Tichys Einblick
Brüchiges Bild

Die Story im Ersten: AfD im Bundestag

„Der Ton ist rau geworden im Bundestag seit sechs Monaten, seit es die AfD-Fraktion gibt“ erzählt eine getragene Off-Stimme. Wenn „rau“ Attribut der AfD sein soll, dann beweist der Film das Gegenteil: Da, wo es emotional zur Sache geht, wo es laut wird, wo die Erregung überkocht, wo die Stimmen schrill werden, da stehen Protagonisten der Grünen am Rednerpult wie Cem Özdemir und Britta Hasselmann.

Screenprint: ARD/Die Story im Ersten

Sechs Monate nach Einzug der AfD in den Bundestag: Aus der öffentlich-rechtlichen Perspektive zieht die ARD Bilanz. Im Sendeformat „Die Story im Ersten“ titelt der Sender: „Protest und Provokation“. Marie-Kristin Boese und Karin Dohr, Fernsehkorrespondentinnen im ARD-Hauptstadtstudio, berichten und Tagesschau Online begleitet die Sendung mit der Schlagzeile: „Die Methode Provokation“.

Nun mag die Arbeit des deutschen Bundestages zwar vor einem guten halben Jahr begonnen haben. Was die Autorinnen allerdings über 45 Minuten unerwähnt lassen, ist die Tatsache, dass die Regierung die Hälfte der Zeit nur eine geschäftsführende war. Die geschäftsführenden Minister sind großteils ausgewechselt worden oder haben das Ministerium gewechselt. 171 Tage ab Wahlergebnis ließ man sich Zeit, eine Koalition zu bilden. Der Einzug der AfD mit 92 Abgeordneten in den Bundestag ist hier zweifellos ursächlich verantwortlich.

„Die Merkel-Dämmerung ist längst eingetreten, das waren wir.“, beginnt „Die Story“ mit einem O-Ton von Alice Weidel. Dann Alexander Gauland: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“

„Bis dieses Land wieder frei ist, bis wieder Volkssouveränität herrscht“, darf dann Björn Höcke aus Thüringen herüber rufen und das Trio Infernal komplettieren. So jedenfalls die Auftakt-Dramaturgie der Filmemacherinnen.

Klar, dass auch die „Kameltreiber“ von André Poggenburg noch eingespielt werden müssen. Der ist zwar zwischenzeitlich in Sachsen-Anhalt zurückgetreten, aber der O-Ton passt einfach zu perfekt ins Skript. Die AfD-Bundestagsfraktion hatte sich distanziert, aber dahinter sieht der „Dokumentation“ genannte Film das AfD-System. Und das soll so gehen: Die Landesverbände trommeln und die Bundestagsfraktion mahnt dann automatisch leisere Töne an. Die Landtage quasi als außerparlamentarische Opposition.

„Der Ton ist rau geworden im Bundestag seit sechs Monaten, seit es die AfD-Fraktion gibt“ erzählt eine getragene Off-Stimme. Nun könnte man annehmen, das ein rauer Ton noch etwas anderes widerspiegelt: die parlamentarische Auseinandersetzung. Und wenn hier „rau“ Attribut der AfD sein soll, dann beweist der Film das Gegenteil: Da, wo es emotional zur Sache geht, wo es laut wird, wo die Erregung überkocht, wo die Stimmen schrill werden, da stehen Protagonisten der Grünen am Rednerpult wie Cem Özdemir und Britta Hasselmann, die beispielhaft eingespielt werden. Steilere Erregungskurven der AfD müssen aus den Länderparlamenten zugespielt werden.

Durchaus interessant sind die Filmsequenzen aus dem Inneren des Bundestages, der Blick in die Büros, der Moment, als die AfD-Abgeordneten ihre neuen Büros beziehen, nüchterne kleine Denkzellen, die mehr an schimmelige Amtsstuben oder ihrem Format nach an Knastzellen erinnern, denn an solche Verweilstationen, wo sich die mittlerweile 709 Vertreter des Volkes Gedanken über die Geschicke des Landes machen sollen.

Aber kann in dieser Atmosphäre Gutes entstehen?, mag sich der eine oder andere Zuschauer fragen. Wo genau liegt die Grenze zwischen angemessenem Komfort und abstoßendem Luxus? Möglicherweise darf die Latte hier durchaus noch etwas höher gelegt werden. Alice Weidel bezieht Büro 134. Sie reibt sich das blütenweiße Oberhemd über dem Bauch, als sie durch die geöffnete Tür in den Gang tritt. Hunger? Nein, es fehlen nur noch ein paar Stühle, die nun aus der Bundestagskantine stibitzt werden sollen, wie ein weiterer AfD-Abgeordneter scherzhaft einwirft. Weidel schmunzelt dazu mit schrägem Mundwinkel.

