Tichys Einblick
Reaktionen des Berliner Betriebs

Drei Gewalttaten gegen Politiker, zweierlei Maß

Von Donnerstag bis Samstag ereigneten sich Angriffe auf einen SPD-Wahlkämpfer, einen grünen Kommunalpolitiker und einen AfD-Abgeordneten. Nicht nur hier fallen Reaktionen des Berliner Betriebs höchst unterschiedlich aus.

Schandauer Straße in Dresden-Striesen, wo der Matthias Ecke angegriffen wurde, 05.05.2024

IMAGO / xcitepress

Die Meldungen folgten kurz hintereinander: Am Freitagabend griffen vier Jugendliche den sächsischen Spitzenkandidaten der SPD zur Europawahl Matthias Ecke im Dresdner Stadtteil Striesen an, als der Politiker gerade Plakate aufhängte. Ecke erlitt einen Bruch im Gesicht und mehrere andere ernsthafte Verletzungen, er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Am Tag vorher schlugen mehrere Männer auf den grünen Essener Ratsherren Rolf Fliß auf der Rüttenscheider Straße in Essen ein, und verletzten den Kommunalpolitiker leicht. Fliß war in Begleitung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Kai Gehring unterwegs. Am Samstag schlug ein vermummter Unbekannter dem niedersächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Holger Kühnlenz in Nordhorn ins Gesicht, als der Politiker sich an einem Wahlkampf-Stand aufhielt.

Interessant wirken die öffentlichen Reaktionen auf die drei Nachrichten. Die „Süddeutsche“ meldete zu dem Angriff auf Ecke: „Ein Zeuge ordnete die Angreifer dem rechten Spektrum zu.“ Allerdings: Bis jetzt verfügt die Polizei in Dresden nach eigenen Angaben noch über keine Erkenntnisse über das Tatmotiv. Inzwischen stellte sich ein 17-Jähriger in Begleitung seiner Mutter der Polizei, allerdings, ohne Angaben zu seinem Beweggrund zu machen. Nach den drei anderen Tätern fahndet die Behörde noch.

Über die Attacke auf den Grünen-Politiker Fliß, bei der die Täter bis jetzt nicht feststehen, berichtete das ZDF, stellte ein Bild dazu, das Proteste von Landwirten zeigt, und textete auf seiner Webseite: „Wütende Landwirte, blockierte Straßen – seit Wochen protestieren Landwirte gegen die Sparpläne der Bundesregierung. Negativer Höhepunkt sind Aktionen gegen Mitglieder der Grünen.“ So lässt sich flugs ein Interpretationsrahmen setzen, obwohl sich die Details aus Essen dann deutlich anders darstellten. Bei den Schlägern handelte es sich laut WAZ nämlich um junge Männer mit „südländischem Phänotyp“. Ob der Angriff einen politischen Hintergrund hatte, steht nicht fest.

Der Fall Fliß verschwand dann schnell wieder aus den Politikerstatements, jedenfalls mit konkreter Nennung, nachdem einige Nutzer auf X (vormals Twitter) als eigentliche Schuldige schon die AfD ausgemacht hatten.

Nach der Information über das Aussehen der Täter sprachen Politiker von Grünen und SPD nur noch von dem Angriff auf Ecke „und andere Politiker“. Der Schlag ins Gesicht des AfD-Abgeordneten in Nordhorn spielte in ihren Statements dagegen gar keine Rolle. Sehr viele Grüne und Sozialdemokraten folgten der Sprachregelung, nur von „Angriffen auf demokratische Politiker“ zu reden. In Berlin versammelten sich auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor am Sonntagabend etwa 1000 Personen, darunter sehr viel Polit-Prominenz und berichtende Journalisten. Unter anderem sprachen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, Luisa Neubauer und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der sich an der Seite von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer mit dem Schild präsentierte: „Wer Hass säht (Originalschreibweise), der erntet Gewalt.“

Der Satz lässt sich allerdings auch so interpretieren: Wer „Hass“ verbreitet, worunter nach dem Verständnis vieler Politiker und Journalisten schon zugespitzte Kritik an der Regierung zählt, der werde das Ziel von Gewalt. So versteht es offenbar der Leipziger Stadtrat der Grünen Jürgen Kasek: Auf X betonte der Politiker, von den Solidaritätsaufrufen für angegriffene Politiker seien die der AfD ausdrücklich ausgenommen. Wenig später twitterte er, „Faschisten“ müssten „mit allen Mitteln“ bekämpft werden.

