Tichys Einblick
Deutscher Fernsehpreis

Von der Meinungsfreiheit reden, um die Meinungsfreiheit abzuschaffen

Die Meinungsfreiheit ist bedroht - weil zu viele Leute ungefiltert und ohne redaktionelle Einordnung sagen, was Sache ist. Eine verblüffende Einschätzung beim Deutschen Fernsehpreis, wo man die Demokratie verteidigt, indem man Einheitsmeinung statt Meinungsvielfalt einführt.

Screenprint: via X

Orwell ist ausgelutscht. Sparen wir uns das Gerede von „Freiheit ist Sklaverei“ und Neusprech. Gehen wir ans Eingemachte: Reden wir über den Teufel. Das griechische Wort für Teufel diábolos kommt vom Verb diabállein. Er ist der „Zusammenwerfer“, heißt: Auseinandertreiber, Zwistanstiftender, Verwirrer, Verleumder. Diabolisch sein heißt: eine Sache versprechen, das Gegenteil tun; die Lüge als Wahrheit verkaufen; von der Einheit sprechen und in ihrem Namen spalten.

Wo wir schon vom Deutschen Fernsehpreis sprechen: Ein kurzer Clip enthüllt so ziemlich alles, was im Handbuch der diabolischen Kniffe zu finden ist. Bezeichnenderweise sehen sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen, angeschlossene Kulturdarsteller, Stars und Sternchen, und was sonst noch alles angetreten ist, um die bedrohte Demokratie vor der politischen Minderheit zu retten, dabei in der Hauptrolle.

Eine für das eigene Lager konzipierte Ansprache soll den Zusammenhalt stärken. Es geht um: Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, „unsere Demokratie“. Letztere ist – mal wieder – von innen und außen bedroht. Mit der Verve des Frühjahrs, als Tausende aufmarschierten, steht die Veranstaltung selbst unter dem Motto, die Demokratie zu verteidigen. Dabei gibt es historisch einige Beispiele dafür, dass diejenigen, die vor dem Sturz des Staates warnten und sich selbst als Bewahrer der Ordnung inszenierten, diese als erste abschafften; etwa in der römischen wie französischen Geschichte.

„Die Demokratie gerät unter Druck. Weltweit – und auch bei uns. Und das beginnt häufig damit, dass Werte wie die freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit infrage gestellt werden.“

Wäre es an diesem Abend nur bei dieser Feststellung geblieben, hätte sich Moderator Christopher Wittich einer breiten Unterstützung gewiss sein können. Denn in der Tat sind Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit – und damit verbunden – das Individuum mehr denn je unter Druck.

Etwa vonseiten von Regierungen, die Neue Medien als desinformierend einschätzen, wenn sie den Einheitsstrom der Meinungen kritisieren und Missstände aufdecken, die die Alten Medien entweder nicht behandeln können oder nicht behandeln wollen. Wenn etwa überholte Gatekeeping-Funktionen von selbsternannten „Qualitätsmedien“ sichergestellt werden, wobei es de facto nur um die strukturelle Deutungshoheit politischer Ideologien geht.

Oder wenn Länder wie Brasilien und Deutschland Gesetze schaffen, um die freie Meinungsäußerung im Internet einzuschränken, ob nun durch ein NetzDG oder den Kampf gegen die Plattform X. Wenn Kritik bei der Energiewende, Klimapolitik, Europapolitik, Migrationspolitik oder Coronapolitik als Hass und Hesse diffamiert, oder gleich vom Innenministerium als Tatbestand der „Delegitimierung der Staates behandelt“ wird. Wenn ein Magazin per Dekret vom selben Innenministerium verboten wird.

Ja, es ist also der Aussage als solcher zuzustimmen: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit in der westlichen Welt sind bedroht. Von Regierungsbehörden, von ihren NGO-Helfershelfern und einer ganzen Reihe weiterer Akteure, die die freie Meinung und die freie Presse nicht als Korrektiv der Regierungsgewalt verstehen, um der politischen Minderheit eine Stimme zu geben, sondern als störendes Beiwerk, das abgeschafft gehört, weil es sich sonst mit der Transformation nicht durchregieren lässt.

