Schlagzeilen machte anfänglich nur, dass der ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes Holger Friedrich und seine Ehefrau Silke im September den Berliner Verlag erwarben – und damit auch die „Berliner Zeitung“. „Hatte die PR-Präsenz der Neuverleger“ zunächst „eine gewisse Euphorie“ in der Medienwelt verursacht, „so gibt es nun allerhand investigative Nachforschungen“ („Handelsblatt“).
Am Anfang war seltsamerweise völlig untergegangen, dass Holger Friedrich nicht nur die „Berliner Zeitung“, sondern handstreichartig gleich auch noch weitere Printmedien sowie große Teile des halbstaatlichen Internetportals Berlins, von „berlin.de“, gekauft hat. Damit ist Friedrich nunmehr Besitzer oder Teilbesitzer von acht relevanten Medien in der Hauptstadt. Die wichtigsten davon sind:
• Die „Berliner Zeitung“ war die führende Tageszeitung der SED im damaligen Bezirk „Hauptstadt der DDR“. Das Blatt ist heute die zweitwichtigste Abonnementzeitung Berlins (nach dem „Tagesspiegel“ und vor der „Berliner Morgenpost“).
• Die Boulevardzeitung „Berliner Kurier“ war eine ehemalige SED-Zeitung, sie findet ihre Käufer heute vor allem im Osten Berlins.
• Das „Berliner Abendblatt“ ist eines der größten Anzeigenblätter Europas. Das wöchentlich erscheinende Blatt hat zahlreiche Lokalausgaben und zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen – für Anzeigenblätter ungewöhnlich – sehr großen Nachrichtenteil herausbringt.
• Das Berliner Onlineportal „berlin.de“ ist vermutlich das größte halbstaatliche Nachrichten- und Serviceportal in Deutschland. Das Portal gehört zu gleichen Teilen der Landesbank Berlin und der BV Deutsche Zeitungsholding GmbH, hinter der Silke und Holger Friedrich stehen; ein kleinerer Anteil befindet sich im Besitz der Berliner Volksbank.
Printmedien handstreichartig übernommen
TE berichtete vor kurzem bereits ausführlich darüber, unter welchen Umständen das Ehepaar Friedrich vor wenigen Wochen den „Berliner Verlag“ übernommen hat, eines der wichtigsten Verlagsunternehmen in der Hauptstadt. Das Medienunternehmen gehörte zu DDR-Zeiten dem SED-Parteibetrieb „Zentrag“. In diesem Verlag erscheinen heute die „Berliner Zeitung“, der „Berliner Kurier“, das „Berliner Abendblatt“, die Magazine „Aufs Land“, „Berliner Marco Polo“, „Unser Berlin“ und „U.N.V.E.U.“. Bis 2013 gehörten zu diesem Unternehmen ebenfalls die Anzeigenzeitung „Warnow Kurier“ und das Stadtmagazin „tip“.
Der „Berliner Kurier“, der bisweilen als „Pendant“ zur links positionierten „Hamburger Morgenpost“ bezeichnet wird, hieß in der DDR-Zeit „BZ am Abend“, war der SED direkt unterstellt und in Ostdeutschland die einzige Boulevardzeitung. Das Blatt gehörte nach dem Fall der Mauer zeitweise zum Medienkonzern „Gruner+Jahr“. Seit Oktober 2018 bezieht die Zeitung, die nun „Berliner Kurier“ heißt, seine überregionalen Inhalte vom deutlich links positionierten „Redaktionsnetzwerk Deutschland“.
Das „Berliner Abendblatt“ ist ein Anzeigenblatt, dessen Bedeutung meist sehr unterschätzt wird. Das Blatt wurde 1991 gegründet und ist mittlerweile mit einer Auflage von 1,45 Millionen Exemplaren und mehr als 20 Lokalausgaben eines der größten Anzeigenblätter im europäischen Raum. Besitzer war bis vor kurzem die Kölner „DuMont-Mediengruppe“.
Große Pläne mit dem Internetportal der Hauptstadt
„berlin.de“ – es nennt sich selbst „Das offizielle Hauptstadtportal“ – präsentiert regelmäßig sehr viele Nachrichten, zahlreiche Kultur- und Ausflugstips sowie vielfältige Informationen über die Dienstleistungen und Öffnungszeiten der Berliner Verwaltungen. Auch können Bürger über das Portal Termine bei den „Bürgerämtern“ buchen.
