Tichys Einblick
Lars Klingbeils unsäglicher Vergleich

Was es heißt, jemanden Nazi zu nennen

Lars Klingbeil hat gegen Alice Weidel den gefühlt hundertsten Nazi-Vergleich der letzten Jahre rausgehauen. Als Historiker sollte er wissen, welchen Unsinn er da redet. Hier ein Beispiel, das es ihm deutlich machen sollte.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Siege haben viele Väter, Niederlagen keine. Zumindest keine, die sich zur Elternschaft bekennen. Doch die historische Niederlage der SPD bei der EU-Wahl hat Minimum vier Eltern: die notorisch ungeeignete „Spitzenkandidatin“ Katarina Barley sowie das Vorsitzendenteam Lars Klingbeil, Saskia Esken und Kevin Kühnert. Sie haben den Wahlkampf konzipiert, der die Kernbotschaft trug: „Gegen Hass und Hetze.“ Und der so gnadenlos gescheitert ist.

Lars Klingbeil versteht nicht, warum der Wahlkampf gescheitert ist. Das bewies er, als er in der Elefantenrunde am Wahlabend Porzellan zerschlug und Alice Weidel sowie die restliche AfD als Nazis bezeichnete. Klingbeil hat nicht verstanden, warum er verloren hat. Er denkt, es genüge seine Gegner als Nazis zu diffamieren und damit seien sie für den Wähler erledigt. Weil das Wort einen bösen Sound hat. Doch 86 Prozent der Wähler sind viel klüger als Lars Klingbeil. Sie haben verstanden, was Nazis sind und dass Alice Weidel damit nicht vergleichbar ist.

Eine kleine Geschichte für Lars Klingbeil. Zur Veranschaulichung: Hans Rosenthal kam 1925 in Berlin zur Welt. 1941 starb seine Mutter an Darmkrebs. Er und sein neun Jahre alter Bruder Gert kamen in ein Waisenhaus im Stadtteil Prenzlauer Berg. Ein jüdisches Waisenhaus. Da er schon 16 Jahre alt war, musste Hans „Israel“ Rosenthal, wie er jetzt staatlich verordnet hieß, Zwangsarbeit leisten. Das rettete ihm das Leben. Unter anderem das. Denn am 19. Oktober 1942 war er auf einer Botentour.

Im Morgengrauen des 19. Oktober 1942 suchten die Greifertruppen der Nazis das Waisenhaus auf dem Prenzlauer Berg auf. Sie zerrten die Kinder in einen Pritschenwagen, fuhren sie zur Bahn, zwängten sie in überfüllte Züge und brachten sie nach Riga. Dort erschossen die Nazis in einem Wald die Berliner Kinder. Das ist es, was Nazis tun. Wenn Lars Klingbeil heute sagt, diese Mörder seien so schlimm wie Alice Weidel, dann verhöhnt er Gert Rosenthal und seine Freunde nachträglich. Dann macht er ein Paar billige Punkte mit dem Leid von sechs Millionen Menschen.

Lars Klingbeil hat Geschichte studiert. Lars Klingbeil hat noch nie außerhalb der Politik Geld verdient. Wenn Lars Klingbeil heute behauptet, die Mörder von Gert Rosenthal seien so schlimm gewesen wie Alice Weidel, dann beweist er, dass der Steuerzahler Geld verschwendet hat, als er sein Studium finanziert hat. Dann beweist er, dass der Steuerzahler jeden Monat Geld verschwendet, weil er Klingbeil als Politiker finanzieren muss, da der nichts anderes kann.

Hans Rosenthal hat den Krieg in einer Berliner Laubenkolonie überlebt. Freundinnen seiner Mutter haben ihn dort versteckt. Sie haben gelitten, weil sie ihr Essen mit ihm teilen mussten, das der Staat seinerzeit rationiert hat. Wäre er erwischt worden, hätte ihnen selbst der Tod gedroht. Denunzianten gab es heute wie damals. Als die Greifer auf einen Hinweis hin die Laubenkolonie durchsuchten, lag Rosenthal unterm Bett und hat die Luft angehalten. Hätte er geatmet, wäre er tot gewesen.

Rosenthal hat überlebt. Er wurde zu einem der beliebtesten Fernsehmoderatoren der Bonner Republik. Kaum einer hat sich so sehr wie Rosenthal für die Versöhnung zwischen jüdischen und christlichen Deutschen eingesetzt. Er wusste, dass es die Mörder gab. Er wusste aber auch, dass es die Frauen gegeben hat, die ihr Brot mit ihm geteilt haben und ihr Leben für ihn riskiert haben. Rosenthal hat auch gewusst, wie vorsichtig mit dem Vorwurf, Nazi zu sein, umgegangen werden muss. In der Berliner Republik ist es eine Straftat, die Intelligenz eines Politikers in Frage zu stellen. Die intellektuelle wie die soziale wie die emotionale. Deswegen sei hier nur ausgesprochen, dass Hans Rosenthal diese Intelligenz hatte.

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