Die seit 1985 mit ihrem Film „Männer“ weithin bekannte Münchner Filmemacherin (unter anderem auch „Bin ich schön?“ und „Kirschblüten – Hanami“) hat ihre wache Beobachtungsgabe mit einer neuen Gesellschaftssatire unter Beweis gestellt, die in einem – nur für Frauen zugänglichen – Freibad spielt. Allerdings wagt sie es nicht, die stille Übereinkunft der deutschen Medienschaffenden zu durchbrechen, wonach eine neue deutsche „Buntheit“ sanft zu „mainstreamen“ (Neudeutsch für „zum neuen Normal machen“) sei. Sie bedient sich dabei des Kniffs, ihren Film in einem Frauenbad spielen zu lassen, was unschöne Massenszenen, in denen Nasen gebrochen und Bademeister verdroschen werden, von vorne herein ausschließt.
Im Interview beim Deutschlandfunk beschreibt die Regisseurin ihren Streifen als „Mikrokosmos unserer Gesellschaft: Alle aktuellen Diskurse rund um Migration, Diskriminierung oder die Darstellung des weiblichen Körpers werden hier verhandelt. Der ideale Ort für eine Komödie … was in der Gesellschaft im Großen verhandelt wird, wird im Freibad im Kleinen durchgespielt.“ Das sei allerdings ein „sehr fragiles Zusammenspiel“ und „deshalb ist das so gut anwendbar auf unsere Gesellschaft allgemein“.
Wer sich das bunte Plakat ansieht, mit dem die Constantin-Film wirbt, der fühlt sich an ein „von einer Kreuzberger Kunstschaffenden illustriertes Plakat“ erinnert, das „in aller Deutlichkeit und mit erstaunlichem Detailreichtum … zeigte, wie das Kreuzberger Wahlkampfteam der Grünen sich gelebte Vielfalt vorstellt“ (Pauline Schwarz berichtete bei TE).
Doris Dörrie hat diese gelebte Vielfalt im Freibad, wo es dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge „am Beckenrand schnell politisch“ werde, in ein filmisches „Wimmelbild“ (die Welt) gepackt.
Die Nürnberger Nachrichten erkennen die potenzielle Sprengkraft des Themas und warnen: „…unter der sommerlich trägen Stimmung lauert jede Menge Konfliktpotenzial, wie Doris Dörrie in ihrer neuen Komödie ‚Freibad‘ deutlich macht …“, in der sich „große und kleine Dramen rund um den Beckenrand ereignen … an Fahrt gewinnt die Auseinandersetzung, als eine Gruppe schwarz verschleierter Frauen das Bad betritt…“
Dieser Film verschafft mitnichten „Abkühlung von erhitzten Debatten“, wie die Welt hoffnungsvoll titelt, und sie liefert ein paar Zeilen weiter auch die Begründung: „… weil hier die prägenden Konflikte der Gegenwart ausgetragen werden. Ökonomische (wer kann sich schon eine Klimaanlage oder einen Pool leisten?) und ökologische (werden die Temperaturen wegen des Klimawandels unerträglich?) Fragen zeichnen sich im Hintergrund ab, in den Vordergrund rücken solche der geschlechtlichen und nationalen Identität. Was darf und sollte eine Frau tragen? Wann ist eine Frau schön? Und wer gilt überhaupt als Frau?“
Aber auch diese Liste ist geeignet, in die Irre zu führen, denn es geht nur am Rande um die Tatsache, dass in diesen Badetempel nur weibliche Gäste dürfen. Die Abwesenheit des starken Geschlechts erspart dem Streifen, dass Parallelen zu den Zuständen, zum Beispiel bei den Berliner Bäderbetrieben allzu augenfällig werden. Und bezeichnenderweise ist es die Berliner Zeitung, die bestätigt, dass „das Freibad ein Brennpunkt und Austragungsort sozialer Konflikte …und die Mischung explosiv ist …“.