Mehrere Politiker und Medien wiederholten außerdem die Darstellung, Mandatsträger der Grünen seien am häufigsten von Gewalt betroffen. Nur: Das stimmt nicht, wenn es um Körperverletzungen geht. In der oft zitierten Statistik werden physische Angriffe und Beleidigungen kurzerhand unter „Angriffe“ zusammengerechnet. Körperliche Angriffe dagegen treffen am häufigsten Vertreter der AfD.

Bei der Demonstration am Sonntag in Berlin, die das „Zusammenstehen“ der „demokratischen Parteien“ symbolisieren sollte, nutzte die grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta die Gelegenheit, auf X gegen den sächsischen CDU-Regierungschef Kretschmer herzuziehen.

Sie rechtfertigte sich damit, Kretschmer treibe schließlich „die Gesellschaft auseinander“.

An der öffentlichen Reaktion auf den Angriff gegen Ecke – von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bis zu fast allen Politikern der Grünen, der SPD und auch vielen der CDU – fiel der Kontrast zu dem Schweigen bei ähnlichen Gewalttaten gegen AfD-Mitglieder auf, aber auch zu anderen Straftaten, die nicht ins tatsächliche oder vermeintliche Schema rechter Täter passen. Als zwei bis heute unbekannte Täter den bayrischen AfD-Politiker Andreas Jurca schwer im Gesicht verletzten, folgten keine Solidaritätsbekundungen von Spitzenpolitikern anderer Parteien – und auch keine Spekulationen über die „wahren Täter“, die mit ihren Worten diese Gewalt vorbereitet hätten.

Im Gegenteil: Der Bayerische Rundfunk räumte einem „Aktivisten“ viel Platz ein, der ohne jeden Beleg behauptete, der Angriff auf Jurca habe gar nicht stattgefunden, und stattdessen suggerierte, der Politiker habe sich die Augenverletzungen selbst zugefügt. Die Polizei ermittelte gegen zwei Männer, gegen die sich der Tatverdacht allerdings nicht erhärten ließ. Darauf titelte die „Süddeutsche“: „Keine Beweise für Angriff auf Augsburger AfD-Politiker“.

Dabei bezweifelt die Staatsanwaltschaft gar nicht, dass die Prügelattacke stattfand – sondern stellte die Ermittlungen vorläufig ein, weil keine Täter gefasst werden konnten.

Ganz anders auch das Echo, als ein Student der FU Berlin aus antisemitischen Motiven Ende Februar seinen jüdischen Kommilitonen Lahav Shapira krankenhausreif prügelte. Shapira erlitt mehrere Knochenbrüche im Gesicht, der Grad der Verletzungen entsprach dem von Matthias Ecke. Allerdings riefen hier keine Parteien zur Spontandemonstration auf. Kein Bundespräsident meldete sich zu Wort. Und auch hier fragte niemand, wessen Propaganda zu solchen Taten ermutigt. Die Universität erklärte, ihr fehlten die rechtlichen Mittel, um den Täter – dessen Identität feststeht – zu exmatrikulieren. Als äußerste Maßnahme verhängte der Rektor ein dreimonatiges Hausverbot gegen ihn. Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (CDU) meinte: „Die Wissenschaft lebt von Austausch, lebt von Internationalität, lebt von internationalen Studierenden. Und natürlich gibt’s auch dann mal Konflikte auf dem Campus.“

Der Allgemeine Studentenrat /AStA) der Humboldtuniversität äußerte sich ebenfalls zu der Gewalttat gegen den jüdischen Studenten: Er erklärte, er lehne Exmatrikulationen „aus politischen Gründen“ strikt ab.

Aktualisierung (7. Mai 2024): Nach Angaben des sächsischen Innenministers Armin Schuster (CDU) gibt es den Angriff auf den Dresdner SPD-Politiker Matthias Ecke bei einem der vier Tatverdächtigen Hinweise „auf eine rechtsextreme Gesinnung“. Es handelt sich bei diesem Jugendlichen offenbar um den 17-Jährigen, der sich nach der Tat in Begleitung seiner Mutter der Polizei stellte. Er fiel bisher strafrechtlich nicht auf. Zu etwaigen politischen Hintergründen der anderen liefen noch Untersuchungen, so Schuster. Auch das Motiv stehe noch nicht fest. Dazu müsste weiter ermittelt werden.

Anzeige
Die mobile Version verlassen