Tichys Einblick
Eine Eloge nach der anderen

Germans to the Front? Englischsprachige Medien kommentieren die „Bierzeltrede“ von Merkel

Unwiderstehlich zieht es Kanzlerin Merkel an die Spitze der Bewegung gegen Donald Trump. Was die englischsprachige Presse über die denkwürdigen Auftritte der „neuen“ Deutschen Kanzlerin schreibt, trägt streckenweise idealisierende Züge.

German Chancellor Angela Merkel, US President Donald Trump and Italian Prime Minister Paolo Gentiloni pose for a family picture as they attend the Summit of the Heads of State and of Government of the G7

© Philippe Wojazer/AFP/Getty Images

Angela Merkel „signalisiere, dass das Zerwürfnis mit den USA unter Trump tiefer werde“ Norbert Röttgen springt seiner Kanzlerin in einem Interview bei Christiane Amanpour auf CNN im Duett mit dem früheren Britischen Botschafter in Washington, Peter Westmacott bei.

Sie fordert ihn eingangs dazu auf, deren „..laute, öffentliche Äusserungen…“  über Präsident Trump zu erläutern. Trump, so Röttgen, „erlebe man als ganz andereren Präsidenten als all seine Vorgänger seit dem 2. Weltkrieg. Er stelle die Fundamente der über Jahrzehnte erfolgreichen transatlantischen Allianz, der Beziehungen und all das in Frage, was an Multilateralismus erreicht worden sei, er sei auch vage geblieben bei bzw. stelle Art. 5 der Nato Charta und eine gemeinsame Verpflichtung zu den Pariser Übereinkünften zum Klimawechsel in Frage, und überhaupt sei sein Betragen sehr speziell gewesen.“

„Es gebe mangelnde Führung bzw. mangelnden Willen zur Führung der Westlichen Gemeinschaft und der Welt und daraus, bzw. dem mangelnden Geschick oder Interesse des US-Präsidenten hierfür, müsse man die Konsequenzen ziehen, in dem man nun selbständiger werden müsse.“

Er beklagte bitterlich, dass die „USA, der Fackelträger des Freihandels nun durch China abgelöst werde, das sich seinerseits für weltweiten freien Handel stark mache.“ Trump, so Röttgen weiter, “verlasse die Weltbühne nur, um seinen Wählern zu Hause zu zeigen, dass er seine Wahlkampfversprechen erfülle. Das könne nicht die Rolle des Führers der mächtigsten Nation der Welt ein.“

Zu Wahlkampfzeiten wollten die deutschen Wähler, so Röttgen weiter, „wissen, wie die deutsche Politik auf den Stil von Präsident Trump reagiere. Man habe dort die einhellige Reaktion auch aller G7-Staatschefs gesehen, auch von denen, die nicht im Wahlkampf stünden.“

Die Los Angeles Times berichtet, die Kanzlerin „..signalisiere nun, dass Sie die Hoffnung aufgebe, dass Europa sich auf die Vereinigten Staaten verlassen könne, solange Donald Trump Präsident sei, obwohl sie doch während der letzten 6 Monate versucht habe, mit ihm auf Tuchfühlung zu gehen, um die Unterstützung der USA bei eine ganze Reihe von Punkten aufrecht zu erhalten…“

Aber nun habe sie am Sonntag einen verzweifelten Ton angeschlagen, nach einer Woche in der Trump sich „… sowohl geweigert habe, die Vereinigten Staaten auf den Kurs des 2015er Pariser Abkommens zum Klimawandel festzulegen“ oder sich “ausdrücklich zur Einhaltung des Prinzips der Nato Charta, Art 5 zu bekennen, der die Mitgliedstaaten zu gegenseitigem Beistand verpflichtet, falls ein Staat angegriffen wird.“

Daher, so Merkel weiter vor einer Menge von 2.500 Menschen in einem Bierzelt, „könne Sie nur sagen, dass es nun an der Zeit sei, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen“. Natürlich „werde man die Freundschaft mit den USA – wo immer möglich – aufrecht erhalten …“ Zwar habe sie Trump nicht mit Namen genannt. Aber ihre Frustration mit ihm nach den zwei internationalen Gipfeln, auf denen Sie beide gewesen waren, sei offenkundig gewesen.