Zwar muss die Süddeutsche Zeitung zugeben, dass es dort „… am schönsten in der Nacht ist, wenn das Wasser menschenfrei im Mondschein glitzert und nur die Gummitiere friedlich auf seiner Oberfläche schaukeln. Tagsüber ist es mit friedlich eher Essig … die Mischung aus überflüssiger Stichelei und übertriebener Empfindsamkeit, die manchmal in derselben Person zusammenfindet, fliegt ihnen dann irgendwann um die Ohren …“ Und dann gehen der Zeitung doch „die Kämpfe ums Terrain in dem Film irgendwann auf den Geist, und das soll vielleicht auch so sein, denn dann fällt einem vielleicht auf, wie enervierend das in der Wirklichkeit ist“. Außerdem: „Freibad“ zu einer politikwissenschaftlichen Arbeit zu verklären, täte dem Film ohnehin unrecht.
Wenn diese Verunsicherung der Presse die Absicht von Doris Dörrie war, dann ist das geglückt. Hier beim RBB zu beobachten, der mit ihrem Film nicht zufrieden ist: „Statt mit Klischees und Vorurteilen zu jonglieren, werden sie bedient. Da wird die Transfrau am Grill auch mal gefragt, ob sie denn ihr ‚Würstchen‘ noch habe.“
Dörrie: „Ich dachte mir, das könnte eine wirklich gute Metapher sein für das, was sich im Moment auch gesellschaftlich abspielt. All die Fragen, die durch den Raum schwirren, über weibliche Identität, über Gender, über die leidige Kopftuch-Burkini-Frage, über Trans-Personen, und so weiter und so weiter. Das Freibad als Metapher für Demokratie und dafür, wie wir die weibliche Rolle überhaupt definieren.“
Im Interview mit Antenne Brandenburg hat die Schauspielerin Andrea Sawatzki (Darstellerin der Eva) die Kopftuch-Burkini-Frage für sich schon geklärt, denn die habe den „recht praktischen Aspekt …, weil niemand sehen kann wie es drunter aussieht“. Überhaupt „spiele der Film sehr mit Gemütslagen und Ängsten … und hat auch bösen Humor…“.
Und das ZDF kommentiert: „In ihrer neuen Komödie treibt Dörrie den Kultur-und Geschlechterkampf auf die Spitze. Die Story basiert auf wahren Begebenheiten. Das Freibad als Mikrokosmos unserer Gesellschaft.“
Wer diese wahre Begebenheit, die sich in Freiburg zugetragen hat, näher erforschen will, muss den Artikel in der Stuttgarter Zeitung dazu lesen.
Die FAZ bringt es, vielleicht unbewusst, auf den Punkt, hier werde „ein Modellort der Gesellschaft vorgestellt. Denn hier herrscht der Mainstream der Minderheiten.“ Die FAZ weiter: „Die Parallelen zu anderen Erfahrungen mit Konkurrenz (um einen Platz an der Sonne) und Beschränkungen (der individuellen Möglichkeiten, sich auszuleben) sind so offensichtlich, dass Doris Dörrie sich dazu entschlossen hat, ein Freibad zu einem Bild für das größere Ganze des Zusammenlebens in Deutschland zu erklären.“
Eben. Denn auch außerhalb des Wassers macht die größte Gruppe die größte Welle. Aber die FAZ tröstet sich damit, dass dies doch „ein ernstheiterer Versuch sei, sich ein wenig mit den Spannungen zu beschäftigen, die in multikulturellen Gesellschaften auftreten, ohne diese gleich zu einem sozialen Druckkessel hochzustilisieren. Dörrie hatte beim Schreiben des Drehbuchs vielleicht den einen oder anderen Leitartikel im Kopf, man sieht dem Projekt jedenfalls an, dass es trotz kleiner Liegewiese ins Repräsentative und Gesamtgesellschaftliche tendiert. Vielleicht sogar ein bisschen ins Utopische oder zumindest in eine positive Vision. Denn unübersehbar gibt es zwischen den Frauen zwar eine Menge auszuhandeln, sie sind aber dazu auch in der Lage. Dürfen Würste aus Schweinefleisch und solche aus Lamm gemeinsam auf den Rost? Und welche Fraktion ist stärker beleidigt, wenn sie auf die Kost der anderen umsteigen muss?“
Das Hamburger Abendblatt geht einen grossen Schritt weiter und verklärt die Badeanstalt sogar „zur Metapher für die Demokratie-Tauglichkeit unserer Gesellschaft“.
