Tichys Einblick
Beispielhaftes Framing

Die Medien und die Stuttgarter „Corona-Demo“

Die mediale Aufarbeitung der Anti-Corona-Maßnahmen-Demo in Stuttgart ist zutiefst tendenziös. Durch Framing wurde bei den Medienrezipienten der Eindruck einer aggressiven Demonstration erzeugt. Wer dabei war, hat es anders erlebt.

Schon im Vorfeld war in den Medien Stimmung gemacht worden: „Tausende Corona-Leugner der „Querdenker“-Bewegung werden am Samstag in Stuttgart erwartet.“ Aber nicht einmal der Oberquerdenker und Demo-Organisator Michael Ballweg leugnet Corona.

„Szenen wie in Kassel“ erwartete das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), das über 50 Zeitungen mit Artikeln beliefert. RND versuchte den Anschein zu erwecken, dass die Kasseler Demo von massenhafter Gewalttätigkeit geprägt war und sich dies in Stuttgart wiederholen würde. Bis auf wenige Szenen blieb es aber sowohl in Kassel als auch in Stuttgart friedlich. 

Zu den Demonstrationen wird eine Sozialpsychologin zitiert, die zu „Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus“ forscht. Merke: Corona-Leugner und Rechtsextremisten machen gemeinsame Sache. Laut RND: An den von Michael Ballweg und anderen Querdenken-Aktivisten organisierten Protesten nahm in der Vergangenheit immer wieder eine Vielzahl erkennbarer Rechtsextremer teil.

Der SWR: Mehrere maßgebliche Akteure ordnet das Landesamt dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zu, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen negieren. Immerhin bequemt sich der SWR noch zu der Aussage: Die „Querdenken“-Bewegung weist diese Vorwürfe zurück.

Viele Medien, der Spiegel voran, gaben sich enttäuscht darüber, dass der Stuttgarter Ordnungsbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) die Demonstration nicht im Vorfeld verboten hatte. Er antwortete auf eine entsprechende Frage, dass er sich persönlich ein Bild von der Lage mache und dann entsprechend entscheide.

„Wenn die Polizei die Versammlung auf Geheiß der Versammlungsbehörde aufgelöst hätte, hätte sie versuchen müssen, 15.000 Menschen nach Hause zu schicken“, sagte Maier. Diese wären aber nicht freiwillig gegangen. Die Polizei hätte massiv Gewalt einsetzen müssen. All das sei durchgespielt worden in Gesprächen mit der Polizei. „Wir können die Stadt nicht abriegeln.“

Die Frage, die sich die Politiker vielmehr stellen müssten, sei, warum Menschen keine Masken tragen wollten, sagte Maier. „Warum erreicht die Politik Teile der Gesellschaft nicht? Das ist das eigentliche Problem“, betonte der Ordnungsbürgermeister.

„Querdenker“ Stuttgart
Mit Love und Peace für Freiheit und gegen Merkel
Anstatt diese Aussagen im Sinne der De-Eskalierung positiv zu bewerten, wurden etwa durch die dpa (zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht) vor allem ein Kritiker des Bürgermeisters aus dem Gesundheitsministerium zitiert: „Ich verstehe nicht, dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat.“ Womit die Demonstration zu einer Art Katastrophe interpretiert wird, die zu verhindern gewesen wäre. Am Montag müssen Maier und Stuttgarts OB Frank Nopper (CDU) im Innenausschuss des Landtags und am Donnerstag im Gemeinderat erklären, warum sie die Versammlung nicht verboten hatten.

Und ich muss gestehen, ganz unbeeindruckt ließ mich die Vorab-Berichterstattung auch nicht. Trotzdem ging ich auf den Wasen, um mir selbst ein Bild zu machen.

Und es umfing mich schlagartig dies Woodstock-Feeling. Wenn einige von Volksfeststimmung sprachen, beschreibt dies die Atmosphäre nicht richtig. Es war eine friedliche Hippie-Festival Stimmung. Nur der Dope schien eine geringere Rolle zu spielen und die Musik auf der Bühne war auch nicht wirklich im Vordergrund. Dafür viele romantische Reden, viel Betroffenheit, ironischerweise also etwas ähnliches wie die linke Wokeness.

Etwa 15.000 Menschen aus ganz Süddeutschland hatten sich auf dem Wasen versammelt. Der 0711-Organisator Michael Ballweg betonte, dass dies keine „Anti-Corona-Demo“ sei. Selbstverständlich gäbe es Corona. Bei der Demo ginge es vielmehr um „die Grundrechte, das Recht auf Versammlungsfreiheit, auf Berufsfreiheit und das Recht auf Bildung.“

In den Medien landauf, landab wurde in den nächsten Tagen geschrieben, dies sei eine Demonstration von „Coronaleugnern“ und sie seien von „Rechtsradikalen“ unterwandert. 

