Als ARD und ZDF ihre Mitarbeiter aus Russland abgezogen haben, wurde darüber ausführlich berichtet. Aber Hand aufs Herz: Wer hätte es, ohne diese Berichterstattung, mitbekommen? Erkannt – allein anhand der Art, wie ARD und ZDF ihren Zuschauern den Krieg in der Ukraine vermitteln? Mit einer überschaubaren Zahl an Bildern, die vor Ort entstehen, doch im Wesentlichen, indem der Sender Statements weitergibt: von einigen handverlesenen Augenzeugen und von einer großen Menge deutscher Funktionsträger.
Wer sich dem angelsächsischen Journalismus verpflichtet fühlt, der sammelt Fakten, prüft und gibt sie weiter. Ab und an sieht sich der angelsächsische Journalist mehrere unterschiedliche Fakten an und zeichnet daraus einen Zusammenhang nach. Diese Einordnung ist ein Teil und eine Folge seiner Berichterstattung. Der Unterschied zum Haltungsjournalismus klingt nur wie eine Nuance, doch es ist ein so unterschiedliches Vorgehen, dass beide Spielarten des Journalismus mit dem gleichen Namen nicht mehr treffend bezeichnet werden können.
Beim Haltungsjournalisten steht die Einordnung vor der Nachricht. Das vom ZDF beauftragte Format Kurzgesagt geht so weit und erklärt, es würde in den einzelnen Fakten sogar bewusst lügen, wenn das dem Zuschauer helfe, den (komplizierten) Zusammenhang besser zu verstehen. Manche Haltungsjournalisten wie Claas Relotius sind denn auch schon dabei erwischt worden, wie sie für die richtige Botschaft bewusst gelogen haben. Doch so weit muss der Haltungsjournalist gar nicht gehen. Zur „Einordnung“, also zur Vermittlung der gewünschten Botschaft, genügt es, nur die Fakten als Nachrichten zu bringen, die zur Einordnung passen – und die anderen entsprechend unter den Tisch fallen zu lassen.
In der Theorie bekommt der Leser so vom Journalisten ein Bild gefiltert, das ihn die Wirklichkeit besser erkennen lässt. In der Praxis entstehen Zerrbilder: Deutschland ist in der Energieversorgung abhängig von Russland. Die Abschaltung der Atomkraft war übereilt. Das Tempo beim Kohleausstieg lässt sich nicht halten. Diese Botschaften trafen die Deutschen im Februar überraschend. Zumindest, wenn sie sich über ARD und ZDF informieren. Und dort über die Hauptnachrichten und nicht über Dokumentationen, die im Nachtprogramm oder auf ZDF Info gut versteckt sind. Wissen hätte der Deutsche schon können – von der Abhängigkeit oder von den Problemen beim gleichzeitgen Ausstieg aus Kohle und Atom. Im Netz gibt es reichlich Information dazu. Vielleicht manch Unseriöses, doch halt auch viel gut Dokumentiertes.
Doch das Internet ist für die Vertreter von ARD und ZDF die Welt der Fake News. Im Einzelnen prüfen müssen die Öffentlich-Rechtlichen die These von den Fake News nicht einmal. Als Haltungsjournalisten reicht ihnen die Einordnung. Und gerade weil die Einordnung zählt, können ARD und ZDF keine Götter neben sich akzeptieren. Denn wer sich anmaßt, Nachrichten nach Haltung zu sortieren, braucht ein Monopol in der Deutungshoheit.
Links im Zeitgeist, regierungstreu in der Ausrichtung. So war das ZDF unter Bellut, so wird es unter Himmler bleiben. Zwar betont der die Unabhängigkeit seines Hauses. Aber wer kann sich erinnern, wann das ZDF zuletzt Vorgänge so eingeordnet hat, dass es einer Kritik an der Regierung gleichkam? Davon profitierte Angela Merkel, die zum Beispiel 16 Jahre lang Deutschlands Energieversorgung immer mehr in die Hände eines gewaltbereiten Diktators legen konnte. Ohne dafür je medial unter Druck gesetzt zu werden. Richtig eingeordnet hat das ZDF das in keiner Sendung im Hauptabendprogramm. Die Nachrichten dazu wären da gewesen. Doch das ist das Problem des Haltungsjournalisten. Solche Nachrichten, die nicht in die Erzählung passen, sind für ihn Fake News. Einen Irrtum eingestehen oder auch nur erkennen, wird er frühestens, wenn der Irrtum sich nicht mehr leugnen lässt. Oft genug selbst dann nicht.