Der Bayerische Rundfunk nennt das weniger zurückhaltend einen „Kulturkampf im Frauenfreibad. Wieviel Freiheit muss sein? Und wer bestimmt das? Doris Dörrie erzählt von den großen Hürden des Miteinanders. In Doris Dörries Film fliegen die Fetzen. „Freibad“ ist nicht gerade eine subtile Komödie, aber eine, die auf kluge Weise Selbstzweifel und Bewertungswahn vorführt.“ In die Niederungen einer Diskussion darüber, wessen Selbstzweifel hier gemeint sind, um wessen Freiheit es geht und weshalb man im Freibad „Bestimmer“ oder „Bewerter“ braucht, lässt sich der BR aber nicht hinunter.
Tag24 lässt die Regisseurin selbst erklären: „das Freibad sei vielleicht eine herrliche Metapher auf dieses Land und auf die Demokratie. Wir glauben ja meist von uns selbst, wahnsinnig tolerant zu sein, sind es aber vielleicht gar nicht, wenn man in der Praxis auf engem Raum aufeinanderprallt. Die Kopftuchdebatte sei auch bei uns ein heißes Eisen. Es ist doch fast egal, was man sagt, einen Shitstorm riskiert man so oder so. Aber es stimmt schon, viele Finanziers haben Schiss gehabt.“
„Die große Gefahr ist aber doch die: Wenn wir so zahm werden und so weichgespült, dass wir uns Konflikten gar nicht mehr aussetzen, sie gar nicht mehr miteinander austragen wollen, sondern alles nur noch unter den Teppich kehren – dann habe ich Angst, dass die Konflikte darunter umso heftiger brodeln.“
Auch das Sonntagsblatt zitiert Doris Dörrie mit Aussagen, die ahnen lassen, dass sich die Regisseurin der Brisanz der im Freibad zu Tage tretenden Konflikte bewusst ist: „Man lässt alle Statussymbole in der Umkleidekabine zurück und muss deshalb relativ gleichgestellt miteinander umgehen“, habe sie der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ gesagt. Viele Orte dieser Art gebe es nicht mehr. „In Bayern haben wir den Biergarten, das Kino – und dann vielleicht noch die Notaufnahme im Krankenhaus“, sagte die 67-jährige gebürtige Hannoveranerin, die in München lebt. Sie plädiert dafür, sich für die Existenz von Freibädern einzusetzen. Immer mehr würden aus Geld- oder Fachkräftemangel geschlossen. „Aber wenn wir uns gar nicht mehr sehen und kennenlernen können: Wo üben wir dann, miteinander klar zu kommen? Im Internet bestimmt nicht.“
Viele ehemalige Freibad-Besucher, vor allem in den großen Metropolen, werden sich wehmütig an die Zeiten erinnern, in denen dort eben niemand üben musste, miteinander klar zu kommen. Der Bademeister musste nicht mal von seiner Pfeife Gebrauch machen, um jugendlichen Überschwang abzubremsen. Die Regeln kannte jeder. Ein Paradies der Erholung, keine Spur von „Demokratieklassenzimmer“, wie das ja anklingt. Wichtig war es, schnell durch die Schlange an der Wurst-/Pommes-/Eis-Bude zu kommen.
Und da kann man es drehen und wenden, wie man möchte: Dörries neuer Film zeigt, dass „Multikulti“ dabei ist zu scheitern, und dies im Freibad eben besonders offensichtlich ist.