Tichys Einblick
War da mal was?

Leugnen, Beschwichtigen, Vergessen – Die Strategie der ARD zu ihren Skandalen

Die ARD hatte die Kontrolle verloren, nachdem ihre Vorsitzende Patricia Schlesinger in Folge von Skandalen zurücktreten musste. Um Wogen zu glätten, versprach die ARD Aufklärung – will aber davon kaum noch was wissen.

IMAGO / Future Image

Kai Gniffke wird zum Jahreswechsel der neue Vorsitzende der ARD. Keine große Nachricht. TE hatte das gleich nach dem erzwungenen Rücktritt von Patricia Schlesinger vorausgesagt. Der SWR-Intendant wäre ohnehin an der Reihe gewesen. Durch den Rücktritt kommt er nur ein Jahr früher an den Vorsitz.

Trotzdem ist Gniffke aus Sicht der ARD der richtige Mann zur richtigen Zeit. Kaum einer steht so wie er für den Wandel des Ersten in der Ära Merkel. Als Verantwortlicher der Tagesschau und der Tagesthemen hat er diese von 2006 bis 2019 transformiert: weg von neutralen Nachrichten-Sendungen hin zu Foren des „Haltungs-Journalismus“. Das ist ein beschönigender Begriff für eine Plattform, die ungeniert Nachrichten nutzt, um die eigene politische Agenda zu propagieren – und die ist grün-rot.

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Unter Gniffke passierten Tagesschau und Tagesthemen mehrfach Fehler in der Berichterstattung über Pegida. Nun kann das vorkommen. Auch Journalisten haben das Recht, Fehler zu machen. Doch alle falschen Berichterstattungen fielen zu Ungunsten der Demonstranten aus. Ohnehin zielten alle zweifelhaften Entscheidungen Gniffkes in die gleiche Richtung: grün-links. Über die Kölner Silvesternacht berichtete die Tagesschau erst auf Druck der Zuschauer. Als in Freiburg 2016 eine Medizinstudentin von einem Flüchtling erstochen wurde, den ihre Familie betreut hatte, hielt Gniffke das aus den Nachrichten heraus: Es fehle die überregionale Bedeutung. So war es wieder, als 2018 ein anderer Flüchtling seinen Arzt erstach. Oder als Horst Seehofer (CSU) 2018 zurücktrat: „Er hätte einen besseren Abgang verdient, aber jetzt war es Zeit“, kommentierte der Chef persönlich. Allerdings war Seehofer gar nicht zurückgetreten. Gniffke konnte lediglich seine Freude so wenig zurückhalten, dass er das Gerücht schon als Nachricht nahm.

Nun soll Gniffke die Skandale der ARD aufarbeiten. Doch das wird nicht passieren: „Es ändert sich nichts“, sagt der ehemalige ZDF-Starjournalist Peter Hahne in der Sendung „Tichys Ausblick“. Die Beharrungskräfte seien zu groß. Die Politik sitze mit in den Aufsichtsgremien, sie müsste die Zustände anprangern, aber die Politik habe ein Interesse daran, dass die Zustände in der ARD so sind, wie sie sind: „Jeder Ministerpräsident will seinen eigenen Sender.“ Die bisher aufgedeckten Skandale handelten zwar von finanziellen Vergehen, für Hahne sind die ideologischen Verwerfungen aber schlimmer: die politisch einseitige Ausrichtung der ARD.

Die ARD hat eine mehrstufige Kommunikationsstrategie. Die erste Stufe lautet Leugnen. Als der Business Insider über Schlesingers mutmaßliche Vorteilnahmen berichtete, sprach diese noch von einer Kampagne. Ihre Sicht teilten Vertreter aus ihrem Aufsichtsgremium, dem RBB-Rundfunkrat. Doch sie ließ sich nicht halten. Zu viele Medien – darunter TE – deckten zu viel auf. Also ging die ARD zur zweiten Stufe ihrer Kommunikationsstrategie über: Beschwichtigen. Das hört sich dann so an: Da könnte uns vielleicht etwas passiert sein, was man auch als Fehler bezeichnen könnte. Da haben wir wohl nicht genug hingeschaut. Das werden wir alles aufarbeiten. WDR-Intendant Tom Buhrow ist ein Meister solch folgenloser Entschuldigungen.

Als kommissarischer Vorsitzender der ARD versprach Buhrow, der Senderverbund werde sich ebenfalls an der Aufklärung beteiligen: auch journalistisch. Doch bisher berichten ARD-Journalisten in eigener Sache erst, wenn private Medien einen Missstand aufgeklärt haben. Und auch dann im Wesentlichen nur so viel, wie die privaten Kollegen bereits berichtet haben. Aber die Arbeit eben dieser privaten Medien sabotiert die ARD: So hat der NDR laut Welt Abmahnungen an Medien geschickt, die kritisch über dessen Missstände berichtet haben. Die Phase der Beschwichtigung scheint vorbei zu sein. Die ARD ist in der dritten Phase angelangt: Vergessen und Totschweigen.

Wie die ARD gegen die privaten Medien arbeitet, die ihre Missstände aufgedeckt haben, zeigt auch das Beispiel Jörg Schönenborn: So berichtet das „Zapp-Medienmagazin“ der ARD auf Twitter über eine Selbstanklage des WDR-Programmdirektors. Der habe einen Neffen seiner Frau in der Sendung „Hart aber fair“ untergebracht. Zumindest könnte der Eindruck entstehen. Denn für die Talkshow sei er als Chefredakteur im Bereich „Politik und Zeitgeschehen“ selbst zuständig gewesen. Also hat Schönenborn einen Fehler eingesehen und die ARD von sich aus darüber berichtet?