Nach der teilweisen Übernahme des Internet-Portals durch die Friedrichs hat das Neu-Verlegertandem in der „Neuen Zürcher Zeitung“ („NZZ“) die Seiten von „berlin.de“ noch vollmundig als „den eigentlichen Schatz unseres Deals“ bezeichnet. In einem „NZZ“-Interview erklärte Holger Friedrich, er hege große Pläne mit „berlin.de“.
Das Portal solle die zentrale Plattform des Berliner Verlags werden. Friedrich – er kommt aus der IT-Branche – will der „NZZ“ zufolge diese Plattform im Sinne eines „E-Government“ so umfassend modernisieren, dass sie zahlreiche Dienstleistungen für die Bürger, etwa die Anmeldung einer Wohnung, komplett online ermöglichen kann. Silke Friedrich sagte dazu, das Portal sei längst noch nicht „austrainiert“, es könnten auch noch viele „andere Dienstleistungen über ‚berlin.de’ abgewickelt werden“ („Neues Deutschland“).
Der Berliner Senat geht schon mal vorsorglich in Abwehrstellung
Aber die Aktionen und die Ideen des umtriebigen Paares Friedrich haben jetzt viel Staub aufgewirbelt. Die Berliner Landesregierung – der Senat – hat nun ebenfalls erkannt, dass die Berliner Medienaffäre auch schnell die politische Spitze des Stadtstaates erfassen könnte.
So beeilte sich denn Sabine Smentek (SPD) – Staatssekretärin für Informations- und Kommunikationstechnik in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport – prophylaktisch zu erklären: „Wir sind weit davon entfernt, einem privaten Unternehmen tiefere Einblicke in die sensiblen Daten der Berlinerinnen und Berliner zu gewähren. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst, den digitalen Service sicher zu gestalten und gleichzeitig das Risiko eines möglichen Missbrauchs so gering wie möglich zu halten.“ Plötzlich erkennt die Staatssekretärin auch, „kommerzielle Interessen“ dürften „an dieser Stelle überhaupt keine Rolle spielen“. Denn die privaten Daten der Berliner Bürger unterlägen einem „hohen Schutz“.
Schon kurz bevor die Friedrichs den „Berliner Verlag“ kauften, hatte der Senat den „berlin.de“-Vertrag mit der BV Deutsche Zeitungsholding GmbH, die dem Verlegerduo gehört, zum Jahr 2021 (Dezember) gekündigt. Die Gründe dafür sind bisher nicht transparent. Im Umkehrschluss heißt das, dass das Friedrich-Paar womöglich mit „berlin.de“ die Internetlandschaft in der Hauptstadt noch mindestens zwei Jahre öfter kräftig aufzumischen in der Lage ist. Der Skandal um das Portal „Berlin.de“ könnte die Medien also noch recht lange beschäftigen.
„30 Jahre nach dem Mauerfall wird das Erbe der DDR lässig-locker schöngeredet“, schrieb kürzlich das „Hamburger Abendblatt“. Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein, ist offenbar bei einigen Journalisten nur noch wenig ehrenrührig. Bei der „Friedrich-Affäre“ wird vor allem kritisiert, dass ein einzelnes Ehepaar schlagartig etliche Medien „übernimmt“ und sich mit teils kruden Äußerungen in die Öffentlichkeit wagt, die in Kreisen von Journalisten und Verlegern so nicht üblich sind.
Ohne den Staatssicherheitsdienst – und seine vielen Informellen Mitarbeiter – hätte sich der Unrechtsstaat „DDR“ wohl nicht lange halten können. IMs haben also diese totalitäre Diktatur wesentlich gestützt. Doch sehr viele Medienschaffende – vor allem grünrot ausgerichtete – haben dies offenbar schon größtenteils verdrängt.
Bald schon könnte diese „fortschrittliche“ Journaille weitgehend ebenfalls vergessen haben, dass die DDR ein Unrechtsstaat gewesen ist. Matthias Iken – einer der wenigen liberal-konservativen Journalisten, die dem „Hamburger Abendblatt“ heute noch geblieben sind – hat das so formuliert: „Mit jedem Jahr wird die DDR etwas weicher gezeichnet: Inzwischen ist alles nur noch halb so schlimm. Wenn das so weitergeht, wird man zum 50. Jahrestag des Mauerfalls einem sozialistischen Paradies nachtrauern.“