Euro-atlantische Stimmungslagen
USA und EU: Launig Ernstes beiderseits des Atlantiks
Trotzdem weiß das Blatt zu berichten, dass sie Reportern in Italien gesagt habe, dass „Gespräche mit Trump zum Klimawechsel extrem schwierig und sogar unbefriedigend gewesen seien“. “Merkel’s Umschwenken im Ton entspringe der Berechnung, dass ihr dies im September beim Versuch wieder gewählt zu werden, helfen würde“ zitiert die LA Times nicht näher benannte „Politische Analysten“. Gero Neugebauer, Politikforscher an der FU Berlin habe gesagt: „Sie habe sich zu Trump äußern müssen, um ihre eigene Glaubwürdigkeit zu bewahren, aber für jemanden, der so vorsichtig sei wie Angela Merkel, sei es trotzdem erstaunlich, dass Sie in Europa die Führung gegen Donald Trump in solch einer Frage übernehme – es sei ungeheuer zu beobachten, dass Sie eine Führungsrolle habe.“

Die Washington Post sieht eine Allianz gegen Donald Trump quer über deutsche Parteigrenzen hinweg und schreibt: “Kanzlerin Angela Merkel und ihr hauptsächlicher politischer Rivale, Martin Schulz, vereinigten sich in ihrer Opposition gegen Präsident Trump.“

Am Sonntag habe sie in einer Rede auf einer „Bierhallen-Wahlkampfveranstaltung“ (der, so die Zeitung, einminütiger Applaus gefolgt sei) in München gesagt, dass die Ära vorbei sein könnte, in der Europa sich auf die Vereinigten Staaten verlassen könne.“ Dieser dramatischen Ankündigung, so die WP weiter, seien Treffen mit Trump vorausgegangen, die von „Uneinigkeit gezeichnet“ gewesen seien, wobei Trump seine erste offizielle Europareise dazu benutzt habe, deutschen Handel zu kritisieren, andere Staatsmänner wegen ihrer NATO-Beiträge abzukanzeln und eine Festlegung auf das Pariser Abkommen über den Kampf gegen den Klimawandel zu verweigern.

Martin Schulz, ihr SPD-Rivale, habe sogar „mitten im Wahlkampf seiner Entrüstung über die Behandlung zum Ausdruck gegeben, die Trump Merkel habe angedeihen lassen“. Schulz, ein früherer Präsident des Europäischen Parlaments, Kopf der Links der Mitte aufgestellten Sozialdemokraten und klar der überzeugendste Herausforderer nach Merkel’s 11-jähriger Kanzlerschaft steche als charismatische Führungsfigur heraus. Trotzdem habe er ihr, anstatt seine Rivalin oder ihre christdemokratisch geführte Regierung wegen der angespannten Beziehungen mit Trump zu kritisieren, leidenschaftlich seine Unterstützung angeboten. In einer Aufnahme, die die Deutsche Welle am Montag veröffentlicht habe, könne man „einen sichtbar erzürnten Schulz sehen, der Trump mit den Worten angreift, dass dieser “glaube, er könne Brüssel erniedrigen”.

Die Zeitung zitiert weiter eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom Februar, wonach „78 % der Deutschen sich ’sehr besorgt‘ zu Trump’s politischem Programm geäußert hätten: 20 % mehr, als zum Programm des Russischen Präsidenten Wladimir Putin Befragte“.

Die Kolumnistin des Britischen Guardian, Suzanne Moore, sieht in Angela Merkel nichts weniger als „Die Führerin der Freien Welt“ – Bildunterschift: “Sie beim G7 zu beobachten, wie locker sie sei, welche Fähigkeit sie besitze, Abkommen und Beziehungen auszuhandeln, sei immer aufs Neue beeindruckend“.

Bewegung ist gut
Gute Nachrichten: Trump brüskiert G6
Ohne einen Hauch von Britischem Understatement fährt Frau Moore fort: Angela Merkel – oder wie sie von jetzt an heißen möge: “leader of the free world” habe kaum abgewaret, bis ihr Donald Trump den Rücken gekehrt hatte, bevor sie klargemacht habe, dass sich die Dinge nun geändert hätten. Sie habe ihre Kampagne für ihre Wiederwahl begonnen, in dem sie einer Menge von 2.500 Menschen auf einer Wahlkampfveranstaltung in München angekündigt habe, dass die EU sich nun darauf einstellen müsse, sich weder weiter auf das Vereinigte Königreich noch Amerika verlassen zu können“. Das sei „ein dramatisches Statement von jemandem gewesen, für den Drama ein Fremdwort sei“.

