Tichys Einblick
Freiheit nur im Namen:

EU stimmt für Medienfreiheitsgesetz, Journalistenverbände besorgt

Mit dem Medienfreiheitsgesetz verabschiedete die EU ein wohlklingendes Gesetz zur Pressefreiheit, das sich bei genauerem Hinsehen als Orwell’sche Mogelpackung entpuppt. Nicht nur Ungarn und Polen laufen Sturm gegen das Gesetz, auch Journalistenverbände äußern sich besorgt.

David Boos via Midjourney AI/Adobe Firefly

Am Dienstag, dem 3. Oktober, kam im EU-Parlament das sogenannte „Medienfreiheitsgesetz“ („European Media Freedom Act“, kurz: EMFA) zur Abstimmung. Es wurde mit eindeutiger Mehrheit der EU-Parlamentarier angenommen und damit für die abschließenden Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Kommission und Parlament vorbereitet. Während die Kommissions-Vizepräsidentin Vera Jourova das trojanische Pferd Medienfreiheitsgesetz als einen großen Erfolg für die Wahrung der Pressefreiheit feierte, zeigten sich nicht nur die üblichen Verdächtigen aus Polen und Ungarn, gegen die das Gesetz in weiten Teilen gerichtet ist, sondern auch Journalistenverbände aus Deutschland und anderen Teilen der EU höchst besorgt.

Eines der primär propagierten Ziele des EMFA ist der Schutz von Medien vor scheinbar willkürlicher Zensur durch die sogenannten VLOPs („very large online platforms“, also „sehr große Online-Plattformen“ wie Facebook, Twitter, etc.). Diese könnten journalistische Inhalte dadurch nicht mehr einfach einschränken oder entfernen. Um allerdings diesen Schutz zu erhalten, müssen Medien zukünftig u.a. ihre Unabhängigkeit von Regierungen und Parteien nachweisen. Wird dieser Status von einer VLOP bestritten, übernimmt die jeweilige staatliche Medienaufsicht oder ein Selbstregulierungsgremium, wie der deutsche Presserat, die Einschätzung.

Allerdings können VLOPs nach wie vor gegen solche Inhalte vorgehen, nur müssen sie dazu auf die entsprechenden Verstöße in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweisen. Legen Medienanbieter wiederum Einspruch ein, schalten sich dann nationale Aufsichtsbehörden ein. Petra Kammerevert von der SPD erklärte gegenüber netzpolitik.org dazu: „Meiner Meinung nach darf es nicht eine Online-Plattform wie Facebook oder Twitter sein, die letztlich darüber entscheidet, welche Medien Menschen in der EU sehen dürfen und welche nicht.“

Klingt erstmal gut. Bis man sich an die Twitter-Files erinnert und merkt, dass es ohnehin in den seltensten Fällen Twitter und Facebook selbst waren, die solche Entscheidungen trafen, sondern die mit ihnen verbundenen NGOs, Thinktanks und regierungsnahen Organisationen. Was also rein äußerlich als ein Schutzmechanismus erscheint, ist lediglich eine Vollendung der Zensur durch Unterordnung unter staatliche Kontrollorgane.

Zensur wird zur Chefsache

Damit aber nicht genug. Eine europäische Medienaufsicht soll zukünftig diese Prozesse auch auf europäischer Ebene regulieren und damit die jeweiligen nationalen Schutzvorkehrungen zur Sicherung der Pressefreiheit aushebeln. Auch hier zeigten sich Journalistenverbände äußerst besorgt, der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) warnte, dass in der „überwiegenden Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten kein Grund für eine solche Maßnahme“ vorliege, da es „ein funktionierendes Mediensystem“ gebe, das „nicht aufs Spiel gesetzt“ werden oder „durch die vorgeschlagenen Standards gar untergraben“ werden dürfe. Es sei wichtig, so der VÖZ, dass „die Pressefreiheit nach westeuropäischen Standards gewahrt bleibe“.

Neben der Zensur durch VLOPs bzw. die EU, etabliert das EMFA auch einige weitere Regelungen auf europäischer Ebene. So müssen Medienanbieter zukünftig ihre Besitz- und Förderstrukturen offenlegen. Unter anderem beinhaltet das EMFA auch Eingriffe in das Redaktionsgeheimnis, sodass auch der Quellenschutz von Journalisten unterwandert wird. Denn es ist vor allem das staatliche Hacken von Journalisten mit sogenannten „Staatstrojanern“, an dem sich die Abstimmung zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten noch spießt. So verteidigt z.B. Frankreich vehement sein Recht auf die Überwachung von Journalisten aus Gründen der „nationalen Sicherheit“, sodass diese Staatsüberwachung nun in Form eines „übergeordneten öffentlichen Interesses“ auch Eingang in das neue Gesetz fand und damit künftig auch dort möglich wird, wo es die staatliche Gesetzgebung bislang nicht vorsah.