Aber: Wie gesagt, es geht um Diabolik. Denn der Moderator fährt fort:

„Immer mehr Menschen – vor allem auch die Jüngeren – informieren sich über soziale Medien, wie Facebook, TikTok, X und Co. Das ist gefährlich. Es gibt dort häufig keine redaktionelle Einordnung oder Faktenchecks. Fake News werden unkontrolliert verbreitet. Frei erfundene Geschichten, politische Hetze, gefälschte Daten und Verschwörungstheorien gehen ungefiltert auf alle Displays. Der eigene Algorithmus verstärkt negative Dinge. Wenn man sich nur in der eigenen Filterblase aufhält, wenn man nur das gezeigt bekommt, was man eh schon kennt – dann wird die Welt ganz klein.

Soziale Medien sind Einfallstore für staatlich gelenkte Desinformation. Von außen. Recherchen zeigen, dass Russland und China hier sehr aktiv sind. Ausgewogene Berichterstattung und Redaktionen, die Fakten und Hintergründe recherchieren, sind für die Meinungsbildung und damit für unsere Demokratie von entscheidender Bedeutung. Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, damit öffentlich-rechtliche und private Medienhäuser ihre Aufgaben erfüllen können. Wir, die Medienschaffenden, müssen wieder Vertrauen in die Nachrichten zurückgeben.“

Dieses schreckliche, „gefährliche“ Internet bedroht die Meinungs- und die Pressefreiheit! Da muss doch ein Gesetz her! Denn die etablierte Presse ist dann nicht mehr frei, zu behaupten, was sie will. Plötzlich können Individuen ihre eigene Meinung in der Welt verbreiten. Die politische Minderheit bekommt ein Sprachrohr, das die Presse schon seit Langem nicht mehr bereit ist, ihr zuzuteilen; obwohl das für den eigentlichen Demokratieerhalt eine der wichtigsten Lektionen ist. Nicht der Erhalt der Demokratie, sondern die Ausschaltung der Opposition ist das eigentliche Anliegen. Nicht die Vielfalt der Meinungsäußerungen, sondern die vorgegebene Einheitsmeinung ist „Meinungsfreiheit“.

Wir erinnern uns, wie redaktionelle Einordnung funktioniert. Wenn ein „Geheimtreffen“ in Potsdam zum Deportationsgipfel hochstilisiert wird. Wenn so getan wird, als würde die Zuwanderung von Millionen von Menschen keine Auswirkung auf die Innere Sicherheit haben. Wenn eine Energiepolitik einen der höchsten Strompreise in Europa generiert, aber trotzdem als „vorbildlich“ für die Welt gilt; und afrikanische Fernseher ohne Strom laufen. Wenn das, was gestern Verschwörungstheorie war, plötzlich Fakt ist; und der Fakt von gestern heute Verschwörungstheorie. Das betrifft keine Anekdoten mehr, sondern die Zweigeschlechtlichkeit.

Ein weiterer Vorwurf schwingt mit: „vor allem die Jüngeren“ informieren sich nicht über traditionelle Medien. Dieselbe Generation, die bei Fridays for Future in den Himmel gelobt wurde, steht nun im Verdacht, der Verbreiter der rechten Propaganda zu sein. Aus „hört auf die Jugend“ wurde: die Jugend weiß gar nicht, was sie tut. Sie ist wie die Mehrheit der Bürger unmündig. Sie muss angeleitet werden. Von Politik. Von Medien. Vom deutschen Fernsehpreis.

Es ist dieselbe Veranstaltung, die einer als Moderator getarnten Krawallschachtel einen Preis verleiht, die wegen Desinformation selbst im Rampenlicht steht. Gefangen in der eigenen Filterblase glaubt man wohl, dass solche Verrenkungen für Außenstehende nachvollziehbar sind. Böhmermann wie Wittich eignen sich kaum als Teufel, dennoch sehr gut als Repräsentant eines diabolischen Schauspiels, das von der Meinungsfreiheit und Pressefreiheit redet, um sie einzig für sich selbst zu reservieren – und für den Rest abzuschaffen.

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