„Sie werde so schnell nicht mit Trump Händchen halten, was zu hören für ihn vielleicht erleichternd sei, aber viele hätten Merkel schon vorher als graue Physikerin belächelt, was ihr dann erlaubt habe, egoistische männliche Führungspersonen nach Belieben auszumanövrieren.“ Es gebe nun, so die Kolumnistin, „mehr und mehr Leute, die von sich sagten, dass sie sie mögen würden – sogar Linke respektierten sie, obwohl sie eher in der politischen Mitte zu finden sei.“

Während Trump mit „seiner schafsköpfigen Unkenntnis fremder Sprachen, Kulturen oder einfachster Manieren durch Europa watschelte, sei Merkel in ihrem Element gewesen. Während er in einem Golfwägelchen zurückgeblieben sei, weil er nicht genügend Durchhaltevermögen gehabt habe, um irgendwo hin zu laufen, sei sie mit anderen Staatsmännern spazieren gegangen.“

Jedes Bild Trumps zeige ihn „bei eingebildeten Tiraden, arrogantem Gerangel oder dabei, wie er von seiner eigenen Frau weggeschubst werde.“ Jedes Bild von Merkel sei dagegen eine Freude: Ihr leicht amüsierter Ausdruck, wenn sie mit ihm zu tun habe, ihr Zwinkern, das leichte Achselzucken. Sie beherrsche das Spiel – eines, von dem Donald Trump keine Ahnung habe.

Natürlich, so gibt die Verfasserin zu, “möge sie nicht jeder … ihre Kritiker in Deutschland behaupten, sie habe nur ‚lähmende Zustimmung‘ erlangt. Diese beschwerten sich über ‚ihre wissenschaftliche Art, mit Politik umzugehen‘. Aber, so setzt sie einen drauf: ‚trotzdem sei das genau der Grund, warum Mutti nachgesagt würde, so gut bei der Bewältigung von Krisen zu sein (!) … Theatralik interessiere sie nicht, sondern da gebe es eine Vision, eine Moralität, einen Kern in ihr, der zeige, dass sie eine Aufnahmepolitik für Flüchtlinge habe durchdrücken können, die wahrhaft Rückgrat erfordert habe …“.

Norbert Bolz im Gespräch mit Wolfgang Herles
Weltbösewicht Trump, Mythos Merkel, Medienkonstrukt Schulz und die Hysteriemaschine
Die Autorin zitiert Freunde der Kanzlerin, wenn sie über deren Leben referiert: “…sie habe immer gefühlt, dass sie sich durch ihr Studium und ihre Jugend in Ostdeutschland emanzipiert habe, wo es normal für eine Frau gewesen sei, zu arbeiten … die Eheleute Merkel / Sauer führten einen unspektakulären Lebensstil. Die Fotos von ihr, wie sie kurz Pommes einkaufen gehe, beim Fußball jubelnd aufspringe, Bier trinke, seien nicht gestellt. Es sei einfach das, was sie mache, obwohl sie nun nicht mehr rauche oder ihre Finger abknabbere wie in ihrer Jugend. All diese Attribute einer Streberin hätten nur zu ihrem Aufstieg durch die Ränge der Partei beigetragen.“

„Und schauen sie sie nur an,“ so Moore weiter bewundernd, „… wo sie heute stehe: im Gegensatz zum eigenen (UK) Premierminister könne sie sich gegen Trump in Positur stellen und klarmachen, dass sein Amerika kein Freund Europas sei.“ Zum Schluss erhält die Kanzlerin dann noch ein besonderes Lob: „Was für eine außergewöhnliche Frau. ‚Es gebe keine Probleme‘, sage sie, während sie in Besprechungen schnell noch ein paar SMS abschicke, ’nur Aufgaben, die gelöst werden müssten.’“

„Sie lehne es ab, sich als weibliche Führungspersönlichkeit zu sehen, stattdessen zöge sie es vor, sich einer Klasse von politischen Schwergewichten zuzuordnen. Zunehmend stehe sie einsam an der Spitze, und wenn man ihr zusehe, käme einem die Einsicht in den Sinn: So müssten wahre Stabilität und Stärke aussehen …“.

Emil Kohleofen ist freier Publizist.

Die mobile Version verlassen