Die Enttäuschung der deutschen Zeitungsverleger ist groß. Und sie reagieren so gekränkt, wie eine Braut, die vom Angebeteten nicht erwählt, sondern zugunsten einer attraktiveren oder vermögenderen sitzen gelassen wird. Die Bundesregierung hat nicht die Zeitungen erwählt, um ihr neues Gesundheitsportal vor die Augen der Deutschen zu bringen, sondern – Google natürlich. Laut Rudolf Thiemann, Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), ist das „ein einmaliger und neuartiger Angriff auf die Pressefreiheit.“ Die Bundesregierung braucht die herkömmliche Presse wohl nicht mehr; es gibt doch Google.
Was ist passiert? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte am Dienstag eine Kooperation mit dem amerikanischen Konzern und Suchmaschinen-Quasi-Monopolisten bekannt gegeben.
Sucht man bei Google seither nun nach Krankheiten – sagen wir „Covid“ – erscheinen Informationen des Portals „gesund.bund.de“, das das Bundesministerium für Gesundheit herausgibt, in einem hervorgehobenen Info-Kasten. Aber: Es ist beim ersten Hinsehen nicht erkenntlich, dass es sich um ein Regierungsportal handelt. Nur unten in dem Kasten steht der verlinkte Hinweis „weitere Infos: gesund.bund.de“ Im Browser allerdings erscheint dann in der Registerkarte, dem sogenannten Reiter, sogar ein kleines google-Symbol mit drei Punkten in Schwarz-Rot-Gold. Google erhält also einen quasi-hoheitlichen Anstrich. Andere Suchergebnisse dagegen sind erst erkennbar, wenn man herunterscrollt.
Die Kooperation ist ein prägnantes Beispiel für den Orientierungsverlust in der politischen Klasse. Nicht nur, weil die Regierenden stützen und stärken, was sie gemäß den Ordnungsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft verhindern müssten – nämlich Monopole. Dazu kommt etwas noch Grundsätzlicheres, nicht nur für die Wirtschaftsordnung, sondern für die Demokratie Gefährliches: Das Bundesministerium weiß offenbar wie auch die gesamte Bundesregierung nicht mehr genau, was seine Aufgaben sind – und was nicht. Oder: Will es nicht mehr wissen.
Die Regierenden haben in einem freiheitlichen, demokratischen Staatswesen weder die Pflicht, noch ein Vorrecht, die Bürger über Krankheiten oder sonstige Dinge des privaten Bereichs zu unterrichten. Und es ist auch nicht Aufgabe eines Ministers festzulegen, was „objektive, fundierte, evidenzbasierte Informationen“ sind – und was nicht.
Die Tendenz, die „Information“ der Bürger (früher hätte man es einfach und durchaus nicht abwertend „Propaganda“ genannt) wichtiger zu nehmen als das eigentliche Regieren, und dabei potentiell kritische Vermittlungsinstanzen zu umgehen oder einzuseifen, ist schon lange unübersehbar. Diese Tendenz ist gefährlich, da sie stets die Gefahr in sich birgt, dass die Regierenden die freie Meinungsbildung beeinflussen und in letzter Konsequenz außer Kraft setzen, indem sie sich anmaßen eine höchste Instanz der Wahrheit zu sein. Im Gegenteil muss man festhalten: Politische Kommunikation zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie nicht „objektiv, fundiert und evidenzbasiert“, sondern an politischen Interessen und Machtgewinn orientiert ist.
Darum ist es vermutlich ist es auch kein Zufall, dass bei der google-Suche nach „Covid“ der Info-Kasten von gesund.bund.de nicht nur größer, sondern auch zentral erscheint, während bei „Lungenentzündung“ ein deutlich kleinerer Kasten am rechten Bildrand erscheint – und ausgerechnet bei dem Suchwort „Krebs“ überhaupt keiner. Könnte das daran liegen, dass es kein politisches Interesse auf Seiten der Bundesregierung gibt, über Krebs, aber ein umso größeres, über Covid-19 zu informieren?
Die Kritik des Präsidenten des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), Rudolf Thiemann, ist darum eigentlich durchaus treffend: „Eine solche Verdrängung der privaten Presse durch ein staatliches Medienangebot auf einer digitalen Megaplattform ist ein einmaliger und neuartiger Angriff auf die Pressefreiheit.“
Glaubwürdiger wären solche harten Verleger-Worte aber, wenn die private Presse, für die Thiemann spricht, nicht nur dann die Regierenden kritisierte, wenn es um ihre eigenen finanziellen Interessen geht. Die Pläne der Bundesregierung, die Zeitungsverlage mit bis zu 260 Millionen Euro zu subventionieren, stießen in den Verbänden jedenfalls nicht auf Kritik, obwohl man auch in ihnen den Versuch der Verdrängung anderer, nicht subventionierter Medien erkennen könnte.