Die Gesellschaft muss mit der sich drehenden Spirale der Gewalt zurechtkommen, also schraubt man erstmal die gefühlte Sicherheit auf dem Bildschirm rauf. Was früher ein ordinärer KHK (Kriminalhauptkommissar) mal so neben der Pflege seiner Goldfische (Erik Ode) erledigen konnte, was Götz George noch stolpernd zwischen dem letzten und dem nächsten Hangover gestemmt bekam, dazu brauchen ARD und ZDF in dreistelliger Zahl antretende Bataillone (50 alleine für den Tatort) aus Ermittlern, Schnüfflern, Pathologen, Psychologen und Cops, von Amsterdam bis Istanbul, Rosenheim bis Schweden. Ein schier unaufhörlicher Reigen aus Sokos, Ermittlerinnen und Kriminalistinnen.
So wie das öffentlich-rechtliche Fernsehen neuerdings die Justiz hochleben lässt, könnte man denken, dass hier nicht eine unersättliche Kriminachfrage gestillt, sondern ängstliche Seelchen massiert werden sollen. Kein Tag vergeht, ohne dass man den Bösewichtern, und solchen, die es werden wollen, auf mindestens 110 cm Bildschirmbreite mit der hoch erhobenen Gerichtsbarkeit droht: Keine schräge Äußerung, kein Verstoß gegen StVO oder die Abgasrichtlinien, keine Ordnungswidrigkeit und selbstverständlich keine Straftat, so die Botschaft, sollen unentdeckt und ungesühnt bleiben. Eine gewaltige Last, die der deutschen Justitia da aufgebürdet wird. Fast gewinnt man den Eindruck, dass die Kopien besser als das Original sein könnten, und nun republikweit tausende Polizisten gefesselt auf der Fernsehcouch liegen.
Alte Taktik: Dem Volke ein X für ein U vormachen
Man baut in diesen Serien auf jahrhundertalten Gepflogenheiten der deutschen Erziehung auf: Ermahnung, Drohung, möglichst drastische Darstellung der Folgen. Seht ihn an, da steht er, garstger Struwwelpeter! Lange hat das gute Erfolge gezeitigt, warum sollte die Methode, dem Unerzogenen die ganze Schärfe der bereitstehenden Werkzeuge einmal zu zeigen, heute versagen? Und es steht wohl viel auf dem Spiel: Nicht nur müssen Millionen von Neubürgern auf den richtigen Weg geleitet werden, auch die bereits länger hier Lebenden sollen an die Kandare. Wenn die Politik schon an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, das Vertrauen der Bürger von Amberg bis Döbeln in den Rechtsstaat beschädigt ist, muss man die Moral eben mit entsprechenden Ausstrahlungen heben.
Der letzte Schrei in diesem Bemühen ist die Serie „der Staatsanwalt“ des ZDF. Der durch seine Ermittlungen in 88 „Fällen für Zwei“ bereits einschlägig vorbedarfte Rainer Hunold verkörpert darin das, was der Sender „Wiesbadens Garantie für Gerechtigkeit“ nennt, und er wird zusätzlich, weil es einfach besser klingt, vom Staatsanwalt zum Oberstaatsanwalt befördert.
„Tödlich Wohnen“ – eine politische Botschaft?
