Eins versteht Elon Musk wie kein zweiter Unternehmer: sich zu inszenieren. Als er die Twitter-Zentrale betritt, hat er ein Waschbecken in der Hand. Damit gehören die Bilder schon mal ihm. Das Video dazu kommentiert er mit den Worten: Lass das sinken! Eindeutig und widersprüchlich zugleich. Er ist jetzt in den Köpfen der anderen drin. Und zumindest zeugt es von Humor.
Doch Musk ist nicht nur lustig und nett. Er hat seine eigene Entourage dabei, als er Twitter betritt. Dann lässt er den bisherigen CEO Parag Agrawal feuern, ebenso den Chefjuristen Sean Edgett und Vijaya Gadde. Sie war für den Bereich verantwortlich, der über die Entfernung unzulässiger Beiträge entscheidet – und gilt als die Frau, die eine lebenslange Twitter-Sperre über den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verhängt hat. Mindestens einer der drei wird von Sicherheitskräften aus dem Gebäude geführt, berichten amerikanische Medien.
Musks Leute sollen auch dafür gesorgt haben, dass kein scheidender oder frustrierter Mitarbeiter sich rächen kann, indem er die Codes des Unternehmens manipuliert. Als die Aktion abgeschlossen ist, twittert Musk: „the bird is freed“. Der Vogel ist befreit. Einerseits eine Anspielung an das Firmenlogo, andererseits auf den historischen Satz: „The Eagle has landed“. Der Adler ist gelandet. Der steht für die Landung von Apollo 11 auf dem Mond.
Musk kann martialisch. Aber auch sympathisch. Kurz davor zeigt ihn ein Bild auf Twitter, wie er mit den Mitarbeitern in der Kantine plaudert. Sie zeigen das gezwungene Lächeln, das man einem neuen Chef entgegenbringt, bei dem man um seinen Job bangen muss, genau den aber noch nicht aufgegeben hat. Geschossen hat das Foto Walter Isaacson. In den USA alles andere als ein Unbekannter. Er ist Autor der Biografie Steve Jobs’ und des Romans „The Code Breaker“, der sich mit der Frage beschäftigt, wie die Entschlüsselung des Gen-Codes das Leben auf der Erde verändert. Isaacson war auch drei Jahre lang Mitarbeiter in der Administration von Präsident Barack Obama.
Isaacson mitzunehmen, hat einen praktischen Nutzen. Es heißt, er arbeite an einer Biografie über Musk. Aber es ist auch ein Zeichen, solch prominente Begleiter auszuwählen: Musk ist nicht gekommen, um Twitter zu verwalten. Er will es umkrempeln. Schon im Vorfeld hatte die Washington Post berichtet, er wolle in dem Unternehmen 75 Prozent der Mitarbeiter entlassen. Einen Vorgeschmack darauf gibt er, als er das Führungstrio fristlos feuert. Nun hören ihm die Mitarbeiter in der Kantine ganz anders zu, lächeln gezwungen und hoffen, am Ende zu den glücklichen 25 Prozent zu gehören.
Zwischen hart und herzlich muss Musk fortan fliegend wechseln. Noch bevor er zu seinen neuen Mitarbeitern spricht, veröffentlicht er einen Appell auf Twitter. Der richtet sich an die Werbekunden des Unternehmens. Er erklärt ihnen seine Motivation, warum er Twitter gekauft hat: „It is important to the future of civilization to have a common digital town square.“ Er wolle der Menschheit also einen digitalen Marktplatz erhalten, auf dem sie sich treffen und austauschen können. Denn es bestehe aktuell die große Gefahr, dass die Gesellschaft in radikale linke und radikale rechte Flügel auseinanderfalle. Er wolle mit Twitter dazu beitragen, dass diese Spaltung nicht dazu führt, nicht weiter im Gespräch bleiben zu können.
Musk wendet sich nicht an die Werbekunden, um sich zu erklären – sondern weil er fürchten muss, dass sie das Unternehmen verlassen. Zum einen wegen der allgemeinen Marktlage. Zum anderen in Folge einer Kampagne. Für die woke Linke – in den USA wie Europa – ist Musk der Feind. Der Rechte. Der Unternehmer. So titelte der Spiegel „Die Gesetzlosen“ und zeigte dazu Milliardäre mit Musk in der Mitte – Bill Gates, von dessen Stiftung das „Sturmgeschütz der Demokratie“ Millionen erhält, ließ das Blatt dort weg. Wie gegen andere liberal-konservative Medien und Anbieter zuvor, starten die woken Linken nun eine Boykott-Kampagne gegen Twitter unter Musk.
Von Twitter unter Vijaya Gadde profitierten die woken Linken. Das soziale Netzwerk stand unter Gadde offen auf ihrer Seite. Zum Beispiel beim Thema Transsexualität. Skepsis an den Positionen transsexueller Aktivisten führte zu Bestrafungen durch Twitter. Schon der Hinweis auf die Tatsache, dass eine Frau und ein Mann zusammen ein Kind zeugen, konnte als Diskriminierung von Transsexuellen gedeutet werden und zu Account-Sperrungen führen. In die andere Richtung durfte freimütiger gekeilt werden. So sprachen Trans-Aktivisten Morddrohungen gegen die britische Autorin JK Rowling aus. Als sie diese Twitter meldete, antwortete das Team zynisch: Da könne es erstmal nichts machen. Aber sie würden sich darauf freuen, weitere Beschwerden von der Autorin und Mutter entgegenzunehmen. Verantwortet hat diese Politik Vijaya Gadde, die Musk gleich in der allerersten Welle feuerte. Für die Sache der Woke-Linken ein herber Verlust.
Musk steht nun vor einem harten Spagat. Einerseits muss er das Netzwerk wieder attraktiver machen und sein Versprechen umsetzen, einen faireren Austausch der Meinungen zu ermöglichen. Andererseits muss er gegen den Einfluss der woken Linken ankämpfen, für die ein fairer Austausch von Meinungen ein Ende ihres Monopols bedeutet. Wie allzu bereitwillig Unternehmen Konflikten aus dem Weg gehen, hat in Deutschland der Ravensburger Verlag gezeigt, als er nach dem ersten Anzeichen von woker Kritik freiwillig Winnetou-Bücher einstampfte.
Die Medien-Branche ist insgesamt in der Krise. Die Facebook-Mutter „Meta“ auch, wie der jüngste Geschäftsbericht zeigte. Doch die Zahlen Twitters sind noch einmal schlechter: Im zweiten Quartal machte das Unternehmen laut der Wirtschaftswoche 270 Millionen Dollar Verlust bei 1,1 Milliarden Dollar Umsatz. Dass der Kaufpreis von 44 Milliarden Dollar überzogen war, hat Musk wohl mittlerweile selbst festgestellt. Aber andererseits ergibt sich aus der Krise auch eine Chance: An der bisherigen Richtung Twitters festzuhalten, wäre so oder so falsch gewesen. Also muss es komplett umgekrempelt werden. Und das ist nun wirklich etwas, das Elon Musk liegt.