Tichys Einblick
Fake-Nuss

Von 18.500 Fukushima-Toten in der ARD und anderen Märchen

Bei der Tagesschau fallen entscheidende Worte weg, ein Meteorologe agitiert mit absurden Argumenten gegen Kernkraftwerke, eine Grünen-Aktivistin erfindet Schwerverletzte. Offenbar gilt beim Senderverbund das Motto: Warum nicht, wenn’s der Sache dient.

IMAGO / Steinach

Am 13. Januar platzierte die Tagesschau auf ihrer Online-Seite eine aus mehreren Gründen bemerkenswerte Meldung: „Das am Meer gelegene Atomkraftwerk Fukushima war kurz nach einem schweren Erdbeben am 11. März 2011 von einem fast 15 Meter hohen Tsunami getroffen worden. Das Kühlsystem des Kraftwerks fiel aus, in drei der sechs Reaktoren kam es zur Kernschmelze. Es war das schlimmste Atomunglück seit der Tschernobyl-Katastrophe von 1986, etwa 18.500 Menschen kamen ums Leben.“

Das Besondere dieser Meldung liegt in gleich drei Punkten: Erstens ist sie falsch – im März 2011 im Zusammenhang mit dem Atomunfall in Fukushima starben nicht 18.500 Menschen, sondern überhaupt keiner. Bei der Explosion von Knallgas am 11. März gab es mehrere Verletzte, aber keine Todesopfer. Bis heute liegt die Zahl der Strahlentoten durch Fukushima nach der Statistik der Internationalen Atomenergiebehörde bei exakt einem mutmaßlichen Opfer, das 2018 an Krebs starb. Zweitens kehrt die Wanderlegende von den tausenden Fukushima-Toten seit Jahren wieder. Die Redaktion der wichtigsten ARD-Nachrichtensendung, die sich kürzlich zum 70. Jahrestag des Sendeformats als „Bollwerk gegen Fake news“ lobte, hätte sie eigentlich kennen müssen. Und drittens sendete die Tagesschau auf ihrer Webseite erst Ende 2022 eine besonders groteske Schwindelgeschichte: die Mär von dem angeblichen Erfinder Maxwell Chikumbutso, der dem begeisterten Bericht der Südafrika-Korrespondentin einen stromerzeugenden Wunderfernseher konstruiert.

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„Ein ganz normaler Flachbildfernseher steht auf dem Tisch“, hieß es in dem Beitrag: „Ein ganz normaler? Naja, nicht ganz: Das Stromkabel fehlt. Maxwell Chikumbutso hat das Gerät ausgeschaltet und erklärt: ‚Jetzt ist es ein Mikroschallgerät, das Energie generiert. Selbst wenn der Fernseher aus ist, können durch ihn andere Dinge mit Strom versorgt werden.“

Mit einem Rechercheklick bei Google hätte die ARD-Mitarbeiterin feststellen können, dass es sich bei Maxwell Chikumbutso um kein verkanntes Genie handelt, sondern um einen Eulenspiegel, der schon seit Jahren leichtgläubiges Publikum mit seinen angeblichen Wundergeräten narrt. Zu seinem Portfolio gehörte auch schon ein Tesla, der nach seiner Versicherung fuhr, ohne die Batterie je nachladen zu müssen. Abgesehen davon passte die Geschichte vom stromerzeugenden TV-Gerät auch schlecht zu den Grundgesetzen der Physik, die sowohl in Simbabwe als auch in der Hamburger Tagesschau-Redaktion gelten. Deren Mitarbeiter zogen die peinliche Geschichte damals zurück; ihre Chefredaktion versicherte damals: „Hohe Qualitätsansprüche an journalistische Arbeit sind uns sehr wichtig, und wir gehen davon aus, dass alle Korrespondentenberichte, die wir veröffentlichen, vorab nach allen journalistischen Grundregeln geprüft wurden.“ Künftig werde das Team gemeinsam daran arbeiten, „die Abläufe weiter zu verbessern“.