Oberstaatsanwalt Rainer Hunold macht sich gut, mit seiner gewichtigen Erscheinung (er meint, unter 100 kg sehe er krank aus) als Verkörperung der ganzen Wucht der Ordnungsmacht vor dem zu seiner Staatskanzlei umfunktionierten, altehrwürdigen Wiesbadener Rathaus. Immer flankiert von seinen zwei bewaffneten Assistenten, Christian Schubert (Simon Eckert) und Kerstin Klar (Fiona Coors). Sein aktueller Fall spielt in der lukrativen Wiesbadener Innenstadtlage (cbd, wie der smarte junge Makler es ausdrückt: central business district) in der es scheinbar von Immobilienhaien so wimmelt, dass sich das Wasser bald rot färbt. Schnell führt die Spur vom ersten Opfer zu einer deren Mieter, einem alleinerziehenden Geringverdiener, dem wegen einer energetischen Sanierung nun die Außerkraftsetzung der Mietpreisbremse (im SPD-regierten Wiesbaden) und der Rauswurf drohe. Ein Motiv? Bald stellt sich heraus, dass der junge frühere Anti-Atom-Demonstrant (zum Sohn: man soll kein Opfer sein, gell!) doch nicht wegen einer Mieterhöhung gemordet hat. Die sozialdemokratischen Untertöne sind unüberhörbar. Später die Schwester der Ermordeten: „Ich habe immer gesagt, dass man mit Wohnen kein Geld verdienen sollte“. Worauf der Herr Oberstaatsanwalt antwortet: „Moralisch gesehen haben sie sicher Recht.“
Es gehe um „pervers viel Geld – mit Champagner obendrauf“ so Immobilienentwickler Andreas Amlang zu der biederen Schwester von Opfer Nr. 1 – Ziel sei dabei ein „Portfolio von value-add assets“ – ein Begriff, den der OStA dem Kollegen Schubert erstmal erklären muss; Die Zuschauer lässt er später nebenbei wissen, dass „… 25 Milliarden Schwarzgeld pro Jahr in Deutschland in Immobilien angelegt würden …“.
Dem Tötungsdelikt an der Vermieterin folgen ziemlich schnell das an einem Notar, der seinem Freund, Oberstaatsanwalt Reuther (Hunold) grade noch im Vertrauen gestehen wollte, im Dienste schwach geworden zu sein. Wir erfahren wenig später, dass er sein gesamtes Erbe in die blühenden Landschaften im Osten investiert habe – „…welche aber heute noch auf sich warten lassen würden…“ Ein Schelm, der hier wieder den Rotstift eines sehr politisch Denkenden im Drehbuch am Werke sieht.
Bemerkenswert auch, dass das Wort „Mord“ offenbar im aktuellen Polizeijargon nicht mehr vorkommt, das Team gibt stets an, wegen eines „Tötungsdelikts“ zu ermitteln.
Hat hier die ReformInitiative (wie bei der „Welt“ geschildert) des früheren Justizministers Maas schon Früchte getragen?
Dann geht es dem ersten Auftragskiller selbst an den Kragen, der, nun aktenkundig, selbst zur Bedrohung für die Verbrecher geworden ist. Schön, wie man dem kurzen Gespräch des glattrasierten Täters (Auftragskiller 2) und Opfer sofort entnehmen kann, dass beide wohl dieselbe Muttersprache haben (Russisch).
Überhaupt wirkt das Idiom in dem Krimi in mehrfacher Weise entlarvend: Schon beim Kondolieren in der Villa des befreundeten, aus dem Wege geschafften Notars wird der Oberstaatsanwalt stutzig: ein Russisch sprechender Muskelmann vor dem Haus, ein geschniegelter Russe mit Blumen bei der Witwe? Die Erzschurken sind allesamt keine „Biodeutschen“: der Westentaschen-Oligarch spricht sogar perfektes Deutsch als Fremdsprache (DAF). Ein Schuft, wer hier ins Grübeln käme, welche anderen sprachlichen Alternativen dem Drehbuch hier noch zur Verfügung hätten stehen können und ob man nicht auch manchmal zu dicke auftragen kann.
Peinlich, dem Kollegen Schubert fährt der glatzköpfige Messermann in letzter Sekunde davon, und so kann der einen weiteren Zeugen (die Investigativjournalistin, die der Gefahr mit dem Bekenntnis trotzte, dass sie nicht als Spiel ermittle, sondern weil dies ihr Beruf sei) ausschalten, bevor ihn der nette Schrotthändler von Nebenan beim Verschwindenlassen des Tatfahrzeugs auffliegen lässt.
Den heimlichen Absprachen des städtischen Baudezernenten kommt Oberstaatsanwalt Reuther bei seiner Würstchenbude auf die Schliche: Selbst in der Mittagspause des Planungsbüros plaudert man schon aus, dass das millionenschwere Meganeubauprojekt, an dem alle Seiten verdienen werden, bereits wie geschmiert anläuft.
