Tichys Einblick
Krude Thesen

Fake-News: Nicht nur beim SPIEGEL gerne erfunden

Fake News in den klassischen Medien sind kein Einzelfall. Sie werden nicht von Betrügern erfunden, sondern sind Ausdruck einer gewünschten Haltung. So werden gezielt Personen und Informationen diskreditiert. Ein Fallbeispiel für publizistische Vernichtung ist der Fall Sarrazin.

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Die Debatte um das Werk „Deutschland schafft sich ab“ des früheren Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin ist ein Beispiel dafür, wie Dämme brechen, und Fake News sich derart verselbständigen, dass dies weder Gegnern noch Unterstützern Sarrazins auffällt. Flächendeckend wurde die Trennung zwischen Information und Meinung  aufgeweicht. Auch in die eigentlich neutral zu formulierenden Artikel haben sich wertende Bezeichnungen eingeschlichen, die nur in Kommentaren Berechtigung haben wie „krude Thesen“.

Damit werden viele nüchterne Leser verängstigt. Fast jedes Medium übernimmt seither diesen Ausdruck. Manche, die meist als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichnet werden, vermuten, im Hintergrund ziehe eine „Reichspressekammer“ die Fäden.

Nicht nur beim SPIEGEL
Medien: Haltung statt Wahrheitssuche
Die Erklärung ist weit simpler. Die Medienlandschaft wurde über Jahre hinweg kaputtgespart – weniger Mitarbeiter müssen mehr Arbeit leisten. So werden Agenturmeldungen unverändert übernommen. Die Formulierung von den „kruden Thesen“ wurde hundertfach abgeschrieben, nachdem sie einmal in der Welt war. Besser lässt sich kaum zeigen, wie wenig eigenständiges Denken in Redaktionen gefordert ist.

Unisono hatten die Medien berichtet, Sarrazin habe über genetisch dümmere Ausländer sinniert – durch seine laxe Einwanderungspolitik schaffe sich Deutschland ab. Seltsamerweise konnte man diese Behauptung aber weder durch ein Zitat noch eine Seitenangabe untermauern. Eine entsprechende Passage findet sich schlicht nicht im Werk – im Gegenteil.

Diese Deutung vorgeben hatte eine Agenturmeldung. Sarrazin sprach im Juni 2010 beim Unternehmerverband Südhessen in Darmstadt und skizzierte sein kurz darauf erscheinendes Buch in den Grundzügen.

Im wesentlichen stützte sich seine Argumentation auf zwei Thesen:

1. Intelligenz ist genetisch bedingt. Durch Geburtenmangel im Bildungsbürgertum gehe Humankapital verloren, wohingegen die bildungsferne Schicht sich zu stark vermehre.
2. Zuwanderer aus dem islamischen Kulturkreis würden sich nicht in die deutsche Kultur integrieren und daher kaum wirtschaftlichen Mehrwert erbringen.

Punkt 1 ist unabhängig von der Nationalität. In Sarrazins Augen kommt dem ausländischen Akademiker ein höherer Wert zu als dem deutschen Hartz-IV-Empfänger. Das mag man ablehnen. Aber für Sarrazin zählt Bildung – nicht „Rasse“ oder Herkunft.

Die dpa-Meldung präsentierte dem unbedarften Leser aber durch selektive Zitierung ein Junktim aus 1+2. Ausländer seien genetisch dumm und daher ein Schaden für Deutschland.

Ungeprüft verbreitete sich diese Interpretation im Mainstream und gab kurz darauf die Stoßrichtung der Debatte vor. Eine staatlich gelenkte Lügenpresse ist nicht vonnöten. Ein einzelner Lügner reicht, den Rest übernehmen Herdentrieb und ungenügende Qualitätskontrolle.

Besonders peinlich: Als einziges linkes Medium berichtete ausgerechnet das einstige SED-Organ Neues Deutschland korrekt. In dem Beitrag Jürgen Amendts heißt es:

„Gegen den syrischen Arzt oder türkischen Ingenieur hat Sarrazin nichts. Ihn stört der Pleb.“ (Deutsch wäre: die Plebs.)

Torheit und Hochmut
SPD strengt neues Ausschlussverfahren gegen Sarrazin an
Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Sarrazins Thesen war nicht gefragt. Nur wenige Beiträge versuchten, Gegenargumente zu formulieren. Offenbar sind manche Gedanken so gefährlich, dass bereits ihre Widerlegung hieße, sie ernst zu nehmen und ihren Urheber als Gesprächspartner anzuerkennen.

Das Credo lautete: „Sarrazin muss weg!“ Der unliebsame Geist müsse aus SPD und Vorstand der Bundesbank ausgeschlossen werden. Es galt „Haltung zu zeigen“, oder „rechtem Gedankengut“ entgegenzutreten. Ob Sarrazin die Wahrheit sagte, war zweitrangig. Er habe seiner Partei, der Bundesbank, ja dem gesamten Land Schaden zugefügt – ungeachtet der Tatsache, dass ihm laut Umfragen viele Deutsche zustimmten.