Drei quälende Debattentage
Mini-GroKo: Kein Aufbruch, nur Trotz und leere Worte
Was die Filmemacherinnen im Anschluss an solch harmonischen Szenen besonders hervorheben wollen, ist die Verweigerung der AfD-Fraktion, sich den eingespielten Mechanismen des Hauses anzupassen. Dann, wenn Widerspruch angemeldet wird und Themen von der AfD-Fraktion zur Diskussion auf die Tagesordnung gesetzt werden, die doch schon monatelang in den Ausschüssen diskutiert wurden. Da plärrt das ganze Haus. Hier allerdings haben die anderen das Selbstverständnis der AfD nicht verstanden: Die nicht medienpräsente Ausschussarbeit soll öffentlich gemacht werden. Publikumswirksam vor den Kameras.

Schäuble läutet immer mal wieder die große bronzene Glocke, wenn es zu unruhig wird im Haus. Nun ist aber genau diese Unruhe jene Intensität, die der Bürger doch jahrelang angemahnt hat, wenn wieder nur am Handy gespielt und Zeitung gelesen wurde von den wenigen anwesenden Abgeordneten im Halbrund. Wenn engagiertes Auftreten, der Kampf um Positionen, wenn eben eine sichtbare Streitkultur versus großkoalitionärer Übereinkünfte hinter verschlossenen Türen verlangt wurde.

Statt düsterer Begleitmusik hätten die Filmemacherinnen hier also auch ein paar frohlockende Töne einspielen können. Noch passender, wenn die AfD bei späten Abstimmungen eine Abgeordneten-Zählung per Hammelsprung verlangt und die Sitzung abgebrochen werden muss, weil leider nicht genug Abgeordnete im Hause sind, während die AfD fast vollzählig angetreten ist. Wo sind die anderen alle? Zu Hause oder bei der Ausschussarbeit? Der Bürger weiß es nicht. Nun wird Transparenz allerdings schon in der Architektur des Gebäudes mit der großen Glaskuppel angemahnt.

Wolfgang Kubicki darf sich über eine AfD-Strategie aufregen, wenn er den Medien bescheinigt: „Früher hat man gesagt Sex sells, heute sagt man AfD sells.“ Der langjährige FDP-Politiker weiß natürlich, wie man auch in so einem Film Sätze platziert, die nachher in der medialen Aufarbeitung Aufmerksamkeit bekommen. So hackt eine Krähe der anderen ein Auge aus. So geht neidisch, wenn man mit der eigenen Fraktion so wenig Kamera-taugliches anzubieten hat. Der natürliche Kontrahent der AfD sind deshalb auch die Grünen: Die wissen am besten, wie das ist, wenn man als Neuling im hohen Hause ankommt und angetreten ist, den dickfälligen Wohlfühlschorf der Alteingesessenen herunter zu kratzen. „Im Plenum ist es (…) unkalkulierbarer geworden“, jammert Britta Hasselmann. Das zu erreichen, war allerdings während der Helmut-Kohl-Ära selbsternannte Aufgabe der Grünen. Nun ist die Partei Hasselmanns etabliert, der favorisierte Koalitionspartner ausgerechnet die Partei Kohls.

Ärgerlich wird der Film dann, wenn die Autorinnen ihren genannten Experten zu Wort kommen lassen, wo es kompromittierend wäre, den Off-Ton sprechen zu lassen. In diesem Falle ist das Volker Weiß, der als Historiker und Publizist vorgestellt wird. Er ist einer von jenen Autoren, die sich im immer enger werdenden Raum der AfD-und-Neue-Rechten-Rezeption gegen eine inflationäre Zahl von antifaschistischen Mitspielern durchsetzen muss. Weiß beobachtet „einen interessanten Effekt der Mitradikalisierung“ innerhalb der AfD. Belegen will er das beispielsweise damit, dass sich AfD-ler, die schon in der Lucke-AfD dabei waren, dass die sich heute „durchaus radikalisiert“ hätten. Die prosaisch-ahistorische Begründung des Historikers: „Das ist der Rausch des Erfolges.“ Dass zwischen Lucke und Gauland/Weidel allerdings die Massenzuwanderung einsetzte, scheint Wolf nicht zu interessieren. Hier wird der politische Aktivist erkennbar: Was als Problem nicht gedacht sein soll, ist dann einfach nicht vorhanden.

Breiten Raum im Film bekommen die Landesverbände der AfD. Insbesondere natürlich der thüringische. Höcke ist gefühlt öfter zu sehen und zu hören, als Weidel und Gauland zusammen. Gemeinsam mit Lutz Bachmann und mit abweichlerischen AfD-Abgeordneten, wo doch die AfD beschlossen hat, nicht mit Pegida zusammenarbeiten zu wollen. Allerdings wurde es einzelnen Abgeordneten auch nicht untersagt. Und Pegida und AfD werden nicht nur zusammengedacht, man lebt ein stückweit vom Erfolg des anderen.

