Tichys Einblick
Der klassische Rohrkrepierer

Der Tagesspiegel sucht nach Hitler und findet nur sich selbst

Es hat durchaus einen gewissen Unterhaltungswert, wie sich die Berliner Tageszeitung selbst überführt, Anleihen bei einer Hitler-Rede genommen zu haben, als sie ungeprüft eine solche Behauptung über Gauland verbreitet.

A man looks at Rene Magritte's 'La Reproduction' painting at the 'Surreal Things' exhibition

CHRIS YOUNG/AFP/Getty Images

Ein Blick in den Tagesspiegel der letzten Tage dokumentiert, in welch geistigem Elend der Linksliberalismus angekommen ist, wie er sich inzwischen selbst parodiert, nicht einmal mehr das Niveau der Komödie erreicht und rettungslos in die Schmiere abstürzt. Denn es hat schon einen gewissen Unterhaltungswert, wie sich die Berliner Tageszeitung selbst überführt, Anleihen bei einer Hitler-Rede genommen zu haben.

Der verhängnisvolle Stein des Anstoßes war der Gastbeitrag Alexander Gaulands in der FAZ. Die Gründe für den Aufschrei der Linksliberalen bestanden aber nicht in dem Text, sondern erstens darin, dass die FAZ in der Rubrik „Fremde Federn“ einen Text des AfD Vorsitzenden brachte und zweitens darin, dass der Text eben nicht plump, dumm und irgendwie rassistisch, islamophob oder sonst etwas war, wie man es gern gehabt hätte. Selbst Jakob Augstein kam nicht umhin, das zähneknirschend einzugestehen, auch wenn er natürlich andere Schlussfolgerungen ziehen würde, welche, bleibt allerdings sein Geheimnis.

In dieser Situation verfiel der Tagesspiegel auf die denkbar größte Denunziation, die in Deutschland möglich ist, ihn als Paraphrase einer Hitler-Rede zu brandmarken – und zeigte letztlich nur, dass auch in diesem Qualitätsmedium der Fachkräftemangel inzwischen angekommen ist. Mangels eigener Recherchefähigkeit verließen sich zwei Redakteure auf einen Twitter-User, der seinen wahren Namen allerdings nicht preisgeben will und unter dem Twitter-Namen znuznu@znuznu agiert.

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Wahrscheinlich fürchtet der arme User, der sich für eine Art Whistleblower hält, um sein Leben. Znuznu@znuznu also machte die beiden Redakteure streng konspirativ darauf aufmerksam, dass er auf Parallelen des Gauland-Textes mit einer Rede von Adolf Hitler gestoßen sei. Den wackeren Redakteuren gelang es sogar mit dem mysteriösen Twitter-User, der „lieber anonym bleiben will“ am Dienstag zu telefonieren. „Auf Nachfrage am Telefon erklärt“, znuznu@znuznu den Redakteuren „Hitlers Rede sei ihm aus seinem Geschichtsstudium geläufig“. Spätestens jetzt befindet man sich im Zweifel, ob man sich in einer Parodie des Films über die Watergate Affäre „Die Unbestechlichen“ befindet. Der so geheimnisvolle wie kühne Geschichtsstudent znznu@znuznu begab sich mit seinem Tweet in allergrößte Gefahr, weil jedem „klar gemacht werden sollte, dass die Bonzenpartei nur das alte, braune Süppchen wieder aufwärmt.“ Mit Bonzenpartei meinte der ehemalige Geschichtsstudent vermutlich die AfD. Man kann bei der AfD wahrlich auf vieles kommen, doch nicht auf „Bonzenpartei“.

Die Tagesspiegel-Redakteure stellten jedoch inzwischen erleichtert fest, dass sie mit ihrer ungeheuren Entdeckung nicht allein stehen, denn ein wenig hatten sie wohl noch die Büx voll vor ihrem großen Scoop, denn: „Zu denen, die die These von „znuznu“ prüften und weiterverbreiteten, gehört Jonas Mueller-Töwe, Politik-Redakteur beim Nachrichtenportal „t-online.de“. Seiner Meinung nach ähneln die „Struktur des Arguments und der Aufbau der Textpassage“ von Gauland auffällig Hitlers Rede. Das passe zur AfD-Strategie des kalkulierten Tabubruchs. Die Partei richte sich mit solchen Codes an für die Botschaften empfängliche Zielgruppen.“ In einem mehr als kühnen Tweet stellt der wackere Jonas Mueller-Töwe fest: „Der Stand der Debatte 2018 in Deutschland: Paraphrasierte #Hitler-Reden werden in der #FAZ gedruckt. Wegen Pluralismus und so. Links #Gauland, rechts Hitler. #AfD“

Pluralismus, also das worauf unsere Gesellschaft beruht, ist dem t-online-Redakteur nur noch ein „und so“ wert, überflüssig, verzichtbar und die FAZ im Grunde aus „Pluralismus und so“ auch schon Nazi. Und ein wenig resigniert wird den furchtlosen Aufklären klar, dass man Gauland die Absicht letzten Endes nicht nachweisen kann, weil er nicht wörtlich zitiere.

