Tichys Einblick
Obskure Themenwoche

Die ARD sucht nach dem „Wir“

Die ARD will in dieser Woche das "Wir" suchen und für eine einige Gesellschaft kämpfen. Blöd, dass sie sich da für einen spaltenden Beitrag entschuldigen muss. Allerdings haben Beleidigungen in der ARD System.

Bild: SWR

„Wirrköpfe. Spinner.“ Das sind nicht die Worte eines Rentners gegenüber Demonstranten oder das Geplärr eines Säufers vor der Kneipe, aus der er gerade geworfen wurde. Mit diesen Worten kanzelt Rainald Becker im Mai 2020 von den Tagesthemen aus die sündigen unter seinen Schäfchen ab. Was hatten sie getan? Es ging um Menschen, die nach dem ersten Lockdown sich ihr altes, normales Leben zurücksehnten. Die „Wirrköpfe“: Wollen einfach so ihre Eltern besuchen oder in ein Restaurant gehen … „Spinner!“

Das ist der Ton, den die ARD vorgibt. Den das Erste zur Normalität macht. Sendefähig in einer der wichtigsten Nachrichten-Formate des Landes. „Wirrköpfe.“ „Spinner.“ Nun veranstaltet die gleiche ARD eine Themenwoche: „Wir gesucht – Was hält uns zusammen?“, ist diese übertitelt und – Spoiler-Alarm – es wird eine Woche der Krokodils-Tränen. Zwischen Muntermacher-Beiträgen suchen die Redakteure immer wieder auch nach den Schuldigen der Spaltung. Die ARD wird nicht unter den Verdächtigen sein, „das Netz“ oder „die sozialen Netzwerke“ dafür umso öfter.

Aber es stimmt halt auch: „Das Netz“ verbreitet Beleidigungen. Dort ist zum Beispiel immer noch zu sehen, was Rainald Becker von Menschen hält, die eine andere Meinung haben als er: „Spinner.“ „Wirrköpfe.“ Oder ein Kommentar, den die Tagesschau an diesem Wochenende zum Thema verbreitet hat. Der handelt von „Ratten“, die wieder in „ihre Löcher zurückgeprügelt werden“ müssen, wie es der Los-Angeles-Korrespondent – ja, die ARD leistet sich so was – Nils Dampz formuliert hat. Dampz beschränkt diesen Gewaltaufruf zwar auf „Rassisten“ und Verschwörungstheoretiker. Doch so verschwenderisch, wie die ARD und ihre Mitarbeiter in den vergangenen Jahren mit diesen Begriffen umgegangen sind, hat sie sich da vorgenommen, viele „Ratten“ in „ihre Löcher“ zu prügeln.

Danach entschärft die ARD die Passage in dem Kommentar. Und sie lässt eine der Nicht-Entschuldigungen folgen, mit denen jemand etwas abräumt, das er nicht halten kann – auch wenn er nicht so richtig einsieht, warum er jetzt zurückstecken muss: „Wir bitten um Entschuldigung für die Wortwahl. Es war nie das Ziel, jemanden zu entmenschlichen.“ Die Frage, was denn dann das Ziel bei dieser Wortwahl war, bleibt unbeantwortet.

„Das Netz“ spielte eine doppelte Rolle in dieser Affäre. Als Medium war es der Weg, über den die ARD ihre Diffamierung verbreitete. Als Gruppe war es das Korrektiv für die ARD. „Das Netz“ erkannte, dass „Ratten“ als Begriff eine Entmenschlichung darstellen, wozu hochbezahlte Redakteure offensichtlich nicht in der Lage waren. Und „das Netz“ übte solange Druck auf die ARD aus, bis diese den verlorenen Posten nicht mehr halten konnte.

Manch ARD-Krieger hätte gerne weitergekämpft. Etwa Udo Stiehl, der laut Selbstauskunft freiberuflicher Nachrichtenredakteur bei WDR und Deutschlandfunk ist. „Ist eine redaktionelle Entscheidung. Ich persönlich hätte es nicht geändert“, schreibt Stiehl. Davor schrieb er, es sei ein „treffender Kommentar“ gewesen, der „genau die scheinheiligen Verteidiger der Meinungsfreiheit“ getriggert habe, also provoziert. Aber auch: „Es liegt mir fern, Menschen mit Ratten zu vergleichen.“
Stiehl findet es also gut, Menschen durch einen Ratten-Vergleich zu provozieren, aber schlecht Menschen mit Ratten zu vergleichen? Der Widerspruch scheint dem Nachrichtenredakteur nicht aufzufallen. Das ist keine Kleinigkeit. Denn genau dieser blinde Fleck auf dem Auge der ARD-Krieger und aller anderen Woken ist eine Ursache der Spaltung der Gesellschaft – auch wenn er in der ARD-Themenwoche vermutlich nicht vorkommen wird: Woke Linke sehen sich als die Guten und jeden als Schlechten, der ihnen widerspricht. Wer den Schlechten etwas Schlechtes zukommen lässt, tue demnach etwas Gutes, so ihre Logik. Es ist die gleiche Logik, die Menschen mit einer anderen Meinung als „Spinner“ und „Wirrköpfe“ erscheinen lässt.