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Welche Prüfung bei dem Stück aus dem Süden Afrikas stattfand, blieb im Dunkeln. Aber jedenfalls gaben die Verantwortlichen mehr oder weniger das Versprechen ab, so etwas würde sich nicht wiederholen. Danach dauerte es nur vier Monate bis zur Fukushima-Falschmeldung. In diesem Fall gab es – anders als bei der Wunderfernseher-Geschichte – auch weder eine Entschuldigung oder irgendeinen anderen redaktionellen Hinweis. Die Tagesschau korrigierte die Falschmeldung nur stillschweigend. Damit enden die Merkwürdigkeiten noch nicht. Auf die Anfrage von TE, warum es trotz der Ankündigung, „die Abläufe weiter zu verbessern“, zu dieser gravierenden Falschmeldung kam, antwortete die zuständige Pressestelle des NDR überhaupt nicht. Auch nicht auf die Frage, warum die Meldung dann ohne Transparenzhinweis geändert wurde, also heimlich. Stattdessen gab die Redaktion ARD-aktuell eine Erklärung ab, die sich selbst in der Nähe der Irreführung bewegt.

„Grundlage der Meldung zum Thema Wassereinleitung aus dem AKW Fukushima ins Meer vom 13.01.23 waren Nachrichtenagenturmeldungen“, heißt es in der Antwort an TE. „Beim Bearbeiten dieser Meldungen wurde Text gekürzt. Durch diese Kürzung kam es im Artikel zu einem falschen Eindruck. Die Redaktion hat dies schnellstmöglich korrigiert.“

In Wirklichkeit gibt es überhaupt kein ersichtliches Motiv, einen Agenturtext für eine Onlineseite zu kürzen – schließlich gibt es dort keine vorgegebene Platzbegrenzung. Und es existiert schon erst recht kein technischer Grund, wenn die Kürzung nur drei Worte betrifft – allerdings eben die zum Verständnis entscheidenden. Denn der Satz aus der Originalmeldung vor der Tagesschau-Bearbeitung lautete völlig korrekt: „Durch den Tsunami kamen etwa 18.500 Menschen ums Leben.“

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An die Behauptung, der oder die Zuständige habe aus objektiven Gründen gekürzt, schließt sich die mindestens irreführende Formulierung „falscher Eindruck“ an, die so klingt, als hätte das eigentliche Problem beim Leser gelegen.

Nicht der Eindruck war falsch, sondern die Tagesschau-Meldung. Und es spricht auch nichts dafür, dass die Streichung genau der drei Worte aus Versehen passierte.

Vor allem schien es – trotz der Beteuerung nach der Wunderfernseher-Geschichte – auch hier wieder entweder keine Kontrollinstanz gegeben zu haben – oder eine, der selbst grobe Falschaussagen nicht auffallen. Zumal zu der Legende von den tausenden Fukushima-Atomopfern, wie schon erwähnt, eine lange Chronik existiert.

Zum ersten Mal brachte die damalige Grünen-Politikerin und heutige Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Falschbehauptung prominent in Umlauf, als sie 2013 auf Facebook schrieb:

„Heute vor zwei Jahren ereignete sich die verheerende Atom-Katastrophe von Fukushima, die nach Tschernobyl ein weiteres Mal eine ganze Region und mit ihr die ganze Welt in den atomaren Abgrund blicken ließ. Insgesamt starben bei der Katastrophe in Japan 16.000 Menschen, mehr als 2700 gelten immer noch als vermisst.“

Im Bundestags-Wahljahr 2021 twitterte die heutige Außenamtschefin Annalena Baerbock zwar keine Zahl, behauptete aber, „viele“ Menschen hätten durch die Reaktorkatastrophe von Fukushima ihr Leben verloren:

„Zeit innezuhalten und an die vielen Menschen zu denken, die durch das Unglück zu Schaden gekommen sind oder ihr Leben verloren haben. Es ist beruhigend, dass Deutschland nächstes Jahr aus der Hochrisikotechnologie #Atomkraft aussteigt.“

Eine besonders originelle Version steuerte Renate Künast 2019 im Interview mit Zeit Online bei, als sie den Unfall von Fukushima ohne nähere Erklärung mit dem Klimawandel verknüpfte.

