Maaßen wurde zum Rücktritt gezwungen, auch wenn die Sache für ihn mit der Ernennung zum Staatssekretär vorerst relativ glimpflich verlief. Die Kampagne gegen ihn geht jedoch heute weiter und das öffentliche Ansehen dürfte dauerhaft stark beschädigt sein.
Professor Hans Mathias Kepplinger hat sich wissenschaftlich viele Jahre lang mit dem Verlauf von Skandalen befasst. Wichtige Ergebnisse seiner Forschungen sind: Kennzeichnend für einen Skandal ist, dass es zu einer wahren Empörungswelle kommt, der sich kaum ein Medium entziehen kann. Dies konnte man auch im Fall Maaßen beobachten: Die Berichterstattung aller führenden Fernsehsender und Zeitungen war weitgehend gleichförmig.
Wie üblich alle gegen einen
Aus einem größeren zeitlichen Abstand wird bei vielen Skandalen später zwar deutlich, dass die Berichterstattung die Fakten verzerrte – teilweise entbehrte sie bei nüchterner Betrachtung jedweder Grundlage. Dies trifft beispielsweise für die Skandale zu, die zum Rücktritt des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger (1988) oder des Bundespräsidenten Christian Wulff (2012) führten.
Die Wahrheit geht aber während des Skandals in einer Welle krass übertriebener Darstellungen unter. Die Oberhand gewinnt sie allenfalls, wenn der Skandal zu Ende und die Flut der anklagenden Berichte verebbt ist. Dann interessiert sich aber kaum noch jemand dafür, weil sich die Medien und mit ihnen das Publikum längst anderen Themen zugewendet haben.
Oft gewinnt die Skandalberichterstattung eine solche Eigendynamik, dass selbst dann, wenn der ursprüngliche Vorwurf eindeutig widerlegt wurde, neue Vorwürfe erhoben werden, die der Berichterstattung weitere Nahrung bieten – so war dies auch im Fall Maaßen. Bei Lichte betrachtet bzw. bei nüchterner Distanz handelt es sich bei diesen neuen Vorwürfen um sehr geringe Verfehlungen, die normalerweise kaum beachtet würden, die jedoch vor dem psychologischen Hintergrund der Skandal-Dramatik auf einmal eine hohe Brisanz gewinnen, weil sie vermeintlich das negative Bild von der Verwerflichkeit und Schlechtigkeit des Skandalisierten bestätigen. Teilweise sind es auch gänzlich unbewiesene Vorwürfe, so wie etwa beim Fall Maaßen die Behauptung, er habe vertrauliche Zahlen des Verfassungsschutzes einem AfD-Abgeordneten weitergegeben. Dies entwickelte sich immer mehr zu einem zentralen Anklagepunkt, obwohl Maaßen dies bestritt und selbst der AfD-Abgeordnete keine eindeutigen Aussagen dazu machte. Die Verurteilung erfolgte, bevor der Sachverhalt geklärt werden konnte, denn der Vorwurf passte zum Frame des klammheimlichen AfD-Sympathisanten Maaßen.
Jeder große Skandal muss, so zeigt Kepplinger in seinen Büchern, damit er sich voll entfalten könne, immer wieder neu angeheizt werden. Erfolgreiche Skandalierer publizierten ihre Verdächtigungen deshalb nicht auf einmal, sondern verteilten sie auf mehrere Tage oder Wochen.
Deutschland im Jagdfieber
Vielfach gelingt es den Skandalierern, die Betroffenen zum Rücktritt von ihrem Amt zu drängen. Nur wenige Menschen haben in dieser Situation Mitleid mit den Opfern eines Skandals, da die Opfer ja aus ihrer Sicht die Täter sind. Manchmal sind die Opfer eines Skandals jedoch tatsächlich völlig „unschuldig“. Häufiger geschieht es, dass sie Fehler gemacht haben, dass jedoch die Dramatik der völlig überzogenen Vorwürfe in keinem angemessenen Verhältnis zu diesen Verfehlungen steht. So war es im Fall Maaßen, der sich in dem Interview mit BILD nicht ganz glücklich geäußert hatte, so dass man – wenn man dies wollte – hineinlesen konnte, er habe das Video für eine Fälschung gehalten. Tatsächlich hatte er jedoch nie von einer Fälschung gesprochen, und wenn er es für eine Fälschung gehalten hätte, dann hätte er mit Sicherheit genau diesen Begriff gebraucht. Vielmehr wollte er zum Ausdruck bringen, dass das Video nicht das bewies, was es beweisen sollte, nämlich eine „Hetzjagd“. Und mit diesem Hinweis hatte er Recht – im Gegensatz zu den Politikern, die an der These festhielten, es habe sich um eine Hetzjagd oder „Pogrome“ gehandelt.
Kepplinger zeigt in seinen Büchern, dass auch in einer modernen und vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft archaische Verhaltensweisen in bestimmten Situationen dominieren. Menschen werden an den Pranger gestellt. So wie jetzt im Fall Maaßen haben viele Politiker und Journalisten offensichtlich Freude daran, jemanden fertig zu machen und beteiligen sich besonders dann gerne an der Kampagne, wenn schon abzusehen ist, dass der Attackierte keine Chance hat, unbeschädigt daraus zu kommen.
Anders als in geordneten Verfahren (etwa in einem Gerichtsprozess) werden die be- und entlastenden Faktoren nicht nüchtern abgewogen, sondern das Urteil steht – ähnlich wie bei einem Schauprozess – schon vorher fest und muss nur noch öffentlich exekutiert werden.
Es gibt aber wenigstens einen Lichtblick: Während die deutschen Medien fast gleichförmig gegen Maaßen in Stellung gegangen sind, zeichnet sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – wieder einmal – durch kritische und unabhängige Berichterstattung aus. Sie überschreibt ihren Bericht zutreffend mit der Überschrift: „Die deutsche Regierung entledigt sich eines Querkopfes“. In dem Kommentar heißt es: „Hans-Georg Maaßen war einer der Ersten, die den politischen Betrieb der Bundesrepublik vor den Folgen der unkontrollierten Masseneinwanderung gewarnt haben. Das bleibt sein Verdienst, auch wenn lange niemand auf ihn hören wollte, die Kanzlerin vorneweg. Laut einem Bericht der ‚Welt‘ hält Merkel es seit Jahren nicht für nötig, an der wöchentlichen Sitzung zur Sicherheitslage mit den Chefs ihrer Geheimdienste im Kanzleramt persönlich teilzunehmen. Vielleicht überlegt sie es sich ja jetzt noch einmal. Den Mann, der ihr am deutlichsten widersprochen hätte, ist sie los.“