Debattenkultur. Beobachtungen nebst einigen Anmerkungen zur Logik der politischen Sprache.
Was im Westen nicht funktionieren will, hat sich in Dresden etabliert: Eine außerparlamentarische, von Teilen der sächsischen Bevölkerung getragene Bewegung. Und gerade weil diese Dresdner gegen alle Widerstände immer noch da sind, haftet ihnen etwas an, dass der AfD bis heute fehlt: Die für Kameras sichtbare Zustimmung in Form von mehr oder weniger großen Ansammlungen. Die Attraktivität ist also erklärbar. Und klar, dass Götz Kubitschek hier nicht fehlen darf. Er ist das Bindeglied: häufiger Redner in Dresden und Vordenker einer Neuen Rechten, dessen Ideen zweifellos auch bis in die AfD-Bundestagsfraktion wirken. Aber auf welche Weise?

Nun gibt es eine Reihe interessanter Redebeiträge der AfD im Bundestag. Beiträge, die durchaus am besagtem Schorf der Etablierten kratzen. Hätte es 1983 beim Einzug der Grünen im Bundestag schon Youtube gegeben, lägen uns auch aus dieser Zeit nicht nur Bilder von strickenden Männern oder Sonnenblumendekos auf den Pulten vor, sondern ausreichend Material aus einer Zeit des Umbruchs, der Implantierung neuer Umgangsformen im Parlament. Die AfD tritt nun besser gewappnet an. Nicht aus eigenem Zutun, es liegt schlicht am digitalen Zeitalter samt Social Media und einer ausführlichen, für jeden Bürger mit einem Klick zugänglichen Dokumentation der täglichen Arbeit im Bundestag.

Hier hätte der Film ambivalent sein können. Sich eben dort bedienen, wo AfD-Redner und -Rednerinnen durchaus bis in die Mitte der Gesellschaft vorstoßen, wenn sie den etablierten Parteien Schlechtleistungen vorhalten, nicht mit den schlechtesten Argumenten. Der Berliner AfD-Abgeordnete, der Phyiker Gottfried Curio, avancierte so zu einem der meistgeklickten AfDler, wenn seine Bundestagsreden bei Youtube schon mal Richtung halber Millionen Klickzahlen marschieren. Die Filmemacherinnen zeigen ersatzweise Höcke neben Bachmann und Kubitschek, dann, wenn sie das ultimativ Böse illustrieren wollen. Gottfried Curio kommt nur da vor, wo er sich auch in den Augen mancher AfD-Wähler verrennt, wenn er Deniz Yücel angreift. Der Deutsch-Türke allerdings ist nach einem Jahr Gefängnis-Aufenthalt unter Erdogan zur Ikone geworden. Wer daran rührt, kann nicht gewinnen.

Aber sicher ist sicher, mögen sich die Autorinnen gedacht haben: Weil nun nicht aus Versehen nicht doch noch etwas Positives hängen geblieben sein soll, muss zum Schluss noch einmal der Historiker Volker Weiß das gerade Geschaute einordnen: „Wir beobachten deutlich“, sagt der, „wie klassische Kader der Neuen Rechten, geschulte Ideologen, in den Parteiapparat übernommen werden und diesen Parteiapparat dann natürlich auch weiter nach ihren Vorstellungen gestalten werden. Da ist ein Zusammenspiel von einer Parteistruktur auf der einen Seite und einem weltanschaulich auch sehr deutlich orientiertem Umfeld.“

Das ist nun in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen wird nicht erklärt, wer dieses ominöse „Wir“ ist bei Weiß, nicht erklärt wird aber auch, wer und wo genau diese Kader und Ideologen sitzen, wenn nicht ausschließlich in Schnellroda. Und vor allem, wie genau dieses Zusammenspiel nun eigentlich aussehen und laut Weiß funktionieren soll. Weiß er aber nicht. Oder nicht genau. Oder will es nicht verraten, weil noch ein Buch in Arbeit, dass sich dann zu den vielen anderen Büchern zum Thema AfD und Neue Rechte gesellen soll. Dann aber bitte an vorderster Stelle im Buchmarkt-Ranking, schließlich ist man gerade zum Experten der Öffentlich-Rechtlichen aufgestiegen, wo man sonst immer diese anstrengenden Podiumsdiskussion bei der Amadeu-Antonio-Stiftung oder sonst wo absolvieren musste.


Bild: Screenprint ARD „Die Story im Ersten: Die AfD im Bundestag“

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