Die Sendereihe „ZDF logo“ bietet nach eigener Definition „Nachrichten aus aller Welt, verständlich erklärt“ für Kinder und Jugendliche. Dafür steht ihr ein Etat von fünf Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Die Nachrichten und Erklärstücke fallen nicht selten tendenziös und schlampig aus.
Der ZDF-logo-Beitrag „Annalena Baerbock: Grünen-Kanzlerkandidatin“ setzt allerdings ganz neue Maßstäbe. Denn seine Autorin namens Fränzi versucht, darin nebenbei das politische System in Deutschland zu erklären. Die Beiträge von ZDF logo richten sich an ein junges Publikum. Erläuterungen sollten deshalb einfach, aber zutreffend sein. In dem Text „Annalena Baerbock: Grünen-Kanzlerkandidatin“ sind sie einfach falsch – und das gleich reihenweise.
Mag sein, dass Fränzi nicht weiß, was im Grundgesetz steht. Aber irgendjemand, der die ZDF-logo-Texte abnimmt, sollte dessen Text zumindest in groben Zügen kennen.
„Bei der Bundestagswahl im September“, behauptet die ZDF-logo-Autorin, „wird eine neue Regierung gewählt. Die Partei, die die Wahl gewinnt, entscheidet, wer Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler wird.“
Es dürfte schwer sein, in zwei kurzen Sätzen mehr Falschbehauptungen unterzubringen. Gewählt wird zur Bundestagswahl ein Parlament. Regierungen werden dagegen überhaupt nicht gewählt. Der Bundestag wählt einen Bundeskanzler oder eine –kanzlerin. Auf deren Vorschlag ernennt der Bundespräsident die Minister – also die Regierung. Folglich entscheidet auch nicht eine Partei, wer Kanzler oder Kanzlerin wird – auch, wenn Parteien real mehr Einfluss ausüben, als es das Grundgesetz vorsieht – , sondern die Parlamentsmehrheit. Das, was zumindest nach der Verfassung im Zentrum einer parlamentarischen Demokratie stehen sollte, nämlich das Parlament, kommt in dem ZDF-logo-Beitrag an keiner Stelle vor.
Konsequenterweise geht es mit den Parteien weiter: „In den Monaten vor der Wahl geben die großen Parteien deshalb bekannt, wen sie für dieses Amt ins Rennen schicken möchten. Die Grünen haben sich für Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin entschieden. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat nun Annalena Baerbock nominiert.“
Auch das stimmt nicht. Bisher hatte die Partei dazu nichts entschieden. Die Nominierung machten bisher Robert Habeck und Baerbock unter sich aus, ohne dass die Öffentlichkeit erfuhr, nach welchen Kriterien sie entschieden hatten. Ein paar Absätze später heißt es dann auch beim ZDF:
„Dass Baerbock Kanzlerkandidatin sein soll, gilt zwar als sicher, aber im Juni kommt die Partei nochmal zusammen, um ihre Entscheidung endgültig zu bestätigen.“
Warum die Partei, genauer: der Parteitag jemand erst „endgültig bestätigen“ muss, den sie angeblich schon nominiert hat – dieser Logikfehler hätte bei dem Sender eigentlich schon beim flüchtigen Gegenlesen auffallen müssen. In diesem Stil geht es weiter. Über Annalena Baerbock berichtet Autorin Fränzi:
„Sie ist nach Angela Merkel die zweite Frau überhaupt, die sich um das Amt der Bundeskanzlerin bewirbt.“
Um gleich darunter festzustellen:
„Die Nominierung von Baerbock ist auch deshalb besonders: Es ist das allererste Mal, dass die Grünen einen Kandidaten oder eine Kandidatin für die Bundestagswahl aufstellen.“
Nicht nur die zweite Kanzlerkandidatin nach Merkel, sondern außerdem noch die erste der Grünen – gut, dass das ZDF darauf hinweist. Der nächst logo-Logikbruch folgt sofort:
„Das liegt daran, dass die Partei in den letzten Jahren beliebter geworden ist. Umfragen aus den letzten Monaten haben ergeben, dass sie nach der Union, die aus den Parteien CDU und CSU besteht, die zweitbeliebteste Partei sei.“
Abgesehen davon, dass Zustimmung für Parteien in Umfragen üblicherweise nicht mit ‚Beliebtheit’ umschrieben wird – wieso die Nominierung Baerbocks deshalb stattfand, weil die Zustimmungswerte für die Grünen hoch sind, erklärt ZDF logo nicht. Bei schlechteren Umfragewerten hätte sie also eher Robert Habeck ins Rennen geschickt?
Nach der Kurzvorstellung der besonderen Kandidatin der beliebten Partei, die sich der Regierungswahl stellt, kommt der programmatische Teil.