Über 90 Prozent der ARD-Volontäre wählen Rot oder Grün. Das hat eine Umfrage ergeben. Diese eindeutige Schlagseite ist für ein öffentlich-rechtliches System untragbar. Diese Schlagseite gepaart mit dem Sendungsbewusstsein der woken Linken und ihrer Überzeugung, gegen die Falschen gar nichts Falsches unternehmen zu können, lässt die Aggressivität zu, die in der ARD herrscht. Etwa wenn die Schauspielerin Heidelinde Weis im „Kölner Treff“ des WDR über Ungeimpfte sagt: “Zu prügeln sind diese Menschen“ und dafür Applaus erhält. Auch von den Diskussions-Teilnehmern. Weis ist keine Redakteurin der ARD. Aber sie lebt davon, in Schrottfilmen des öffentlich-rechtlichen Systems mitzuspielen: „Das Traumhotel“, „Utta Danella: Wachgeküsst“ oder „Das Traumschiff“.

Weis, Becker, Dampz … Alles Einzelfälle. Nun. Falls ja, gibt es viele von diesen Einzelfällen. Sarah Bosetti verdient ihr Geld unter anderem durch den RBB und den WDR. Doch eine Sorge teilt sie nicht mit ihren ARD-Auftraggebern, wie sie auf Twitter schreibt: „Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes?“ Es würde ja nur „rechts unten“ treffen. „Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes.“ Menschen, die als überflüssiges Körperteil beschrieben werden? Die abgestoßen werden können? Niemand hat die Absicht, dass darin die Entmenschlichung erkannt wird.

Nur vier Einzelfälle? Nun dann weiter: Luisa Neubauer bezeichnet Hans-Georg Maaßen als Antisemiten. Weil er das nicht ist, finden sich dafür auch keine Belege. Anne Will sucht selbst lange, klammert sich an linksextreme Blogger und gibt dann mit der für die ARD verblüffend klaren Entschuldigung nach: „Ich habe heute früh einen Thread geteilt. Das war ein Fehler. Ich bitte um Entschuldigung.“ Der WDR lässt Kinder ein Lied singen, in dem Senioren als „alte Umweltsau“ tituliert werden. Alles Einzelfälle. Längst kein Grund, die Ursachen für die Spaltung bei sich selbst zu suchen. „Das Netz“ taugt doch viel eher als Prügelknabe.

Ja. Auch anderen Journalisten und Medienmitarbeitern passieren Entgleisungen. TE musste ein Schmerzensgeld für eine beleidigende Formulierung gegenüber einer SPD-Politikerin zahlen. Der ZDF-Aktivist Jan Böhmermann hat Beleidigungen zu seinem Geschäftsmodell gemacht – bevorzugt aus der Fäkalsprache. Und dem Bild-Reporter Julian Röpcke ist eine ziemlich üble durchgerutscht, als er sich an diesem Wochenende auf Twitter darüber freute, dass russische Soldaten „zu Dünger“ gemacht worden seien. Menschen zu Dünger – eine Entmenschlichung just an dem Wochenende, an dem er sich selbst über den Ratten-Kommentar der ARD echauffierte. Auch seine Entschuldigung war weniger einsichtig eher halbherzig:

Manchmal rutscht etwas raus. Ja. Doch bei der ARD handelt es sich eben nicht um Einzelfälle. Nicht einmal um eine Häufung an Einzelfällen. Die Sicht, dass Andersdenkende nur „Spinner“ und „Wirrköpfe“ sind, hat in der ARD System. Ein System, das umso deutlicher zu sehen ist, desto eindeutiger sich die ARD zu der linksgrünen Haltung der überwiegenden Mehrheit ihrer Mitarbeiter bekennt. Dann auf die Suche nach dem „Wir“ zu gehen, ist ziemlich verlogen. Vor allem, wenn die ARD ihren eigenen gewichtigen Anteil an der Spaltung nicht untersucht. So entsteht der Eindruck, dass das „Wir“ nur gefragt ist, weil wir nun die Folgen der verpatzten Ampelpolitik ertragen sollen. Am besten einig und genügsam.

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