Ich war überrascht, keine Flaggen der Reichbürger zu sehen, keine rechtsnationalen oder rechtsradikalen Symbole. Nichts dergleichen.

Erstaunlicherweise erspähte ich aber vereinzelte Flaggen der Anarchisten, Flaggen der „Antifaschistischen Aktion“ und eine Flagge der „Freien Linken“. Alle drei Vertreter habe ich angesprochen, hätte ich sie doch auf einer Gegendemo vermutet. Aber hier fühlten sie sich besser aufgehoben, ging es ihnen doch hauptsächlich um die Freiheit.

Keine Erwähnungen in den Medien dazu. 

Dafür wehten Regenbogenfahnen, die Peace-Symbole der Friedensbewegung prangten auf vielen Wimpeln. „Jesus liebt dich“ wehte nicht nur einmal im Wind. 

Das wurde in den Medien wenig erwähnt. 

Der Soziologe Oliver Nachtwey der Universität Basel hat herausgefunden, dass die Bewegung nicht von Rechten dominiert wird. Bei den letzten Bundestagswahlen hat der größte Prozentsatz der Querdenker für die Grünen gestimmt (23 Prozent), überproportional viele (18 Prozent) wählten die Linke, die AfD „nur“ 15 Prozent, also kaum mehr als im Bundesdurchschnitt. Die meisten Querdenker zeigen keine Antipathie gegen Einwanderer oder Muslime. In vielerlei Hinsicht sind sie die Nachkommen der außerparlamentarischen sozialen Bewegungen der Siebzigerjahre.

In den Medien werden die Querdenker dagegen als eine von Rechtsradikalen und von Fremdenfeindlichen durchsetzte Bewegung dargestellt.

Während des ganzen Nachmittags spazierte ich von Gruppe zu Grüppchen, unterhielt mich mit diesen und denen. Überall eine überaus freundliche, zuvorkommende Stimmung. Die manchmal sogar ausgelassene Festivalstimmung schien auch die Polizei nicht unbeeindruckt zu lassen. Jedenfalls hielt sie sich freundlich im Hintergrund. Alles war so ganz anders, als die Stuttgarter Medien herbeischreiben wollten. Dass sich die Polizei freundlich gegenüber den Demonstrationsteilnehmern verhielt, ja vielleicht von deren Freundlichkeit angesteckt wurde, enttäuschte wohl besonders.

Der NDR kommentierte: „Querdenken-Demo in Stuttgart: Das Versagen der Polizei“. Mittlerweile sind mehrere Anzeigen gegen die Polizei eingegangen. In der Stuttgarter  Zeitung lautet die Überschrift dazu: „Bei der Demo nur zugeschaut: Polizei angezeigt“.

Ich interviewte den Rechtsanwalt der Corona-Bewegung 0711 Markus Haintz. Der Rechtsanwalt durchstreifte die Demo auf der Suche nach Provokationen und Provokateuren. Haintz rechnete mit Provokateuren der Antifa und eventuell auch des Verfassungsschutzes. Es wäre nicht überraschend, wenn Vertreter der Antifa als „rechte“ Demonstranten aufträten und aggressiv gegen die Polizei vorgingen. Anschließend hieße es, die Demonstration sei von rechten Schlägern unterwandert.

Wo Medienvertreter auftauchten, rief Haintz die Demoteilnehmer zu Respekt und Mäßigung auf. 

Das wurde in den Medien nicht erwähnt. 

Kurz vor dem Interview bekam ich nun einen Zwischenfall mit, der später medial bis zur Unkenntlichkeit aufgeblasen wurde: 

Einem ARD-Aufnahmeteam schallte das Wort „Lügenpresse“ entgegen. Und ein Osterei flog in Richtung des Kameramanns und blieb vor dessen Füßen liegen. Daraufhin sagte der ARD-Korrespondent Live zu seinem Millionenpublikum „jetzt werden Steine geworfen“, und bricht in der Tagesschau die Übertragung ab. Erst später machte der SWR daraus „harte Gegenstände“ (Plural!). Die Taz hat immerhin bei der Polizei nachgefragt und von einem „bislang nicht genauer identifizierten Gegenstand“ erfahren.

Dazu ist zu sagen, dass in der Bundesrepublik bei politischen Events schon öfter Eier geflogen sind. Für die Eierwerfer wurde je nach politischer Einstellung auch großes Verständnis aufgebracht.