Der gemeinsame Nachrichtenkanal mit der ARD ist mit Himmler gestorben. Die ARD will „Tagesschau 24“ so umbauen, dass die Kritik aufhört, die Öffentlich-Rechtliche verschliefen immer wieder die Großereignisse. Passiert etwas Unvorhergesehenes, soll Tagesschau 24 künftig sofort auf Sendung gehen. Himmler genügt als gemeinsames Projekt mit der ARD Phoenix, so wie es jetzt ist. Phoenix soll weiterhin ausführlich berichten, wenn es planbar ist, etwa auf Parteitagen oder Pressekonferenzen – Statements von Funktionsträgern und Einordnung also. Bricht indes ein Krieg aus, kommt eine Naturkatastrophe über die Menschen oder tötet ein Amokläufer Dutzende Unschuldige, zeigt Phoenix weiter seine Dokus über Lachse, Pyramiden oder Hitler.
Wie Bellut will auch Himmler in der Unterhaltung auf Masse statt Klasse setzen. Auch wenn er das diplomatischer ausdrückt: „Unterhaltung ist keine Gattung zweiter Klasse. Sie ist wichtig, um Empathie und Werte zu vermitteln.“ Mit dieser Strategie verfolgt Himmler zwei Ziele. Zum einen soll eine hohe Zuschauerzahl die Existenz des ZDF rechtfertigen: „Mein Ziel ist, dass möglichst viele wissen und wertschätzen, was sie für die 4,69 Euro im Monat vom ZDF bekommen.“
Aber die Unterhaltung dient Himmler auch dazu, politische Botschaften zu transportieren: „Wir zeigen Unterhaltung mit echtem Mehrwert.“ Wie das funktioniert? Mal schauen ZDF-Kommissare in einem Krimi einer Kastration zu und kommentieren, dass das Opfer als „alter, weißer Mann“ eine solche Bestrafung ja auch verdient habe. Oder dann verdächtigt „Helen Dorn“ einen linken Aktivisten des Mordes. Fälschlicherweise. Natürlich. Im Laufe des Krimis erklärt er dann Dorn die Welt – und dem Zuschauer gleich mit. War früher der Gärtner der Mörder, ist es im Haltungskrimi der Industrielle. Auch bei „Helen Dorn“: Dort vergewaltigt er dann noch die Tochter des linken Aktivisten – Metaphorik mit dem Holzhammer. Haltung bekommt der ZDF-Zuschauer zur Unterhaltung gratis dazu.
Filme wie „Helen Dorn“ funktionieren. Einerseits. Andererseits zeigen sie eine Aufgabe auf, an der schon Bellut gescheitert ist: junge Zuschauer erreichen, kritische Zuschauer ereichen. Zuschauer, die nicht vor der Glotze abhängen müssen, weil sie Alternativen dazu finden. Im linearen Fernsehen kann das ZDF auf einen festen Stamm vertrauen, der alles schaut, was ihm vorgesetzt wird. Bei Samstagsabend-Filmen ist dann aber oft genug nicht mal jeder zehnte Zuschauer jünger als 50 Jahre.
Im Internet und bei den jungen Leuten muss das ZDF sich seine Zuschauer aber erst erarbeiten. Das zu tun, hat Himmler bei seiner Bewerbung versprochen: „Will heißen: sie nicht nur auf den Plattformen ansprechen, wo sie sind, sondern auch: ihnen attraktive Programme aus ihrer und für ihre Lebenswirklichkeit anbieten.“ Welche Botschaften das ZDF dabei transportieren wird, ist absehbar. Denn wie das ZDF einzuordnen ist, bleibt leicht: links und regierungstreu.