„Der Atomunfall in Fukushima oder die Dürresommer haben gezeigt“, so Künast, „dass man den Klimawandel nicht mehr leugnen kann.“

Bei der Wiederaufbereitung der mittlerweile schon notorischen Geschichte von den tausenden Atomtoten handelte es sich nicht um die einzige aktuelle Fehlleistung der ARD auf dem Gebiet Energie und Klima. Hier scheint der Senderverbund besonders anfällig für Verdrehungen und propagandistische Behauptungen. Am 15. Januar 2023 durfte der Meteorologe Mojib Latif bei „Anne Will“ zu einem langen Monolog ansetzen – und unwidersprochenen Unsinn über deutsche Kernkraftwerke behaupten.

Er kam auf die Kernkraftwerke in Frankreich zu sprechen und meinte: „Die AKW standen dort nicht nur still, weil sie marode waren […], sondern auch, weil sie nicht mehr gekühlt werden konnten.“ Um dann auf die Atomanlagen in Deutschland zu kommen: „Stellen Sie sich mal vor, wir haben jetzt wieder einen Supersommer, […] und dann funktionieren die Kernkraftwerke auch nicht mehr. Dann haben wir hier auf’s falsche Pferd gesetzt.“

Spätestens hier hätte die Moderatorin fragen müssen, welche Supersommer-Hitze Latif eigentlich bis zum 15. April erwartet – denn zu diesem Zeitpunkt sollen die drei verbliebenen Anlagen nach dem Willen der Bundesregierung sowieso vom Netz.

Aber selbst dann, wenn sie länger laufen würden: Für seine Mutmaßung, die Kraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland müssten dann aus Hitzegründen abgeschaltet werden, finden sich keinerlei Anhaltspunkte. Es gab auch in dem heißen Sommer 2022 keine Abschaltungen von Kernkraftwerken in Deutschland, weil das Kühlwasser aus den Flüssen zu heiß geworden wäre, oder der Pegelstand zu stark gefallen wäre. Auch nicht in den durchschnittlich noch wärmeren Sommern 2018 oder 2003 (bei dem Sommer 2022 handelte es sich nur um den viertheißesten seit 1881). Die drei verbliebenen Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland geben ihre Abwärme zu 99 Prozent über Kühltürme ab, Isar 2 und Emsland über Naturzug-Nasskühltürme, Neckarwestheim über eine Hybridanlage. Dafür entnehmen sie zwar Wasser, allerdings weit weniger, als die Gewässer selbst bei Regenmangel liefern. Nur der Pegel der Ems kann an einigen Tagen im Jahr unter die kritische Marke fallen. Für genau diesen Fall gibt es neben dem Kraftwerk das 2,3 Quadratkilometer große Speicherbecken Geeste mit 23 Millionen Kubikmeter Frischwasser. Nach Angaben des Isar-2-Betreibers Preussen Elektra beträgt die Grenztemperatur, bis zu der das Kraftwerk noch Kühlwasser aus dem Fluss entnehmen kann, 28 Grad. So stark heizt sich die schnell fließende Isar, deren Wasser aus den Bergen stammt, selbst in den heißesten Monaten nicht auf. Ähnliches gilt für den Neckar. Die von Latif beschworene Gefahr einer hitzebedingten Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke existiert also überhaupt nicht.

Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Wohl dem, der lügt und das auch noch sendet
Anschließend behauptete Latif, Strom aus Atomkraftwerken sei „die teuerste Form der Energiegewinnung überhaupt“ – eine vielfach widerlegte Falschbehauptung. Zum Ende seines langen Redebeitrags erklärte er, die Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke müssten auch deshalb verschwinden, weil es erst dann „Investitionssischerheit“ für Windkraft- und Solaranlagen geben würde. Warum jemand erst dann in Wind- und Solarparks investieren kann, wenn es keine anderen Stromerzeugungsmethoden mehr gibt, begründete er nicht. Die Moderatorin fragte auch nicht nach. Dass es sei, meinte der Meteorologe, wisse er „aus „vielen Gesprächen, die Menschen in der Finanzindustrie brauchen Sicherheit“. Aber offenbar nur in Deutschland; in fast allen anderen Ländern der Welt, die Wind- und Solarenergie nutzen, laufen auch noch fossile Kraftwerke, Nuklearanlagen oder beides, und zwar mit langer Perspektive.

Bei Mojib Latif handelt es sich um einen interessanten Fall. In der Sendung „Hallo Deutschland“ sagte er 1997 eine Abkühlung voraus: „Für die nächsten 20 Jahre gehen wir davon aus, dass es kälter wird.“ Zwar gebe es auch einen gegenteiligen menschengemachten Trend, aber: erst kühle es ab, „während wir erst in hundert Jahren die globale Erwärmung spüren“.

Im April 2000 behauptete er dann gegenüber Spiegel Online:

“Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben”. Beide Prognosen erwiesen sich als falsch – genauso wie seine Behauptung zu hitzebedrohten Kernkraftwerken in Deutschland.

Die dritte Irreführung des Publikums innerhalb kurzer Zeit auf dem Gebiet Energie, Klima und Aktionismus leistete sich die ARD-Anstalt WDR in ihrer Berichterstattung über die Räumung des schon von seinen Einwohnern verlassenen Weilers Lützerath von Demonstranten. Die Sendung „WDR aktuelle Stunde“ zitierte die angebliche „Demo-Sanitäterin Iza Hofmann, Vorstandsmitglied der Grünen Jugend Trier, mit der Behauptung, die Polizei habe bei der Räumung Demonstranten „systematisch auf den Kopf geschlagen“, und es habe „lebensgefährliche Verletzungen gegeben“. Dieser Beitrag schaffte es ebenfalls in die Tagesschau um 20:00 Uhr.

Kritische Rückfragen, Recherchen vor der Ausstrahlung: keine. Der Sender folgte erst einmal dem Prinzip der Öffentlich-Rechtlichen, Aussagen sogenannter Aktivisten umstandslos für zutreffend zu halten. Erst später forschten mehrere Journalisten nach, auch etwas misstrauisch geworden, weil Hofmann es ablehnte, ihnen Details zu den angeblich Schwerverletzten mitzuteilen.

Es stellte sich heraus, dass es sich bei ihrer Behauptung um eine freie Erfindung handelte. Der WDR korrigierte sich zwar – die Falschaussage blieb aber vorher 50 Minuten lang abrufbar. Die Zuschauer erfuhren auch nicht, dass es sich bei der angeblichen Sanitäterin um eine grüne Nachwuchspolitikerin handelt.

Nach der Aussage des Klinikums Erkelenz, das sowohl verletzte Demonstranten als auch Polizisten behandelte, habe ein Demonstrant eine Prellung am Oberschenkel davongetragen, bei zwei Aktivisten gab es einen Verdacht auf eine Gehirnerschütterung – aber alle drei verließen das Krankenhaus auch schnell wieder. Im Übrigen zählten die Mediziner eine gebrochene Hand und eine Sprunggelenkfraktur, letztere ohne Fremdeinwirkung.

Insgesamt, so das Klinikum, seien auch sieben verletzte Polizeibeamte behandelt worden. Für lebensgefährliche Verletzungen gab es keinerlei Beleg.

Fazit: Wenn es bei der ARD zu Fehlern, merkwürdigen Kürzungen, Leichtgläubigkeit oder schlichter Propaganda beim Thema Energie, Klima und Aktivismus kommt, dann weisen sie alle in die gleiche Richtung.

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