Tichys Einblick
Israel – Twelve points?

Der ESC ist eine Feier der europäischen Spaltung

Das Publikum wählt Kroatien und Israel, die Jury die Transideologie. Als Nagelprobe richtiger europäischer Politik zeigt der ESC die tiefen Gräben von Volk und Elite auf. Wokeness und Antisemitismus reichen sich bei dieser politischen Veranstaltung die Hand.

IMAGO / Lehtikuva

In Malmö ist die wichtigste, jährlich stattfindende politische Veranstaltung Europas zu Ende gegangen. Schauerliche Musik und karnevaleske Kostüme begleiten diesen im Fernsehen stattfindenden Christopher Street Day, der als Amüsement daherkommen will, wie das Original aber hochpolitisch ist. LGBT und Migrationspolitik haben schon auf den Vorgängerveranstaltungen ihren Paradewagen herbeigerollt. Auch der öffentlich zelebrierte Satanismus, wie er dieses Jahr aus dem einst stockkatholischen Irland in die schwedische Halle transportiert wurde, ist vielleicht ein neuer Höhepunkt, aber im Prinzip keine Neuheit. Der ESC ohne Stefan Raab ist wie ein Zirkuszelt ohne Tiere und Akrobaten – eine öde Clownvorstellung. Mit irgendetwas muss man sie also anreichern.

Die Zeiten, in denen sich der politische Aspekt vor allem auf die Punktevergabe konzentrierte – manche Völker schanzten sich aus alter Solidarität die Punkte zu, wobei einzig das Dreieck Russland-Ukraine-Weißrussland nicht nur aufgrund der Sanktionen gegen Russland begraben sein dürfte –, sind also längst vorbei. Spätestens seit Conchita Wurst ist der Eurovision Song Contest klar verortet – wer will sich da über einen non-binären Sieger aus der Schweiz echauffieren? Jede Provokation war längst da, jede Rebellion ist lauer Sturm im wohligen Schoß der überwiegenden Meinung von Erwachten und Kriegern der sozialen Gerechtigkeit, die schon lange die begleitenden Medien bestimmen.

Interessant sind daher zwei Aspekte. Denn selbst die politisch korrekte Parade, die der ESC darstellt, ist den Woken noch nicht woke genug. Das im Grunde spießig-langweilige Schaulaufen wird durch die antiisraelischen Proteste de facto in seiner Relevanz aufgewertet. Greta Thunberg war dabei, Greta Thunberg wurde von der Polizei abgeführt. Offenbar sehen auch die Gaza-Protestler im ESC einen vornehmlich politischen Wettbewerb, denn wer wäre schon so verrückt, einen Pop-Song-Contest sabotieren zu wollen, weil ein Kandidat teilnehmen darf, ein anderer nicht?

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat darauf eine überraschend klare Antwort: Antisemiten. „Es entspricht einem gängigen antisemitischen Muster, Israelis kollektiv in Haftung für Handlungen ihrer Regierung oder ihrer Armee zu nehmen, die sie oftmals selbst verurteilen“, sagte Klein den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Hierunter leidet gerade die progressive israelische Kulturszene bereits jetzt erheblich und sieht sich zunehmender internationaler Isolation ausgesetzt.“ Dass Thunberg teilgenommen habe, sei „traurig, wenn auch nicht überraschend“. Sie sollte sich klarmachen, dass sie auf der falschen Seite stünde.

Hier also die Neuerung: So pervertiert der ehemalige Grand Prix Eurovision de la Chanson auch sein mag, Antisemitismus war bisher kein Thema. Israel hat seit den 1970ern am Gesangswettbewerb teilgenommen, aber noch nie wurde ein Teilnehmer solchen Schikanen oder Düpierungen ausgesetzt, war die Teilnahme eines solchen Landes so „umstritten“ wie in diesem Jahr. Die Vertreterin Griechenlands machte sich über Eden Golan gar lustig, als sich diese bedankte.

Bei der Kür dann die Offenbarung. Dass es Diskrepanzen zwischen den Punktebewertungen von Jury und Publikum gibt, sollte niemand überraschen. Bei der Punktevergabe für Israel muss man allerdings von einem System sprechen. Denn nach Publikumsstimmen hätte Israel den zweiten Platz belegt (323 Punkte), Kroatien hätte gewonnen (337 Punkte). Die gesamte ehemalige EU-15-Zone von 1995 vergab geschlossen 12 Punkte – plus Tschechien, Slowenien, Albanien, Moldawien und Zypern. Israel war damit das Land, das am häufigsten 12 Punkte abstaubte, danach folgte Kroatien mit Zwölfer-Punkten aus 9 Ländern.

Die Jury war zu einem anderen Schluss gekommen: Sie vergab lediglich 52 Punkte an Israel. Die Schweiz im non-binären Blumenflatterplüsch erhielt ästhetische 365 Punkte. Im Internet kursierte dazu allerdings nicht nur Empörung, sondern zuvorderst die Vermutung, Israel-Trolle müssten das Ergebnis manipuliert haben, weil Julian Reichelt demonstrativ auf X gefühlte zwanzigmal für Israel abstimmte. Warum nur die israelische Community Europas, nicht aber die non-binäre Community Europas diesen Trick verwendet haben sollte, bleibt das einzige Rätsel.

Damit bestätigte sich neuerlich der politische Charakter der Veranstaltung: Die Diskrepanz zwischen Volksmeinung und Elitenmeinung geht weit auseinander. Die Spaltung muss auch bei einem Gesangswettbewerb zelebriert und perpetuiert werden. Denn mit Völkerverständigung, für welche der Grandprix nach dem zweiten Weltkrieg zuvorderst ins Leben gerufen wurde, hat die Veranstaltung schon lange nichts mehr zu tun. Würde der unter dem Kürzel ESC firmierende Hexensabbat wirklich zur Katharsis der europäischen Seele beitragen, wäre er nämlich längst verboten.

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