Tichys Einblick
Eröffnung der Olympischen Spiele

Die Kulturkämpfe können beginnen

Auch nach der geschmacklosen Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ebben Kritik und Diskussion nicht ab. Nun will man mit fadenscheinigsten Gründen das unwürdige Spektakel geraderücken: Es habe sich gar nicht ums Abendmahl gehandelt.

Protest gegen die "Abendmahl"-Inszenierung bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Andreea Alexandru

Die Olympischen Spiele wurden am Freitag in Paris mit einer Show eröffnet, die sich über die ganze Stadt ersteckte und die inzwischen in einen Deutungskampf mündet um die Kultur, denn einige fanden es grandios, andere langweilig, wieder andere eine schlechte Aufführung von Trash, Kitsch und Talmi, wieder andere ein Zeichen des Zerfalls der Kultur, des Siegs des Dekonstruktivismus, der alles zerstört. Man könnte auch sagen, des Sieges der grünen Ideologie und der Erkenntnis, dass die Grünen alles kaputt bekommen, was ihnen in die Hände fällt, so eben auch dies.

Man kann viele Details erwähnen, beispielsweise Marie Antoinette, die ihren Kopf, den die Guillotine von ihrem Hals geschnitten hatte, hielt und Revolutionslieder singt, doch der eigentliche Streit entzündet sich um die zentrale Darstellung, um die Travestie von Leonardos Abendmahl, das von Drag Queens persifliert und mit einem Bacchus unter einer riesigen Essensglocke garniert wurde. Jesus wurde von einer sehr beleibten Aktivistin der lesbischen Szene namens Barbara Butch dargestellt, oder Apollon – je nach Deutung.

Dass sich daran der Streit entzündet, hat die Truppe um den Regisseur Thomas Jolly anscheinend doch kalt erwischt. Im Grunde ging es um die Verhöhnung des Abendmahles und um die Darstellung von Transsexualität und um die Feier der LGBTQ Community, was man gern auf dem CSD machen kann und auch macht.

Doch wenn man berücksichtigt, dass Europa, das moderne Europa aus dem Christentum entstand – und dass eben jenes Abendmahl nicht nur Zentrum und Mysterium des Christentums darstellt, ohne Abendmahl, ohne Eucharistie keine Erlösung, ohne Erlösung kein Glauben, und man sich darüber hinaus die großartige Erfolgsgeschichte seit der Renaissance anschaut – und zwar mit Blick auf die Wissenschaft, die Technik, die Zivilisation, wie eben aus dem Christentum Freiheit und Demokratie entstanden und die Menschenrechte formuliert worden sind, dann weiß man, dass das Abendmahl mehr als nur eine symbolische Bedeutung besitzt. Die Kritik richtet sich nicht dagegen, dass man blasphemisch mit dem christlichen Glauben umgehen kann, wie gern unterstellt wird. Damit kann man sich gern und lange und, so gut man will sich blamieren, wie man es vermag. Es geht auch nicht gegen die Freiheit der Kunst, freilich muss auch erstmal Kunst geschaffen worden sein.

Die Kritik richtet sich – um hier nichts zu verwässern – darauf, dass die Eröffnung der Olympischen Spiele auch immer ein Statement zum Eigenen, immer auch vom Selbstverständnis des Gastgebers kündet. Wäre es anders, könnten die Nationen zusammenlegen und irgendwo an irgendeinem Ort einen olympischen Ort errichten, an dem regelmäßig die Spiele stattfinden. Das wäre vermutlich sogar billiger. Doch würde damit die Idee der Spiele ramponiert. Denn dadurch, dass die Spiele wandern, kehrt die Welt immer an einem anderen Ort in einem anderen Land ein, das sich eben nicht nur in sportlicher Hinsicht vorstellt, sondern auch mit seiner Kultur, Geschichte, Mentalität, und dadurch ermöglicht, dass man einander besser in einem grandiosen Fest friedlichen Wettstreits kennenlernt, noch besser kennenlernt. Freilich, wenn man sein Auto über alles liebt, kann man seine Gäste auch zum Feiern in seine Garage bitten. Doch der Frage, welches Bild Frankreich von sich in der Eröffnung bot, soll hier nicht weiter nachgegangen werden, zumal die Franzosen die Frage mit sich ausmachen müssen.