Glücklicherweise fällt den Redakteuren in dieser Klemme ein, dass es für dieserart Nachweise Fachleute gäbe. Ein solcher Fachmann ist Wolfgang Benz, allerdings ein Fachmann dafür, die eigenen Vorurteile als Vorurteilsforscher zu bestätigen, wie ich in der Rezension eines seiner Bücher analysierte, das ein klassischer Fall für die wissenschaftliche Disziplin der Vorurteilsforschung“ ist „,in der sich der Autor selbst engagiert.“.

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Enttäuschend ist, dass Benz im Grunde dem „Fund“ des Geschichtsstudenten nichts hinzuzufügen vermag, außer etwas historischem Brimbamboriums, das Zeithistoriker sicher kritisch sehen würden, denn die grundsätzliche Behauptung, dass Hitler als Populist auftrat, um Gauland und Hitler auf eine Ebene zu stellen, muss Benz im nächsten Satz bereits im Grunde ad absurdum führen, wenn er eingesteht, dass es den Begriff Populismus damals noch nicht gab, sondern man von „Demagogen“, politischen Scharlatanen“ sprach, wenn „maulheldige Menschheitserlöser vor Kleinmütigen und Angstgeplagten auftraten“. Stimmt, die Hyperinflation 1923 war eine prosperierende Zeit, in der es allen gut ging und Angst- und Wutbürger grundlos die Straßen bevölkerten. Auch die Weltwirtschaftskrise hat nur in der Phantasie „der Kleinmütigen und Angstgeplagten“ stattgefunden. Das a-historische und anachronistische Vorgehen ist typisch für Wolfgang Benz, der gern auch mal per copy and past aus den Juden des 19. Jahrhunderts die Muslime des 21. Jahrhunderts in Deutschland macht. Unterschiede spielen keine Rolle, was nicht passt, wird passend gemacht.

Lassen wir hier den vorurteilenden Vorurteilsprofessor in seinem sehr überschaubaren Geschichtsbild allein und wenden wir uns den Stellen zu, in denen Gauland nach Ansicht von znuzu@znuzu, Mueller, Benz und den Tagesspiegel-Redakteuren Hitler paraphrasiert hätte. 1933 sagte Hitler zu den Siemensarbeitern: „Der Völkerstreit und der Haß untereinander, er wird gepflegt von ganz bestimmten Interessenten. Es ist ein kleine wurzellose internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die nicht will, daß sie zur Ruhe kommen.“

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Dieser Satz von 1933 soll Pate für Gaulands Feststellung vom 6. Oktober 2018 in der „FAZ“ gestanden haben: „Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und weil sie die Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch den Takt vor. Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell „bunt“.“ Dass die beiden Passagen soviel miteinander zu tun haben wie Kaffeesatz mit dem Satz des Pythagoras, wird jedem, der lesen kann, klar. Weder spricht Gauland vom „Völkerstreit“ und „Hass“, noch davon, dass eine „wurzellose internationale Clique“ „die Völker gegeneinander hetzt.“ Es ist ein Unterschied, ob sich eine internationale Elite zusammenfindet oder ob eine internationale Clique die Völker gegeneinanderhetzt – und nicht nur in der Wortwahl, denn der Antisemitismusforscher sollte wissen, dass Hitler auf die antisemitische und rassistische Lüge von der „Verschwörung des Weltjudentums“ anspielt, während Gauland die Juden überhaupt nicht im Blick hat, auch keine Weltverschwörung, sondern die auf eine von keinem ernsthaften Beobachter mehr in Frage gestellte Teilung zwischen den „anywheres“ und den „somewheres“, zwischen den 80 % in einem Land, die einen funktionierenden Staat finanzieren und benötigen, und den 20 % die globalistische Träume hegen und die sich für die Menschen in ihren Ländern nicht mehr interessieren.

Der linke Soziologe Wolfgang Streeck spricht zu recht davon, dass die Konfliktlinie zwischen denjenigen verläuft, die andere Populisten nennen und denjenigen, die Populisten genannt werden. Zu ähnlichen Resultaten kommt die linke Soziologin Nancy Fraser, die vom „Aufstand der Wähler“ schreibt, von einem Wahlverhalten als „subjektive Gegenwehr gegen die objektive Strukturkrise“ Ähnlich wie Gauland kommt Fraser zu dem Befund: „Die US-amerikanische Form des progressiven Neoliberalismus beruht auf dem Bündnis ›neuer sozialer Bewegungen‹ (Feminismus, Antirassismus, LGBTQ) mit Vertretern hoch technisierter, ›symbolischer‹ und dienstleistungsbasierter Wirtschaftssektoren (Wall Street, Silicon Valley, Medien- und Kulturindustrie etc.). In dieser Allianz verbinden sich echte progressive Kräfte mit einer ›wissensbasierten Wirtschaft‹ und insbesondere dem Finanzwesen.“ Sie urteilt über die globalisierten Eliten: „Sie setzen Emanzipation mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der ›Begabten‹ unter den Frauen, Minderheiten und Homosexuellen gleich und wollen die The-winner-takes-all-Hierarchie nicht mehr abschaffen.“ Nicht viel anders sieht das Sarah Wagenknecht.