„Das möchte Baerbock erreichen“, erläutert die ZDF-Autorin:
„Annalena Baerbock möchte sich für viele Neuerungen in Deutschland einsetzen. Eines ihrer Hauptziele ist der Klimaschutz. In ihrer Rede nach der Nominierung hat sie erklärt: ‚Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Zeit, die Aufgabe meiner Generation’.“
Klimaschutz als ‚Neuerung’: Einmal abgesehen davon, dass sich lange diskutieren lässt, was alles unter den Begriff ‚Klimaschutz’ fällt, und wie viel es mit dem Klima zu tun hat – vieles von dem jedenfalls, was die Grünen unter Klimaschutz verstehen, gilt in Deutschland schon. Was unter anderem daran liegt, dass die Grünen schon einmal in der Bundesregierung saßen, und auch heute über den Bundesrat faktisch mitregieren. Davon erfährt das ZDF-logo-Publikum allerdings nichts. Und stattdessen, dass Annalena Baerbock den Klimaschutz überhaupt erst einführen muss.
„Ein weiteres Ziel von Annalena Baerbock ist es, Deutschland gerechter zu machen“, weiß die kleine logo-Märchentante. „Zum Beispiel sollen die Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, für die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn bekommen.“
Zum grünen Programm gehört zwar ein „echtes und wirksames Entgeltgleichheitsgesetz“, mit dem „möglichst viele arbeitende Frauen erreicht werden“ sollen. Aber auch das sieht nicht vor, dass eine Krankenschwester in der Uckermark den gleichen Lohn erhält wie ein Krankenpfleger in München.
Woher stammt die Kandidatin, die Klimaschutz einführen und Deutschland gerecht machen will?
„Annalena Baerbock ist 1980 geboren und in einem kleinen Dorf in der Nähe von Hannover aufgewachsen. Schon als Kind fand sie Politik spannend und ist auf Anti-Atomkraft- und Friedens-Demos mitgegangen“, erklärt das ZDF: „Nach der Schule hat sie in Hamburg und London Politikwissenschaft und Jura studiert.“
Nein, hat sie nicht. Baerbock studierte von 2000 bis 2004 Politikwissenschaften in Hamburg. Danach absolvierte sie ein Jahr an der London School of Economics, und schloss dort mit einem Master in Internationalem Recht ab. Jura studierte sie also weder in Hamburg noch in London. In London studierte sie keine Politikwissenschaften.
„Seit 2018 ist sie gemeinsam mit Robert Habeck Parteivorsitzende der Grünen. Baerbock ist verheiratet und hat zwei Töchter“ – dieser Part in dem ZDF-logo-Text stimmt ausnahmsweise.
„So geht es jetzt weiter“, informiert das ZDF – und muss seinen Zuschauern eine bittere Mitteilung machen:
„Ob Annalena Baerbock das Amt von Angela Merkel übernehmen wird, wird sich erst im September entscheiden. Auch andere Parteien schicken Kandidaten ins Rennen.“
Nach kurzer Vorstellung der anderen Kandidaten widmet sich die ZDF-Autorin dann wieder ihrem ganz speziellen Verständnis des politischen Systems in Deutschland:
„Erst im September entscheidet sich, welche Partei die Wahl gewinnt und den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin stellt. Nur wenn die Grünen die meisten Stimmen gewinnen, kann Baerbock die neue Bundeskanzlerin von Deutschland werden.“
Was abermals nicht stimmt: Kanzler oder Kanzlerin wird, wer im Bundestag – also dem Gremium, das bei ZDF logo nicht existiert – eine Stimmenmehrheit auf sich vereinen kann, die sich aller Wahrscheinlichkeit auf mehrere Fraktionen verteilt. Die meisten Stimmen hatte die Union bei den Wahlen beispielsweise 1976 und 1980 erhalten. Kanzler wurden Helmut Kohl beziehungsweise Franz Josef Strauß damals trotzdem nicht.
Dass in einem Erklärtext eines öffentlich-rechtlichen Senders zur Bundestagswahl die Sympathie für die Grünen in jedem Absatz durchschimmert, erwartet wahrscheinlich niemand ernsthaft anders. Aber in einem Stück über Wahlen die Existenz des Parlaments noch nicht einmal am Rand zu erwähnen – das markiert auf den ersten Blick eine neue Qualität. Aber nur auf den ersten. Mit dem zweiten sieht man bekanntlich besser. Denn auch im ZDF-Hauptprogramm beschließt die Regierung unentwegt Gesetze und Maßnahmen – und nicht der Bundestag:
Welche Funktion dieser Bundestag überhaupt erfüllt, ist vermutlich auch regelmäßigen Zuschauern des heute-Journals nicht mehr ganz klar. Vermutlich verhält es sich wie bei der Nominierung von Annalena Baerbock durch die Partei:
Eigentlich ist über neue Gesetze schon entschieden. Sie müssen dann nur noch der Form halber endgültig bestätigt werden.
Sollte logo-Autorin Fränzi ihre politische Bildung also hauptsächlich aus dem ZDF beziehen, ist sie soweit entschuldigt.