Etwas anderes ist es: Wie geht Frankreich, wie geht Europa mit dem Christentum, mit sich selbst um, mit seiner Tradition, seiner Kultur, seinen Werten? In Deutschland wird man in manchen Studiengängen an Hochschulen und Universitäten als ewig Gestriger ausgelacht und verhöhnt, wenn man als Kette ein christliches Kreuz um den Hals trägt und zuweilen wird man auch mit der rhetorischen Frage konfrontiert: Wer glaubt denn noch an Gott? Das kann eigentlich nur ein armer Irrer sein. Doch die gleichen Leute vergehen fast vor Rücksichtnahme, wenn ein Muslim Schonung wegen seines Ramadans einfordert. Nein, ich halte dennoch nicht die provokante Frage, was gewesen wäre, wenn man nicht das Abendmahl und Jesus travestiert hätte, sondern Mohammed, für nicht zielführend. Denn auch das lenkt vom eigentlichen Thema ab, nämlich: Wie gehen wir mit unserer Identität, mit unserer Geschichte, mit unseren Werten, völlig unabhängig davon, ob wir religiös sind, um?

Von der Wucht der Empörung überrascht, beschimpften die Woken und Postmodernen zunächst alle Kritiker. Wie immer als ewig Rechte, als Deppen, wie immer unter der Gürtellinie, anders können sie es auch nicht. Man sah sich von woker Seite diesmal gezwungen, um wieder die Meinungsführerschaft an sich zu reißen, seinen grünen Senf dazuzugeben, in einem nicht allzu bekannten Museum in Dijon ein Bild ausfindig zu machen eines nicht allzu bekannten niederländischen Malers des Barock, um allen eine Nase zu drehen: Ätsch, es ist nicht Leonardos Abendmahl, wie dumm seid ihr, dass ihr Jesus nicht von einem antiken Gott, Apollon zum Beispiel, dass ihr das Abendmahl nicht von einem Bacchanal unterscheiden könnt.

Jan Fleischauer trieb der ununterdrückbare Wunsch, lustig und originell zu sein, als er postete: „Die ganze Empörung für die Katz. Es war nicht das Abendmahl, es war der Olymp.“ Man muss zwar von Fleischhauer keine Kenntnisse in Kunstgeschichte und in das Wesen von Rezeption oder Semiotik erwarten, aber von dem Sozilogen Armin Nassehi schon. Doch der Soziologe ertrank völlig im Mantel des Weisen, als er zum Besten gab: „Ja, aber das spielt keine Rolle, es geht um das ‚gefühlte‘ Abendmahl – die Leute suchen nach Möglichkeiten, beleidigt zu sein. Und finden immer etwas.“ In Nassehis Welt existieren nur noch gefühlte Wahrheiten, aber keine Fakten mehr.

Kommen wir also zu den Fakten:

1. Ebene: Dass die Macher sehr wohl das Abendmahl im Blick hatten, belegt der Post von Sarah Fields. In ihrem Tweet dokumentiert sie den Post von Barbara Butch, die Jesus darstellte, und unter das Bild von der Aufführung Leonardos Abendmahl stellte und dazu schrieb: „Oh ja, Oh ja, das Neue Schwule Testament.“ Einige Stunden später löschte sie den Post und behauptete, dass sie ein Bild von Jan Harmenz van Biljert unter dem Titel „Le Festin des Dieux“ nachgestellt hätte. In schöner Offenheit kommentierte sie: „Ich habe eine Menge Nachrichten über meinen Glauben erhalten – aber ich habe eine Frage an euer Herz.“ Am Sonntag bestritt plötzlich Thomas Jolly, das „letzte Abendmahl parodiert zu haben“, wie France 24 berichtet, nachdem französische Bischöfe gegen die Verhöhnung des Christentums protestiert hatten. Dem Sender BFM sagte Jolly am Sonntag: „Die Idee war, ein großes heidnisches Fest im Zusammenhang mit den Göttern des Olymps zu veranstalten.“ Wieso ein heidnisches Fest? Zumindest begannen die Olympischen Spiele nicht mit einem Bacchanal, sondern mit einer Opferzeremonie. Es mag sein, dass Jolly sich von dem „Le Festin des Dieux“ hat inspirieren lassen, es mag aber auch sein, dass ein hilfreicher Freund oder eine hilfreiche Freundin dieses Bild aus dem Museum von Dijon plötzlich aus dem Hut gezaubert hat, doch das ist vollkommen gleichgültig, denn:

2. Ebene: Rezeptions- und Kunstgeschichte, die man kennen sollte, wenn man damit hantiert. Jan Harmenz van Biljert malte das in Rede stehende Bild zwischen 1635 und 1640 und stellte die Hochzeit der Nereide Thetis und des Königs Peleus dar. Doch selbst, wenn man in dem jungen Mann in der Mitte der Tafel den griechischen Gott Apollon sehen will, erklärt das nicht den Heiligenschein und vor allem stellt sich die Frage, warum Biljert als Tafel die Ikonographie des Abendmahls benutzte. Die Antwort darauf ist denkbar einfach, weil die Malerei von der Gotik, der Renaissance und des Barocks mit Standartsituationen vor allem des Neuen Testaments umging, beispielsweise Maria mit dem Kind, Maria Selbdritt, Maria Verkündigung, die Kreuzigung und natürlich das Abendmahl. Besonders in der Renaissance kam es für die Maler darauf an, wie originell, wie neu sie die Standardsituationen gestalteten. Im Barock werden die Standardsituationen aufgelöst, auch durch die Konfrontation antiker und christlicher Gedanken- und Geschichtenwelt. Van Biljert war also bestens vertraut mit Abendmahlsdarstellungen und vermutlich auch mit der von Leonardo. Wer mit van Biljert umgeht, geht also mit dem Abendmahl und mit dessen Auseinandersetzung mit dem Christentum um. Sicher ist aber, dass Biljert in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts sich in Rom aufhielt. In Rom beeindruckten ihn die Werke von Caravaggio und Guido Reni, ohne dass er ihre Meisterschaft zu erreichen vermochte. Später wird man ihn zu den Utrechter Caravaggisten zählen. Reni und Caravaggio nutzten antike und christliche Sujets, wobei die Menschlichkeit ihrer Figuren sich in beiden Sujets gleichblieb, ging es ihnen doch gleichzeitig um das Heilige und um das Profane, um das Künstliche und um das Natürliche, um die Vermenschlichung Gottes. Im Barock wurden jedoch die Standardsituationen aufgelöst, Antikes und Christliches wird vermischt, miteinander konfrontiert bis an die Grenze der Blasphemie und zuweilen auch darüber hinaus. Der Heiligenschein, den van Biljert dem Apollon aufsetzt in seinem Gemälde „Le Festin des Dieux“, ähnelt unter anderem frappierend dem Heiligenschein von Christus im Emmausmahl eines unbekannten Malers ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert, das im Kunsthistorischen Museum in Wien zu finden ist.

Kurzum, um nicht nötig weiter in die Tiefe zu gehen. Wenn Jolly wirklich van Biljerts „Le Festin des Dieux“ vor Augen hatte, hätte er Werk- und Rezeptionsgeschichte berücksichtigen, Biljerts Spiel, Kritik, Umdeutung des Abendmahles berücksichtigen müssen. Denn Biljerts Gemälde ist nicht einfach die Darstellung eines Götterfestes auf dem Olymp, sondern es ist die Auseinandersetzung mit dem Abendmahl, und eben auch mit Leonardos Abendmahl. Jolly behauptete: „Ich wollte eine Zeremonie, die die Menschen zusammenbringt, die versöhnt, aber auch eine Zeremonie, die unsere republikanischen Werte der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bekräftigt.“ Das sind Floskeln, es klingt schwach, wie eine Ausrede. Aber wenn es denn so wäre, dann erhebt sich die Frage, warum er nicht alle Menschen wählte, sondern Drag Queens und LGBTQ Aktivisten – sind das für ihn „alle“ Menschen? Oder wollte man eigentlich nur ein Fest der Trans- und Homosexualität feiern? Von welcher Seite man auch fragt, es lassen sich nur vier Antworten finden, entweder hat Jolly geschlampt, oder er wollte kein Fest der Götter, sondern ein Fest der Transsexualität, oder er berauschte sich an einer platten Travestie des Abendmahles, oder ihm unterlief eine Mischung aus allen drei Antworten.

Das Beste aber in dieser heillos absurden Geschichte kommt zum Schluss. Alpha News berichtet: „Das iranische Außenministerium hat den französischen Botschafter wegen der beleidigenden Darstellung von Jesus Christus während der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele vorgeladen, berichteten iranische Medien. Der iranische Minister für Kultur und islamische Führung betonte: ‚Muslime verehren Jesus als Propheten Gottes. Die beleidigende Darstellung von Jesus Christus gestern in Paris war völlig anstößig und hat alle roten Linien überschritten.‘“

Ich fürchte, Thomas Jolly hat mehr exkludiert als inkludiert.

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