ARD und ZDF haben regelmäßig die Wahl, wer denn, wenn es um Bandenkriminalität geht, den Part der Bösewichte übernehmen soll. Genügend Serienformate hat man ja, um das Thema aus allen Perspektiven drehen und wenden zu können. Zu dumm nur, dass diese Schurken sich so wenig vielfältig und stur familiär organisieren! Da könnte man in die Falle tappen, bestimmte Gruppen zu einseitig darzustellen. Was liegt da näher, als sich aufs Altbewährte zurückzuziehen.
Wir lassen den Dom in Köln, denn da gehört er hin
Am Neujahrssonntag durften die nicht mehr ganz taufrischen Silberrücken Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) aus der Tatort-Schicht Köln der selbst in die Jahre gekommenen Unterweltgröße Viktor Raschke (Manfred Zapatka als Feinkost-Großhändler) auf den Pelz rücken. Schade, dass die tagesaktuellen Geschehnisse der Neujahrsfeierlichkeiten zum Beispiel in Berlin ihre Schatten auf diesen Sonntagskrimi warfen. Gleich zu Beginn konnte man der Kölner Feuerwehr zusehen, wie sie unbehelligt ihren Dienst versah, wie während des Krimis mehrfach Krankenwagenbesatzungen in aller Ruhe Patienten versorgen konnten.
Und das, wo doch vorher noch die Kölner Innenstadt von einem vermummten schwarzen Block heimgesucht worden war, offenbar ultrarechten Demonstranten, die Slogans skandierend durch ruhige Viertel (hier war laut ARD die Weidengasse gemeint) marschiert waren. Umgeworfene Müllcontainer, brennende Fackeln, ein ausgebranntes Lokal: Das musste schmerzhafte Erinnerungen an die Ausschreitungen in der Silvesternacht wecken.
Lokalgröße Raschke versorgt nicht nur die Restaurants eines ganzen Kölner Veedels mit Spezialitäten, sondern er hat sie auch alle mit eisernem Griff in der Hand. Er betätigt sich als Kredithai, sponsert aber auch den örtlichen Fußballverein. Dazuhin knechtet er mit seinen beiden groben Söhnen Nico und Marko (Paul Wollin) die Wirte und schluckt dann irgendwann deren Betriebe. Dabei betont er ständig den von den Bläck Fööss oft besungenen Kölner Grundsatz: „Denn hier hält man zusammen, egal was auch immer in unserem Viertel passiert.“ Allerdings meint er wohl, diese Maxime gelte nur für ihn und seine Gaunertruppe.
Nico wird tot in dem ausgebrannten Restaurant „Wunderlampe“ gefunden. Der hatte (der Zuschauer weiß es aus der Anfangssequenz mit der rechten Demo) vorher versucht, mit einem „Molli“ das Restaurant anzuzünden, war aber zunächst gescheitert ist, und hatte dann den Brandbeschleuniger selbst auf dem Inventar ausgießen müssen. Dabei war er von hinten niedergeschlagen worden. Das Drehbuch von Paul Salisbury nimmt nun tüchtig Anlauf und benutzt den Brandanschlag als Aufhänger für allerlei Wendungen: Oben drüber wohnte die Tochter von Hauptkommissar Schenk, Sonja (Natalie Spinell), mit ihrem Lebensgefährten Karim Farooq (Timur Isik). Denen gehört das – überschuldete – Restaurant, sie bekamen von der Bank nichts mehr, weil beide einen Schufa-Eintrag haben.
Der Kriminaler, rührend besorgt um Tochter und Enkelin Frida (Maira Helene Kellers), begeht schon mal den ersten Befangenheitsfehler im Amte und bringt sie in eigener Machtfülle in einer Polizeiwohnung unter. Irgendwie schaut er Schwiegersohn in spe Karim schief an, was ihm von Tochter Sonja den Hinweis auf „racial profiling“ einbringt. Witwe Aylin Göktan (Günfer Çölgeçen) hat zwar Probleme mit Tochter Sara (Linda Schablowski), die in der Schule Handys abzieht, und mit Sohn Timur (Mido Kotaini), der bei Pate Raschke als Telefondrohanrufer jobbt, aber sie ist eine ehrliche Haut und sieht sich im Veedel als „Alteingesessene, daher gebe es da auch keine Rassismusprobleme“.