Überhaupt läuft das alles sehr entspannt, wenn der Oberstaatsanwalt da von seinem mondänen, getäfelten Büro aus mal locker herumtelefoniert – Anfrage an das BAFIN wegen einer Finanzauskunft über den Notar, Halterabfrage eines verdächtigen Pkw, Kontakt zur Russischen Botschaft über das Auswärtige Amt – in Wiesbaden schnurrts wie am Schnürchen, man hat Zeit, keine Aktenberge, die drücken, keine Hetze, keine Hast, keine Überarbeitung. Ein Wink, und viele fleißige Hände konfiszieren Unterlagen, durchsuchen verschlüsselte Laptops und bringen Verstärkung.
Ganz im Gegensatz zu dem mörderischen (Pardon, Herr Maas) Alltag, dem die Kollegen im wirklichen Leben ausgesetzt sind. Auch das ist eine der Botschaften dieses Films. Rechtsstaat kann so einfach sein, einfach machen. Ebenso mehrschichtig ist der Name des konspirativen Russischen Restaurants, in das sich der Oberstaatsanwalt wegen der weiteren Recherche selbst begibt: die Zwiebel.
Überfallartig setzt sich der deutsche Beamte im Maßanzug an den Tisch seiner Beute. Und ja, da zittert er schon ein bisschen, der „Neue Russe“, da auf dem Divan vor seinem exquisiten Mahl. Wie ihn der Beamte bestimmt aber höflich angeht, ganz große Verhörkunst ohne trennende Scheibe oder Leibwächter. Wie er ihm andeutet, dass er ja sowieso alles weiss, wie er ihn dazu zwingt, sich in Allgemeinplätze wie „ich lebe gerne in dieser wunderschönen Stadt “ zu flüchten. „… Was machen Sie hier in Wiesbaden?“ „Das was man hier am besten machen kann: genießen das Leben – soll ich Ihnen einen Teller …?“ Nein, den nimmt Oberstaatsanwalt Reuther natürlich nicht an. Stattdessen hält er ihm eine Heuschreckenpredigt, die fast schon obszön ist: „Sie ziehen von einer attraktiven Stadt in die nächste, dort lassen sie Immobilien zusammenkaufen, dann lassen sie dort Shopping Center, Luxuswohnungen und Bürohäuser bauen, verkaufen das alles wieder und ziehen weiter in die nächste Stadt …“ Und der dicke Fisch gesteht, dass er das Spielgeld (Reuther) dafür von russischen, deutschen, schweizerischen Investoren bekäme. Schlimme Zustände in Wiesbaden. Wegen der vielen „Russischen Connections“ Parallelen zu dem erfolgreichen Film „The Equalizer“ mit Denzel Washington zu ziehen, wäre allerdings unangemessen.
Letztlich fehlt nun nicht mehr viel zum Schlussakkord, die trauernde Witwe des befreundeten Notars steckte ebenfalls tief im Immobiliensumpf und wird als Letzte noch erschossen, dem bösen Oligarchen wird bühnenreif am Flughafen vor dem Privatjet von einem vermummten Landsmann sein russischer Diplomatenpass (Ehrenrettung für die Russen) abgenommen, er, der Immobilienhai und der nach allen Regeln der Polizeischule in die Schulter geschossene Killer werden abgeführt.
Man könnte sich nach der Folge in Spielfilmlänge zu der Aussage hinreißen lassen: derzeit kann keine (r) im deutschen Fernsehen einem Verbrecher so schön grade in die Augen schauen und ihm ohne zu Blinzeln mit rauchiger Stimme anzukündigen: „Vielleicht erwische ich Sie ja auch mal …“ Hoffen wir mal, dass die reife schauspielerische Leistung Hunolds viele Jurastudenten dazu bewegen wird, eine Karriere in der Staatsanwaltschaft in Betracht zu ziehen.