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Gaulands Text hat mit der Hitler-Rede keine Überschneidung, peinlich für den Professor, peinlich für den Tagesspiegel. Doch für den Tagesspiegel hat die Peinlichkeit noch kein Ende, denn wenn es stimmt, wie der Tagesspiegel behauptet, dass Gauland Hitler paraphrasiert, dann war es der Tagesspiegel selbst, der an Hitlers Rede anschloss, denn der FAZ Text des Fraktionsvorsitzenden der AfD bezieht sich in der Tat auf einen Essay, den am 26.10.2016 der Tagesspiegel höchstselbst als Manifest der Globalisierer in seiner brutalsten Form, in seiner Arroganz und Hybris veröffentlicht hat: »Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. Es sind gut gebildete, tendenziell eher junge Menschen, die sich kulturell zunehmend global orientieren, die die „New York Times“ lesen statt die Tagesschau zu sehen, die viele ausländische Freunde und viele Freunde im Ausland haben, die viel reisen, aber nicht unbedingt, um in den Urlaub zu fahren. Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht … Eine wachsende Gruppe global orientierter Menschen gibt es in jedem Land dieser Erde, und sie ist gut vernetzt. Diese neue globalisierte Klasse sitzt in den Medien, in den StartUps und NGOs, in den Parteien, und weil sie die Informationen kontrolliert („liberal media“, „Lügenpresse“), gibt sie überall kulturell und politisch den Takt vor.«

Fast wortgleich schrieb Gauland in der FAZ: »Im Zuge der Globalisierung hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue urbane Elite gebildet, man könnte auch von einer neuen Klasse sprechen. Zu ihr gehören Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem die neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter. Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und weil sie die Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch den Takt vor. Ihre Mitglieder leben fast ausschließlich in Großstädten, sprechen fließend Englisch, und wenn sie zum Jobwechsel von Berlin nach London oder Singapur ziehen, finden sie überall ähnliche Appartements, Häuser, Restaurants, Geschäfte und Privatschulen. Dieses Milieu bleibt sozial unter sich, ist aber kulturell „bunt“.«

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Gauland teilt die Analyse Michael Seemanns, aber nicht den Standpunkt. Seemann spricht es ganz offen aus, dass sich eine neue Klasse aus dem Bürgertum gebildet und sich von ihm emanzipiert hat. Ihr spricht er die Zukunft und alle Rechte zu. Er träumt davon, dass diese neue, diese „globale Klasse“ „für sich die Chancen der Globalisierung entdeckt und sie zu ihrer Produktivkraft gemacht hat“ und übersieht die traurige Wahrheit, dass diese neue Klasse in Wahrheit nicht eine Klasse von Globalisierungsgewinnern, sondern von Globalisierungsabhängigen in einem neuen Feudalisierungsprozess ist. Doch Seemann hat recht, wenn er schreibt: „Denn insgeheim weiß sie längst, was die eigentliche Quelle ihrer Macht ist: Sie kontrolliert den Diskurs, sie kontrolliert die Moral…“. Er schlussfolgert: „Und das merken die anderen, die kulturell Abgehängten. Sie merken, dass uns ihre Welt zu klein geworden ist, dass wir uns moralisch überlegen fühlen und nach Größerem streben. Vor allem merken sie, dass wir dabei erfolgreich sind, dass wir auf diesem Weg die Standards definieren, die nach und nach auch an sie selbst angelegt werden.“ Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun, mit Diktatur alles. Seemann macht in naiver Offenheit deutlich, worum es geht, um Postdemokratie, um Zwang, um die Abschaffung der Welt, in der die meisten in diesem Land leben und leben wollen.

Die Selbstherrlichkeit, die Empathielosigkeit, die Brutalität, die Illiberalität der Schergen eines neuen Überwachungsimperialismus sprechen aus diesen Zeilen. Die Welt, die hier entsteht, ist nicht bunt, sie wird nicht multikulturell, sie wird multitribal, sie ist so offen, wie ein globales Gulag offen sein kann. Die Kritik an dieser Position, die Ablehnung dieses Gesellschaftsmodells wird als „rechts“ verteufelt, der kritische Diskurs, den Seemann nicht führen kann, weil er in keiner realen Welt, sondern in einem Kartenhaus aus Phrasen lebt, wird sogleich als „internationaler Aufstand gegen die kulturelle Hegemonie der globalen Klasse“ gewertet.

Gauland nimmt in seinem Beitrag die Gegenposition ein, nämlich die der „Arbeiter und Bürger“, die sich zusammengeschlossen haben, um gegen die globale Klasse zu kämpfen (Michael Seemann). Das ist im demokratischen Prozess legitim, das hat mit Hitler nichts zu tun, allenfalls, wenn man wie er den demokratischen Diskurs verbieten wollte.

Im Beitrag von Alexander Gauland und im Aufsatz von Michael Seemann sind in fast wortgleichen Formulierungen die grundlegenden Fragen unserer Zeit angesprochen wurden, kümmern wir uns um diese.

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