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Nein. Am Ende der Berichterstattung auf Twitter muss das „Zapp-Medienmagazin“ eingestehen, dass Schönenborn auf eine Anfrage der Welt reagiert hat. Nun gilt es zwischen Journalisten und Pressestellen als ungeschriebenes Gesetz, dass über exklusive Anfragen nicht öffentlich geredet wird. Denn das macht den recherchierenden Journalisten die Exklusivität kaputt. Die Pressestellen profitieren auch von diesem Gesetz. Denn so können Journalisten Beschuldigten die Chance einräumen, sich zu Vorwürfen zu äußern – ohne dass ihre Story dadurch kaputt gemacht wird.

Wenn Schönenborn nach der Anfrage den Vorwurf öffentlich macht, zerstört er den privaten Kollegen den Nachrichtenwert, die da Schlechtes über ihn herausgefunden haben. Eine Revanche. Und einen Fehler eingesehen hat der WDR-Mann offensichtlich auch nicht. Seiner Selbstanklage folgt ein Selbstfreispruch, wie Zapp berichtet: Er habe Privates und Berufliches zu keiner Zeit vermengt, betont er in der Stellungnahme. Zwischen Chefredakteur und Programmdirektor gebe es im Alltag keine „Berührung“ mit einer Produktionsfirma. Zur Erinnerung die drei Kommunikationsstufen der ARD: Leugnen, Beschwichtigen, Vergessen.

Journalistisch dazugelernt hat die ARD nichts. Wie es Hahne in „Tichys Ausblick“ sagt: Es wird sich nichts ändern. Vor einem Jahr im September hat der RBB in der Abendschau den grünen Politiker Georg Kössler als vermeintlichen Passanten präsentiert, der die grüne Verkehrspolitik lobte und sich mehr davon wünschte. Der RBB konnte den Vorwurf nicht leugnen, beschwichtigte, es sei ein „handwerklicher Fehler“, dass da ein Politiker als Passant aufgetaucht sei und dann löschte der RBB das Video. Damit begann Stufe drei: Vergessen.

Nun passiert dem RBB fast genau das gleiche wieder. Erneut in der Abendschau. Auch dieses Mal geht es um radfreundlichere Politik und auch dieses Mal präsentiert der öffentlich-rechtliche Sender einen Experten als Passanten, der sich für eine grünere Politik ausspricht. Zu Beginn des Beitrags kommen schlecht gelaunte Passanten zu Wort, die den Sinn einer Busspur anzweifeln, gegen die es auch ein Gerichtsurteil gibt. Am Schluss des Beitrags ist es am Passanten Christian Linow ein fröhliches Plädoyer für die Busspur zu halten. Es ist nicht das erste Mal, das Berliner Medien den Aktivisten zitieren. So behält die grüne Politik beim RBB das letzte Wort.

Auf Twitter weist unter anderem der Nutzer Andreas Schreiner auf diesen Zusammenhang hin. Die erste Reaktion des RBB: Leugnen. Schreiner unterstelle dem Sender hier eine „bewusste Verfälschung des Beitrags“. Doch ziemlich bald folgt Stufe zwei: Beschwichtigung. „Der Interviewpartner ist tatsächlich rein zufällig vorbeigefahren … Insofern kommt das im Beitrag vielleicht im Nachgang falsch rüber.“ Doch auch hier lässt der RBB Stufe drei auf dem Fuß folgen. Vergessen und Totschweigen: „Daraus „bestellte“ Meinung zu suggerieren, ist jedoch unlauter.“

— rbb Abendschau (@rbbabendschau) September 14, 2022

Hahne behält mit seiner Aussage in „Tichys Ausblick“ recht: Es gibt in der ARD keinerlei Interesse an echten Reformen. Das zeigt nun ein Treffen der ARD-Führung mit dem Vorsitzenden der Aufsichtsgremien, über das die Fachplattform DWDL berichtet hat. Demnach ging es dort vor allem um die Frage, wie sich die öffentlich-rechtlichen Sender im Netz aufstellen. Im alten, analogen Fernsehen halten ihnen die Zuschauer die Treue, die sich über Jahrzehnte an Fernsehen als tägliches Ritual gewöhnt haben. Doch darauf könne sich die ARD kein Jahrzehnt lang mehr verlassen. Deswegen müsse sie bessere digitale Angebote produzieren. Dafür müsse Geld umgeschichtet werden. Denn für gute Angebote in Netz und Fernsehen reiche das Geld nicht – bei 8,5 Milliarden Euro Zwangsgebühren im Jahr.

Die Aufklärung der hausinternen Skandale stand laut DWDL nur am Rande auf der Tagesordnung. „Außer dass NDR-Intendant Joachim Knuth seinen Kollegen laut Buhrow das ‚gute Gefühl‘ vermittelt habe, alles werde zügig aufgeklärt.“ Es gebe ein gutes Gefühl der Aufklärung, poetischer ließe sich der Übergang von Stufe zwei zu Stufe drei nicht beschreiben – vom Beschwichtigen zum Vergessen. Bald ist dann Gniffke der Vorsitzende der ARD. Der richtige Mann für Stufe drei, Vergessen. Gegenüber DWDL gab er schon mal einen Vorgeschmack darauf: „In einer Zeit, in der wir nicht wissen, ob die Menschen in drei Monaten noch die Bude warm kriegen … Verlassen wir uns dabei auf Algorithmen aus China und Amerika oder bieten wir in Deutschland eine Plattform für diese Debatten? Das ist die Rolle der ARD, die ich als meine Mission sehe.“

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