Tichys Einblick
80. Jahrestag

Die „Welt“ freut sich über das misslungene Attentat vom 20. Juli

Nicht nur Linke reiben sich am 20. Juli. Zum 80. Jubiläum des fehlgeschlagenen Attentats auf Adolf Hitler hat die „Welt“ eine ganz besondere Antwort: Es war für die Geschichte gut, dass der Umsturzversuch gegen die Nazis scheiterte.

picture alliance/dpa | Hannes P Albert

Bereits seit einigen Jahren nimmt das Gedenken um das Hitler-Attentat zum 20. Juli kuriose Formen an. Es hat nicht zuletzt mit einem Generationenwechsel, aber auch in erster Linie mit einem Bewusstseinswechsel zu tun. Dass man dabei in einer ironischen Wende der Geschichte wieder an den Anfangspunkt zurückkehrt, nämlich dass die Gruppe um Graf Schenk von Stauffenberg neuerlich geächtet wird wie noch Jahre nach dem Ende des Krieges, ist dabei nur eine Fußnote.

Bereits vor zwei Jahren hatte an dieser Stelle ein Beitrag gestanden, der den linken Vorwurf des mangelnden Antifaschistentums von Stauffenberg und anderer Stauffenberger abbildete. Preußen, Offiziere, Christen, Reaktionäre – im Grunde, so der Chor, waren doch die Verschwörer nicht viel besser als der Führer und seine Chargen selbst. Daher sei der 20. Juli auch kein passender Gedenktag, schließlich agierten hier Antidemokraten gegen Antidemokraten.

Kurz gesagt: Heldentum gebührt nur Linken, wenn Rechte gegen das Böse opponieren, dann sollte man sich damit nicht gemein machen.

Diese Herabwürdigung, die vor der extremen Linken schon in der extremen Rechten – wo die Verschwörer als Vaterlandsverräter galten – verbreitet war, ist mittlerweile in weite Teile von Politik, Medien und Gesellschaft eingedrungen. Einen Konsens zum 20. Juli gibt es bereits länger nicht mehr; das Attentat hat auch seine identitätsstiftende Rolle verloren, sieht man von Bundeswehrritualen ab. Aber da sind wir ja am Punkt: „Soldaten sind Mörder“, also was schert den gesellschaftlichen Konsens die Bundeswehr? Die Armee gilt hierzulande als etwas, das mit Wokeness domestiziert werden muss vor dem nächsten Nato-Einsatz.

Verwundert reibt man sich deswegen die Augen, blickt man auf einen heutigen Jubiläumsartikel der Tageszeitung Welt. Er heißt: „Gut, dass das Attentat auf Hitler misslang“. Einige wenige Stellen seien hervorgehoben. Autor Jacques Schuster schreibt: „In Deutschland ist die Erinnerung an das Hitler-Attentat vom 20. Juli, das sich an diesem Wochenende zum 80. Mal jährt, nicht nur fest im kollektiven Gedächtnis verankert, sondern auch tief in die Seele der Gesellschaft eingegraben.“

Das ist, wie oben geschildert, längst nicht mehr der Fall. Vielmehr ist das Gedenken höchst umstritten – wie oben aufgezeigt. Gemäß dem Diktum, dass (Schein-)Konservative nur das verteidigen, was sie noch vor einigen Jahren bekämpften, nimmt Schuster genau den Spin auf, den die Linken schon seit Jahren predigen:

„Erzählungen wie die vom 20. Juli gehören gleichsam zum Familiensilber, eine von ständiger Wiederholung blankgeputzte Geschichte, die weniger erinnert als vielmehr beschworen wird. Das Ritual dieser Wiederholung schafft erst Identität. Eines wird am 20. Juli gern ausgelassen: der Hinweis darauf, dass es für die weitere Geschichte wichtig war, dass der Umsturz scheiterte. Wäre er geglückt, hätte die nächste Dolchstoßlegende die Entwicklung der Bundesrepublik aufs Schwerste gestört und würde bis heute ganz anderen Mythen Kraft verleihen.“

Mit dem Scheinargument, die Erinnerung an den 20. Juli sei so ungetrübt – ist sie nicht – argumentiert die Welt, dass man nun auch auf die Schattenseite blicken müsste. Die Konsequenz daraus ist sagenhaft. Bekanntlich wollten die Putschisten nach dem geglückten Attentaten Friedensverhandlungen aufnehmen. Und bekanntlich fiel ein nicht geringer Teil des Horrors der Massenvernichtung in die letzten beiden Kriegsjahre. Jede Abwicklung des Hitlerregimes bedeutete demnach die mögliche Rettung von Menschenleben.

Doch mehr als das gilt offenbar die heutige Bundesrepublik. Wäre es den Verschwörern geglückt, die Nazi-Oberriege loszuwerden, dann hätte es das beste Deutschland aller Zeiten nicht gegeben. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet das: Die absolute Zerstörung und der Untergang waren das wert. Inklusive zahlreicher ermordeter Zwangsarbeiter, Zivilisten und Juden. All das für den Neuanfang der Bundesrepublik?

Man muss dem entgegnen: nein. Es ist ein Unglück, dass das Attentat nicht in der Art und Weise funktionierte, wie es sich die Männer vom 20. Juli vorgestellt hatten. Die Sorge, dass dafür „ganz andere Mythen“ heute Kraft verliehen worden wäre, muss man dafür aushalten können. Alles andere ist Zynismus.

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