Auch die politische Klasse hatte sich kaum besser verhalten. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel sah Sarrazin „in der Nähe der Rassenhygiene“ und wollte ihn aus der Partei ausschließen, Bundespräsident Christian Wulff aus dem Vorstand der Bundesbank entfernen. Bundeskanzlerin Merkel empfand „Deutschland schafft sich ab“ als „nicht hilfreich“ obwohl sie (wie auch Grünen-Urgestein Hans-Christian Ströbele) es überhaupt nicht gelesen hatte. Und Thomas de Maizière behauptete allen Ernstes, Sarrazin habe gegen den Grundsatz „Das tut man nicht!“, verstoßen, obwohl er zugab, dass Integrationsprobleme wie die „höhere Gewaltneigung bestimmter Ausländer“ existierten.

Dass es fast keinem Journalisten gelang, sich in die Gedankenwelt Sarrazins einzuarbeiten, bestätigt glänzend die Thesen des amerikanischen Sozialpsychologen Jonathan Haidt. Dieser hatte herausgefunden, dass Konservative in aller Regel sehr genau wissen, wie Linke „ticken“ – umgekehrt gilt dies allerdings nicht.

Wahrscheinlich ist keines der beiden politischen Lager in seiner Einsichtfähigkeit per se über- oder unterlegen. In den Gesellschaften der westlichen Welt allerdings herrschen linke Deutungsmuster vor. Ein Konservativer ist daher durch Lehrer, Professoren, Journalisten, Kulturschaffende etc. bestens mit dem Weltbild des Gegners vertraut und muss in der politischen Auseinandersetzung nach dessen wunden Punkten in der Argumentation suchen. Umgekehrt können Linke sich darauf verlassen, in einer Diskussion mittels ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit einen Sieg einzufahren, ohne lange überlegen zu müssen. Unter Adenauer oder McCarthy wäre Haidt also vermutlich zu gegenteiligen Ergebnissen gekommen.

Paradoxerweise erreichte die Medienkampagne ihr genaues Gegenteil.

Halbe Wahrheit, doppelte Gefahr
Sarrazins Werk ist durch Statistiken und psychologische Studien alles andere als leserfreundlich. Selbst durch freundliche Rezensionen hätte es kaum Leser außerhalb kleiner intellektueller Zirkel gefunden. Erst durch die massiven Vereinfachungen konnte es ein breites Publikum erreichen. In der bildungsfernen Schicht wäre Sarrazin bei einer objektiven Berichterstattung wohl kaum auf Sympathien gestoßen. Die Medien bescherten ihrem Gegner so unfreiwillig einen riesigen Erfolg.

Letztlich richtete sich die Medienkampagne nicht gegen Sarrazin, sondern die Meinungsfreiheit an sich. Jeder, der den Multi-Kulti-Illusionen nicht erlag, sollte als Rechter gebrandmarkt werden. Selbst Positionen, die noch im Jahr 2000 in der Mitte der Gesellschaft lagen, galten nun als extremistisch. Damit wurde ein Konsens angetastet, den nicht einmal die DDR infragestellte. Diese hatte sich wenigstens noch bemüht, den Schein der Meinungsfreiheit aufrecht zu erhalten. Zu diesem Zwecke gab es die National-Demokratische Partei Deutschlands, die als konservative Partei die Interessen der ehemaligen Wehrmachtsangehörigen und Heimatvertriebenen wahren sollte. Selbst die Fassade einer Meinungsfreiheit ist für den journalistischen Mainstream eine Zumutung. Wohl aus „Protest“ machen viele Bürger ihr Kreuz bei der AfD – selbst dann, wenn sie von rechtem Gedankengut abgestoßen sind.

Auch die erbittertsten Gegner Sarrazins betonten stets, dieser habe keine Einschränkung seiner Meinungsfreiheit hinnehmen müssen. Er habe ein Millionenpublikum erreicht und nach seinem „freiwilligen“ Abschied aus der Bundesbank eine fürstliche Entschädigung kassiert. All das stimmt – aber nicht für Normalsterbliche. Ein Lehrer, der Integrationsdefizite unter seinen Schülern sieht, wird sich zwei Mal überlegen, ob er von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch macht – eine Millionenabfindung wird er im Falle seiner Entlassung nicht erhalten.

Sarrazin über die Fehler der SPD
„Was ist los mit Ihrer SPD, Herr Sarrazin?“
Indirekt geben die Medien mittlerweile zu, die Meinungsfreiheit eingeengt zu haben. Dies zeigt eine – den „kruden Thesen“ nicht unähnliche – Wortschöpfung. Immer häufiger beklagen Artikel, seit dem Aufstieg der AfD habe eine Verschiebung der „Grenzen des Sagbaren“ stattgefunden. Nun macht die Verwendung dieses Begriffs ohne Gegenstück nur wenig Sinn. Gewisse Ideen waren „unsagbar“, unterlagen also einem Denkverbot.

Würden die Medien ihren selbst verordneten Kurs der Selbstkritik wirklich ernstnehmen, wäre eine Entschuldigung gegenüber Sarrazin das Mindeste.

Der Geschichte lehrt uns: eine solche Entschuldigung wird erfolgen. Jedoch erst lange nach dem Tod Sarrazins, wenn keiner der Beteiligten von 2010 mehr eine Führungsposition innehat.


Lukas Mihr ist Historiker und freier Journalist.


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