteigern hört man, dass sie all das genauso wörtlich geglaubt haben.
Was sollen wir tun?
Eric Gujer kommt nun wieder damit, dass die Toleranz doch ein ganz wichtiger Wert der Aufklärung sei. Falsch, sagt Abdel-Samad. Gerade Religionskritik ist einer der wichtigsten Bestandteile der Aufklärung, die – wie wir heute sehen – beileibe noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden kann. Warum könne man Jesus kritisieren und nicht Mohamed? Wie dürfe es geschehen, dass ein Autor im 21-sten Jahrhundert unter Polizeischutz leben muss, weil er eine Religion kritisiert? Wir könnten doch nicht zulassen, dass die Intoleranten heute im Namen der Toleranz in Deutschland ihre Infrastrukturen in Form der Verbände und anderer zweifelhaften Strukturen aufbauen. Mit ständig neuen Forderungen und Sonderwünschen.
Herausforderungen in einer Zeit der massiven Drohungen aus der Türkei
Der Westen hat verlernt, Klartext zu reden und bedient stattdessen „Political Correctness“ und „Appeasement“. Unsere Geschichtsvergessenheit ist hoch gefährlich. „Der Marsch durch die Institutionen“, das Verwechseln von Toleranz und Laisser-faire, gehören heute zum Geschäft. Doch die Trennlinie muss klar sein: wird im Fall einer Kollision der bürgerlichen Gesetze und Werte mit einem „Heiligen Buch“ und seinen Symbolen letzterem der Vorzug gegeben, stehen wir außerhalb der Aufklärung und somit außerhalb des westlichen Wertesystems, von dem hier ja ständig die Rede ist.
Dass man sich überhaupt in diesen Tagen unschlüssig darüber ist, ob ein Staatsführer und seine Entourage, die die islamische Ideologie als Machtinstrument benutzen und ein Sultanat errichten wollen, gerade in unserem Land dafür werben dürfen, kann doch wohl nicht wahr sein.