Christian Lindner (FDP) macht einen auf Poeten: „Liebe ist der größte Reichtum, den man haben kann“, betont er in der Talkshow von Caren Miosga. Das passt zu der Finanzpolitik, die er betreibt: Immerhin lohnt sich das Arbeiten für immer mehr Deutsche kaum, weil sie so viel von ihrem Brutto-Gehalt an den Staat abgeben müssen, dass ihnen netto immer weniger Geld bleibt. Selbst wenn sie brutto 5500 Euro statt 3500 Euro verdienen, haben sie netto bloß rund 200 Euro mehr zur Verfügung. Und kaum mehr Zeit für ihre Liebsten. Das macht also nicht „reich“, folgt man Lindners Rhetorik. Dann lässt man es besser sein mit der Mehr-Arbeit und sucht in der freien Zeit nach der „Liebe“. Hat man die erst gefunden, dann ist man demnach reich. Nur nicht satt.
Lindner behauptet zwar, er wolle für „alle“ die Steuerlast senken. Seine Taten sagen aber etwas anderes: So hat er im März vor der Hayek-Stiftung in Berlin vorgestellt, die Steuern senken zu wollen – allerdings nur für Ausländer, wie TE berichtete. Aber na ja: Als Poet kann man sich die Geschichten, die man erzählt, halt so gestalten, wie es einem beliebt.
Ein mittelständischer Möbelbauer hat den Finanzminister allerdings aus seiner träumerischen, poetischen Welt gerissen – zumindest ein bisschen. Lindner erzählt, der Möbelbauer habe ihm geschrieben, er würde sich freuen, wenn die FDP irgendwann wieder Respekt vor Leistung und Eigentum vertreten würde. Das habe Lindner „berührt“ – Poeten sind durchaus sensible Menschen. Er behauptet aber, die FDP vertrete diese Werte immer noch. Nur in der Koalition könne sie diese nicht umsetzen. So wie das klingt, trägt also gar nicht die FDP die Schuld daran, dass sie in aktuellen Umfragen nur noch auf 4 Prozent der Wählerstimmen kommt – und somit aus dem Bundestag fliegen würde. Es liegt an der Koalition mit SPD und Grüne. Caren Miosga betont hingegen, die FDP-Wähler vertrauten ihrer Partei nicht mehr.
Das Einzige, worauf die Wähler vertrauen können, ist, dass Lindner die Schuldenbremse nicht reformieren will. Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin des Hauptstadtbüros des „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND), kennt den Grund. Sie wirkt so selbstsicher und überzeugt. So, als hätte sie Lindner durchschaut. Als hätte sie in sein tiefstes Inneres geschaut und all seine Albträume gesehen. Sie sagt: Lindner habe Angst, dass das Verfassungsgericht den Haushaltsplan für das kommende Jahr erneut für verfassungswidrig erklärt. Wie schon im letzten Jahr. Lindner hält Dunz’ triumphierendem Blick ein Schmunzeln entgegen: Er sei aus „ökonomischen Gründen“ dagegen, die Schuldenbremse auszusetzen, sagt er. Er ist überzeugt, dass „die Schulden von heute die Steuererhöhungen von morgen sind“. Und er wolle keine Steuererhöhungen. Nun ist das RND, für das Dunz schreibt, durchaus Teil des SPD-Medienkonzerns. Die SPD hält maßgebliche Anteile an der RND-Mutter, dem Madsack-Konzern aus Hannover.
Der Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre Jens Südekum meint hingegen, Deutschland braucht eine Reform der Schuldenbremse. Und zwar zügig. Die Schuldenbremse „passt nicht mehr ins Hier und Jetzt“, findet er: Deutschland habe „so viele Probleme“, aber denke über einen „Sparkurs“ nach. Sogar der Internationale Währungsfonds legt Deutschland wohl schon ans Herz, die Schulden von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 1 Prozent zu erhöhen, um mehr Geld zu Verfügung zu haben. Dunz und Südekum sind sich einig: Die Ampel investiert zu wenig.
Aber die Radwege scheinen Südekum nicht zu reichen. „Die Zahlen“ deuten für ihn auf einen Sparkurs hin. Südekum ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und benennt, wofür die Ampel mehr Geld ausgeben sollte: erneuerbare Energien zum Beispiel – typisch Wirtschaftsministerium halt. Insgesamt muss die Ampel laut Südekum weitere 30 Milliarden Euro für diverse Bedarfe ausgeben. Diese Summe könne die Regierung nicht an sozialen Sachen einsparen. Für diese Ausgaben solle sie die Schuldenbremse reformieren. Übrigens ist Südekum auch SPD-Mitglied. Das hat Miosga in der Sendung allerdings vergessen zu erwähnen und Lindner musste daran erinnern: Er wolle klarstellen, dass der Sozialdemokrat-Südekum spreche und nicht der Wissenschaftler-Südekum. Und anders als der Sozialdemokrat-Südekum möchte Lindner seiner Aussage nach für alle Technologien die gleichen Rahmenbedingungen schaffen.
Lindner hält also weiterhin an der Schuldenbremse fest. Punkt. Aber er möchte eine „Mentalitätsreform“ und eine „Wende in der Wirtschaft“: Die Leute sollen seiner Meinung nach wieder „Lust zur Überstunde“ haben und nicht ins Ausland auswandern, weil die Rahmenbedingungen hierzulande wieder besser werden. Das klingt schön. Noch schöner klingt es, wie Lindner über die Harmonie der Ampel spricht: Er glaube nicht, dass sich die Frage stellen wird, ob die Koalition zerfällt. Immerhin komme die Ampel immer auf einen Nenner. Große Worte aus dem tiefen Herzen des Poeten.