Ex-Nazi, Mordopfer, Brandstifter und Hooligan Nico hat indes noch ein weiteres Geheimnis, von dem der Papa und das Bruderherz nichts wissen durften: Er war heimlich schwul und hatte auch noch was mit dem Ehemann der Café-Inhaberin Aylin Göktan, den er aber während einer handfesten Auseinandersetzung zum Krüppel schlug, und der sich anschließend das Leben nahm. Puh, eine ziemlich umfangreiche Vita für eine noch dazu durch Ableben früh beendete Rolle.
Zum Schluss wird es nochmal dramatisch. Viktor Raschke veröffentlicht einen „wanted: dead or alive“-Suchauftrag im Viertel, um den Mörder seines Sohnes zu ermitteln. Dabei lässt er den Lebensgefährten von Sonja zusammenschlagen. Deren Tochter versucht, den Laden Raschkes abzufackeln, und taucht dann kurzzeitig unter, was wiederum der Geschichte zu einem dramatischen Showdown verhilft, in dem Freddy Schenk seine Tochter grade noch davon abhalten kann, den Weidengassen-Paten ins Jenseits zu befördern, weil sie meint, er habe Frida entführt. Am Ende kommt heraus, dass die Polizistentochter den Spross des Paten angestiftet hat, das eigene Restaurant anzuzünden. Während der bösen Tat wurde er dann von Kneipenwirtin Ulla Waldstätt (Almut Zilcher) mit dem Baseballschläger ihres verstorbenen Gatten aus Angst, er könne sich auch an ihrer „Gaststätte“ vergreifen, erschlagen.
Dieser Krimi am Rhein weckt nostalgische Erinnerungen an den Mittelmeerurlaub
In der Neujahrsfolge des ZDF-Krimis „Marie Brand und die Ehrenfrauen” zieht auch das ZDF gegen das organisierte Verbrechen Kölns in die Schlacht. Aber es geht nicht um Ehrenmorde, wie der Titel andeuten könnte. Wichtigstes Detail nebenbei: woher die Mafiosi kommen.
Vielleicht liegt es an der Vertrautheit, die sich zwischen italienischen Einwanderern und den Teutonen mittlerweile entwickelt hat. Klar, wenn man wählen könnte, mit welcher Sorte ausländischer Krimineller man es zu tun bekommen möchte, käme sicherlich „katholisch erzogen, perfektes Deutsch mit leicht südländischem Akzent, lebt noch bei der Mama und liebt Pasta” auf die vorderen Ränge. Italienische Zuwanderung gibt es schon seit den 1950er Jahren in Deutschland. Man kennt sich. Auch für die Darstellung des anstrengenden Teils der Polizeiarbeit hat die Option für ein Drehbuch mit mafiösen Tätern quasi aus dem „Mutterland” des organisierten Erbrechens (scherzhaft: Liedtext der Ersten Allgemeine Verunsicherung) nur Vorteile: Es ist ohne weiteres möglich, ein polizeiliches Verhör ohne Dolmetscher zu führen und mit typisch deutschen, maximal-peinlichen Drohungen aus dem Repertoire alter weißer Ermittler wie „… jetzt hören Sie doch auf, mich anzulügen … das kann Sie teuer zu stehen kommen … wenn Sie jetzt kooperieren, kann der Richter Ihnen … oder wollen wir das auf dem Revier besprechen” noch zu punkten.
Nach diesem Muster haben ARD und ZDF eine Reihe von Episoden ihrer Krimis gestrickt, in Sokos von Münster bis München, durch die Fälle des Pfarrers Braun, im Tatort bis zum Staatsanwalt in Wiesbaden durfte fast jeder mal die bösen Familien aus dem Süden Europas in ihre Schranken weisen. Einige Ermittler mussten dabei sogar gegen ihre eigenen alten Kumpels aus Sizilien vorgehen (2018, Tatort Ludwigshafen, KHK Mario Kopper).
Aber Hand aufs Herz: Wen reißen Cosa Nostra oder Ndrangheta heute noch vom Sessel? Es sind quasi alte Bekannte, die seit über 50 Jahren ihre unsauberen Geschäfte da abwickeln, wo die Deutschen am liebsten sonntags essen gehen: beim Italiener um die Ecke. Dieser Krimi am Rhein weckt nostalgische Erinnerungen an den Mittelmeerurlaub. Lauter knuddelige Etablissements mit so bekannten wie beliebten Namen aus der reichen Architektur des alten Rom: „Bocca della Verità”. „Fontana di Trevi”.