Spätestens bei dieser Frage wird das Gesetz auch zum Politikum. SPD-Politiker wie Kammerevert behaupten, es seien vor allem konservative Stimmen gewesen, die den Schutz von Journalisten vor Durchsuchungen und Spyware verhindert hatten. Dies bestätigte indirekt die CDU-Abgeordnete Sabine Verheyen, die argumentierte, dass man „nicht jedem Individuum, was journalistische Arbeit macht, einen Blankoscheck in allen Lebenslagen und Situationen bezüglich Rechtsstaatlichkeit ausfüllen“ könne. Die Wahl zwischen Pech und Schwefel verdeutlicht der Fall des Grünen-Abgeordneten Daniel Freund, der sich zwar für ein umfassendes Verbot für den Einsatz von Spyware gegen Journalisten einsetzte, andererseits aber auf mehr Kompetenzen für die EU-Kommission gehofft hatte um gegen regierungsnahe Medien in Ungarn vorzugehen.

Im Zweifelsfall lautet also auch hier wieder die Devise: Mehr Zensur! Denn was sich oberflächlich nach dem Schutz von Medien vor der Willkür von Social-Media-Unternehmen ausnimmt, muss im Kontext anderer Gesetzgebung verstanden werden, allen voran der omnipräsenten Hassrede, die als Definition eines Gummiparagraphen immer einer individuellen Auslegung bedarf, und somit herangezogen werden kann um unliebsame mediale Stimmen auch hier wieder zum Schweigen zu bringen. Nur, dass dies nun nicht länger dem Social-Media-Unternehmen selbst, ob nun Mark Zuckerbergs Facebook, oder Elon Musks X, obliegt, sondern direkt den (über-)staatlichen Behörden.

Verbände, Datenschutzrechtsorganisationen und Viktor Orbán warnen, EU-Kommissare lachen

Während aber das EU-Parlament mehrheitlich für das Gesetz stimmte und Parlamentarier die Abstimmung dazu nutzten, sich und ihre Fraktion von anderen abzusetzen, verstummte die Kritik andernorts nicht. Neben dem VÖZ wandten sich bereits im Juni mehr als 400 Verlage, Zeitungen, Zeitschriften und Verbände, darunter der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und der Medienverband der freien Presse (MVFP) in einem offenen Brief an die EU um vor dem EMFA zu warnen. In ihrem Brief wiesen die Unterzeichner darauf hin, dass das EMFA „kontraproduktiv“ für den Schutz der Pressefreiheit wäre und nationale und verfassungsrechtlich geschützte Verfahrensweisen missachtet würden. „Medienfreiheit und Pluralismus werden nicht dadurch erreicht, dass die Medienregulierung europaweit harmonisiert […] wird“, so der Brief.

Vor einem Missbrauch von Spyware warnten hingegen vor allem über 80 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter European Digital Rights und der Chaos Computer Club. Spyware sei ein „mächtiges Werkzeug“ um „journalistische Arbeit, Meinungsfreiheit und letztlich die demokratischen Werte zu gefährden,“ so die Organisationen. Denn ähnlich wie bei der Chatkontrolle gibt es bei einer Infizierung eines Computers mit Spyware keine Garantie mehr, dass Behörden nicht auch weiterhin Daten abgreifen könnten, die im Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit – oder darüber hinaus – stehen.

Zu guter Letzt darf nicht unerwähnt bleiben, dass der ungarische Premierminister Viktor Orbán auf X deutliche Worte für das EMFA fand, als er es als einen „weiteren anti-freiheitlichen Vorschlag aus Brüssel“ bezeichnete. „Wir Zentraleuropäer haben solche Dinge in der Vergangenheit gesehen“, schrieb Orbán. „Sie nannten es Kominform und Reichspressekammer. Nie wieder!“ X-Eigentümer Elon Musk pflichtete dem ungarischen Premier höchstpersönlich zu, was die Kommissionsvizepräsidentin Jourova dazu veranlasste mit einem Lach-Emoji zu reagieren, bevor sie Musk fragte, welche Teile des Gesetzes ihn denn beunruhigten. Ein konziserer Abriss der Debattenkultur Anno 2023 ist wohl kaum denkbar.

Anzeige
Die mobile Version verlassen