Tichys Einblick
Interview mit Thilo Sarrazin

„Dass meine Botschaften unangenehm sind, ist klar“

Auf den Tag genau acht Jahre nach Erscheinen seines Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ legte Thilo Sarrazin „Feindliche Übernahme“ vor. Wieder muss er heftige Anfeindungen ertragen.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Tichys Einblick: Herr Sarrazin, Reflexartig haben SPD-Politiker auf Ihr neues Buch reagiert. Der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner spricht von einem rechten Machwerk und empfiehlt Ihnen den Wechsel zur AfD. Sigmar Gabriel sieht das von ihm 2011 nach Ihrem ersten Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ vergeblich betriebene Parteiausschlussverfahren als „größte politische Niederlage seines Lebens“. Rechnen Sie jetzt wieder mit einem Ausschlussverfahren?

Thilo Sarrazin: Meine Bücher verkaufen sich auch ohne kritische SPD-Begleitung.

Man hört aber, dass die Vorbestellungen Mitte August nach dem Aufmacher in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („SPD hadert mit Sarrazin“) in die Höhe geschnellt sind.

Ich habe auch registriert, wer sich aus der SPD nicht geäußert hat: Andrea Nahles etwa und auch Olaf Scholz, jedenfalls zunächst nicht und erst auf Nachfrage. Geäußert haben sich die abgehalfterten Politiker, die nichts mehr zu sagen haben: die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, Gabriel und Stegner. Bei allen drei ist die exekutive Karriere vorbei. Ich glaube übrigens nicht, dass in meinem Buch irgendein einziger Satz zu lesen ist, der es rechtfertigen würde, jemanden aus irgendeiner Partei auszuschließen. Dazu ist das Buch viel zu sachlich. Dass meine Botschaften unangenehm sind und nicht jedem gefallen, ist auch klar. Doch ich belege meine Schlussfolgerungen mit Fakten und nenne die Quellen. Deshalb rechne ich nicht mit einem neuen Parteiausschlussverfahren, auch wenn sich pünktlich zur Buchvorstellung jetzt auch Juso-Chef Kevin Kühnert dafür starkgemacht hat.

Sie haben Ihr Buch in der Woche nach den Chemnitzer Vorfällen öffentlich vorgestellt. Fast hysterisch ist der gesamte Protest nach dem tödlichen Messerangriff auf dem Stadtfest mit der Nazi-Keule traktiert worden: Nazi-Stadt Chemnitz, Nazi-Land Sachsen, Pegida-verseuchte Polizei. Machen Sie sich Sorgen, dass diese zufällige zeitliche Koinzidenz der Rezeption Ihres Buches „Feindliche Übernahme“ schadet, Sie in die gleiche Schublade gesteckt werden?

Der Unbeugsame
Thilo Sarrazin: Bemerkungen zu meiner Laufbahn
Ich kannte bei meiner Buchveröffentlichungsplanung natürlich den politischen Kalender, etwa dass im Oktober in Bayern und Hessen gewählt wird. Aber Ereignisse wie in Chemnitz passieren ohne Vorankündigung. Allerdings weiß man seit den Zwanzigerjahren, dass es in Sachsen rechtsnationale Elemente gibt, die rechtsradikalen Versuchungen immer mal wieder erliegen. Das hat sich durch die ganze DDR-Zeit durchgehalten. Mal ist eine solche Tendenz virulent, mal ist sie es nicht. Sie ist natürlich auch durch die „Willkommenspolitik“ unserer Bundeskanzlerin virulent gemacht worden.

Es ist keine Hetze, wenn ich sage: Ohne Angela Merkels Willkommenskultur gäbe es 1,5 Millionen überwiegend muslimische Einwanderer in Deutschland weniger. Es gäbe auch einige Dutzend Morde und ungezählte Vergewaltigungen weniger. Das ist nun mal ein Faktum, auch dann, wenn man es nicht polemisch überhöht. Darüber sind viele Bürger verstört. Und diese Verstörung trifft in Sachsen auf ein gefährliches und fruchtbares Umfeld. Diesen Zusammenhang muss man sehen. Ministerpräsident Michael Kretschmer beneide ich da überhaupt nicht. Denn in diesem Umfeld ist es schwer, keinen Fehler zu machen.