Marie Brand (Mariele Millowitsch) steckt auf der morgendlichen Fahrt ins Büro im Stau. Gerade noch ist sie an der lästigen Autobahnbaustelle vorbeigezockelt, da wird dort der Bauingenieur Claudio Messina (Sami Loris) mit „Italienischem Migrationshintergrund” (ZDF), der aber „so pingelig war wie ein Deutscher” (ein Kollege über ihn) von der Mafia wegen eben dieser Pingeligkeit in die Luft gesprengt. Er wollte einfach nicht jeden Mist abzeichnen, den ihm der sizilianische Billig-Subunternehmer Giuseppe Costa (Nicola Perot) vorlegt.
Zum Glück ist Kommissarin Brand nach dem Knall alarmiert, springt aus ihrem Wagen und ist daher superschnell am Ort des Geschehens, um gleich zu wittern, dass hier etwas nicht stimmen kann. Die Frau des Opfers, Francesca (Dagny Dewath), kümmert sich derweil rührend um ihren Kaffeeladen in einer romantischen Kölner Gründerzeitvilla, Bild vom Dom (nicht der in Mailand) an der Wand inklusive. Aber sie hat leider auch ein zwielichtiges Bündel aus der Vergangenheit zu schleppen: Wegen einer Aussage gegen einen Onkel aus ihrer Mafiafamilie lebt sie unter dem Deckmantel des Zeugenschutzprogramms. Und bei ihr hat die wohlige Wirkung der bundesrepublikanischen Umgebung den erhofften Erfolg gezeitigt; Francesca Messina ist eine perfekte, man kann sagen vollintegrierte Stütze der Kölner Gesellschaft geworden. Von der verwöhnten Mafiagöre zur Kaffehausbesitzerin und Mutter zweier süßer deutsch-italienischer Schulkinder, von denen eins sogar Polizist werden will.
Nach dem Anschlag auf ihren Mann weiß Francesca schlagartig Bescheid, wer ihr da Böses will, und bewaffnet sich mit sorgsam hinter der Wand aufbewahrter 9-mm-Pistole. Ihre Kinder bringt sie bei einer alten Freundin auf dem Land in Sicherheit. Jürgen Simmel (Hinnerk Schönemann) darf wieder einmal ohne Jacket erfolglos hinter verdächtigen Billiglöhnern her sprinten, Marie Brand ihre tolle Kombinationsgabe und Kopfrechenkünste unter Beweis stellen. Das schließlich vor den Ermittlungen entblößte Geschäftsmodell des Baulöwen Uwe Schimkat (Stephan Baumecker) von der Firma „Hoch&Tief” – Ähnlichkeiten mit echten Unternehmen sind nicht beabsichtigt – hat einen Bart, dichter als der von Luciano Pavarotti und so langweilig wie deutscher Cappuccino mit Sprühsahnehaube. Barzahlung an die ausgebeuteten Rumänen und Italiener auf Niedrigniveau, anschließend Abrechnung über Scheinfirmen von Strohmännern (Warum nur wird die Tatsache betont, dass es sich in diesem Fall um zwei völlig ahnungslose sizilianische Ziegenhirten handelte?) und zu überhöhten Preisen.
Der Zuschauer wird erfreut bemerken, dass die Mafia Fracksausen kriegt und Carla Giordano (Patrizia Carlucci) schickt, um aufzuräumen und den Laden dicht zu machen. Aber dieser auf Stilettos daher stöckelnden Killerin (ähnlich wie Dimitra Arliss 1973 als Salino in “der Clou”) flattern, als es ernst wird, auch die Nerven, und sie lässt sich in der Tiefgaragenausfahrt der Bank von Simmel mit samt den 500 Mille Schwarzgeld arretieren.
Zum neuen Jahr also ein Mutmacherkrimi von Drehbuchautorin Katja Röder. Die Organisierte Kriminalität verliert spätestens in der dritten oder vierten Generation an Dampf, lässt sich dann auch ohne Geballer (Marie Brand ist immer unbewaffnet) widerstandslos von der braven Kölner Polizei abführen. Zum Schluss sollte man hier noch einmal die Bläck Fööss zu Worte kommen lassen:
„Jetzt frage ich euch, wem damit geholfen ist,
Was nützt die ganze Stadtsanierung schon,
Da soll doch lieber alles bleiben, wie es ist
Und wir behalten unseren schönen Dom.“