Auf der Demo wurde ich für das Tragen einer Maske belächelt. Mein Einwand, dass das Tragen der Maske nun mal eine Auflage sei, die man respektieren sollte. Hielte man sich nicht an die Auflagen, liefere man möglicherweise einen Grund für zukünftige Demo-Verbote. Das fiel auf Seiten der Teilnehmer nicht auf fruchtbaren Boden. Sie beharrten auf ihrem Grundrecht, frei zu demonstrieren. Michael Ballweg argumentierte, da bisher bei den Demonstrationen keine gehäufte Ansteckung bekannt geworden sei, sei die Ansteckungsgefahr im Freien irrelevant. Trotzdem wurden immer wieder Durchsagen gemacht und darauf hingewiesen, dass Abstand zu halten und Masken zu tragen seien.

Das wurde in den Medien so gut wie gar nicht erwähnt.

Tatsächlich standen die Teilnehmer in Gruppen zusammen, mit denen sie auch gekommen waren. Aber ich konnte immer ohne Körperkontakt zwischen den Gruppen hindurchgehen. Masken trugen tatsächlich die wenigsten. Die Maske wird als Symbol der Unterwerfung unter ein totalitäres Coronasystem verstanden und schon allein deshalb abgelehnt.

Den Medien ging es offensichtlich darum, die Demo-Teilnehmer als als unsolidarische Gefährder der Gesellschaft abzustempeln. Unausgesprochen werden so die Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen als Superspreader-Event definiert. 

Darüber hinaus ist ein Neid zu beobachten: Was die sich trauern, trauen wir uns nicht. Wir sperren uns und unsere Kinder seit einem Jahr weg, und jetzt tun die so, als ob das Unsinn wäre.

Die Bilder der Medien zeigten eine Menge eng zusammengerückte Demonstranten.

Nun kann man Bilder so aufnehmen, dass dieser Eindruck entsteht. Sie waren von schräg oben, von den Gleisen der Stadtbahn aufgenommen, so dass die Abstände nicht gesehen werden konnten. Wenn man allerdings unten bei den Demonstranten war, zeigte sich ein anderes Bild. Zwischen den Gruppen gab es immer großzügig Raum durchzugehen.

Einige Rocker wurden von der Polizei gefilzt, es war also NICHT so, dass die Polizei untätig war. Der Punkt ist vielmehr, es gab aus Sicht der Polizei kaum etwas zu tun. Darüber aber wurde praktisch nicht berichtet.

Doppelmoral

Insgesamt ist zu beobachten, dass zum Beispiel bei der Antirassismus-Demo in Berlin die Abstands- und Hygieneauflagen vollständig ignoriert wurden. Zusätzlich war die Demo von Seiten der Antifa und von ihr aufgehetzten arabischen Jugendlichen extrem aggressiv, so dass es zu vielen Verletzten auf Seiten der Polizei kam. Dies wurde von den Medien weitgehend verschwiegen. 

In Stuttgart kochten die Medien dagegen Dinge hoch, berichteten massiv tendenziös, offensichtlich um eine Stimmung gegen diese Gruppe zu schaffen.

Insgesamt kann man wohl sagen, dass es in der Berichterstattung nicht um offensichtliches „Lügen“ ging. Wohl aber wurde die Realität so stark verzerrt und tendenziös wiedergegeben.

Bei einer solchen nahezu flächendeckenden Tendenzberichterstattung ist es nicht verwunderlich, dass die Demo-Teilnehmer verbittert über die Medien sind.

Framing

In der Berichterstattung kann man geradezu beispielhaft die Definition der vier Frame -Elemente von Robert Entman (Framing: Towards a Clarification of a Fractured Paradigm.Journal of Communication 43 (3). 1993) erkennen: 

Demnach enthalten die Frames in Medientexten eine

-Problem ist die Demonstration gegen die Coronamaßnahmen der Regierung. In den meisten Medien wird bereits die Tatsache, dass es eine Opposition zu den Coronamaßnahmen gibt, als Problem gesehen.

-Ursache ist die angebliche Unterwanderung der Opposition durch Coronaleugner, Rechtsradikale und Verfassungsfeinde. 

-moralische Bewertung

Hier geht es darum die Demonstranten als asozial, Gesundheits-Gefahr für die Gesellschaft, als Rechtsradikale und als Antisemiten darzustellen.

-Handlungsempfehlung, 

Verbot von Demonstrationen zu den Corona-Maßnahmen, wenn die Auflagen nicht minutiös eingehalten werden. Harter Einsatz der Polizei gegen Verstöße, implizite Ausgrenzung, und Herabwürdigung der Teilnehmer. Wie in den sozialen Medien und den Leserkommentaren der Medien zu lesen ist, werden sie auf diese Weise als Hassobjekte freigegeben.

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