Doch nun zu Ihrem sehr lesenswerten Buch. Ein schlichter Leitsatz bleibt für mich als Quintessenz stehen: „Mehrheitsislam und eine freiheitliche Gesellschaft schließen sich offenbar aus.“ Ich erinnerte mich bei diesem Satz an eine eindringliche Mahnung des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Peter Frisch (SPD), der mich in meinem Abgeordnetenbüro im Frühjahr 2000 (!) kurz vor seiner Pensionierung vor dem „Islamismus als Geißel des 21. Jahrhunderts“ warnte. Doch niemand nehme ihn in der Politik ernst, klagte er.

"Feindliche Übernahme"
Thilo Sarrazin: Der Unberührbare
Mein Gott, das war ja zehn Jahre vor meinem ersten Buch „Deutschland schafft sich ab“. Der Islam verführt mit seiner Abgrenzungslehre gegenüber den Ungläubigen zu einem Paralleluniversum, in dem auch über Generationen hinweg keine kulturelle oder genetische Vermischung stattfindet. Muslimas dürfen keine Ungläubigen heiraten. Wenn Muslime andersgläubige Frauen heiraten, dann werden die Kinder automatisch Muslime. Aufgrund der doppelt so hohen Nettoreproduktionsrate von muslimischen Frauen nimmt die Zahl der Muslime in Deutschland noch schneller zu, als ich es vor acht Jahren prognostiziert habe. Denn ich ging von einer Zuwanderung von 100 000 jährlich aus. Wir liegen jetzt bei 200 000. Nach meiner Schätzung sind davon fast drei Viertel Muslime. Von den jährlichen Geburten in Deutschland sind nach meiner Schätzung bereits bis zu 20 Prozent Kinder islamischer Eltern. Der muslimische Bevölkerungsanteil in Deutschland liegt derzeit bei acht Prozent. Nicht nur in Berlin-Neukölln gibt es Grundschulen mit bis zu 80 Prozent Muslimen. Da gerät die Mehrheitsgesellschaft in die Defensive. Selbst im bürgerlichen Charlottenburg steht dann kein Schweinefleisch mehr auf dem Speiseplan der Schulkantine.

Was raten Sie der Politik, um die von Ihnen befürchtete Islamisierung Deutschlands zu verhindern?

Aufregung über ein ungelesenes Buch
Sarrazin: Prüfstein der deutschen Debattenkultur?
Deutschland muss die Zuwanderung von Muslimen grundsätzlich unterbinden. Selbst dann wird ihre Zahl wegen der deutlich höheren Geburtenrate der bereits im Land lebenden Muslime deutlich steigen. Außerdem muss die Angabe der Religionszugehörigkeit verbindlich gemacht werden, um beispielsweise auch präzise statistische Zuordnungen der Bildungsabschlüsse – getrennt nach Religionszugehörigkeit – möglich zu machen. Das Gleiche gilt für die Integration in den Arbeitsmarkt. Mangels exakter empirischer Daten arbeite auch ich in meinem Buch trotz aller Sorgfalt mit qualifiziertem Vermutungswissen. Wir müssen uns hier ehrlich machen und für Transparenz sorgen.

An anderer Stelle zitieren Sie den Journalisten Marco Stahlhut mit dem Satz: „Wer aber vom Islamismus nicht reden mag, sollte auch vom Rechtspopulismus schweigen.“

Diesen Satz hätten sich viele Politiker und Journalisten zu Herzen nehmen sollen, ehe sie ihrem Zorn über die Chemnitzer „Nazis“ Ausdruck verliehen haben.


Erleben Sie Thilo Sarrazin im Gespräch mit Roger Köppel, Herausgeber der WELTWOCHE beim Gipfeltreffen der freien Rede am 3. Oktober in Berlin, am 4. Oktober in Wien und am 5. Oktober in Zürich.


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