Tichys Einblick: Herr Sarrazin, Reflexartig haben SPD-Politiker auf Ihr neues Buch reagiert. Der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner spricht von einem rechten Machwerk und empfiehlt Ihnen den Wechsel zur AfD. Sigmar Gabriel sieht das von ihm 2011 nach Ihrem ersten Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ vergeblich betriebene Parteiausschlussverfahren als „größte politische Niederlage seines Lebens“. Rechnen Sie jetzt wieder mit einem Ausschlussverfahren?
Thilo Sarrazin: Meine Bücher verkaufen sich auch ohne kritische SPD-Begleitung.
Man hört aber, dass die Vorbestellungen Mitte August nach dem Aufmacher in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („SPD hadert mit Sarrazin“) in die Höhe geschnellt sind.
Ich habe auch registriert, wer sich aus der SPD nicht geäußert hat: Andrea Nahles etwa und auch Olaf Scholz, jedenfalls zunächst nicht und erst auf Nachfrage. Geäußert haben sich die abgehalfterten Politiker, die nichts mehr zu sagen haben: die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, Gabriel und Stegner. Bei allen drei ist die exekutive Karriere vorbei. Ich glaube übrigens nicht, dass in meinem Buch irgendein einziger Satz zu lesen ist, der es rechtfertigen würde, jemanden aus irgendeiner Partei auszuschließen. Dazu ist das Buch viel zu sachlich. Dass meine Botschaften unangenehm sind und nicht jedem gefallen, ist auch klar. Doch ich belege meine Schlussfolgerungen mit Fakten und nenne die Quellen. Deshalb rechne ich nicht mit einem neuen Parteiausschlussverfahren, auch wenn sich pünktlich zur Buchvorstellung jetzt auch Juso-Chef Kevin Kühnert dafür starkgemacht hat.
Sie haben Ihr Buch in der Woche nach den Chemnitzer Vorfällen öffentlich vorgestellt. Fast hysterisch ist der gesamte Protest nach dem tödlichen Messerangriff auf dem Stadtfest mit der Nazi-Keule traktiert worden: Nazi-Stadt Chemnitz, Nazi-Land Sachsen, Pegida-verseuchte Polizei. Machen Sie sich Sorgen, dass diese zufällige zeitliche Koinzidenz der Rezeption Ihres Buches „Feindliche Übernahme“ schadet, Sie in die gleiche Schublade gesteckt werden?
Es ist keine Hetze, wenn ich sage: Ohne Angela Merkels Willkommenskultur gäbe es 1,5 Millionen überwiegend muslimische Einwanderer in Deutschland weniger. Es gäbe auch einige Dutzend Morde und ungezählte Vergewaltigungen weniger. Das ist nun mal ein Faktum, auch dann, wenn man es nicht polemisch überhöht. Darüber sind viele Bürger verstört. Und diese Verstörung trifft in Sachsen auf ein gefährliches und fruchtbares Umfeld. Diesen Zusammenhang muss man sehen. Ministerpräsident Michael Kretschmer beneide ich da überhaupt nicht. Denn in diesem Umfeld ist es schwer, keinen Fehler zu machen.
Doch nun zu Ihrem sehr lesenswerten Buch. Ein schlichter Leitsatz bleibt für mich als Quintessenz stehen: „Mehrheitsislam und eine freiheitliche Gesellschaft schließen sich offenbar aus.“ Ich erinnerte mich bei diesem Satz an eine eindringliche Mahnung des damaligen Verfassungsschutzpräsidenten Peter Frisch (SPD), der mich in meinem Abgeordnetenbüro im Frühjahr 2000 (!) kurz vor seiner Pensionierung vor dem „Islamismus als Geißel des 21. Jahrhunderts“ warnte. Doch niemand nehme ihn in der Politik ernst, klagte er.
Was raten Sie der Politik, um die von Ihnen befürchtete Islamisierung Deutschlands zu verhindern?
An anderer Stelle zitieren Sie den Journalisten Marco Stahlhut mit dem Satz: „Wer aber vom Islamismus nicht reden mag, sollte auch vom Rechtspopulismus schweigen.“
Diesen Satz hätten sich viele Politiker und Journalisten zu Herzen nehmen sollen, ehe sie ihrem Zorn über die Chemnitzer „Nazis“ Ausdruck verliehen haben.
Erleben Sie Thilo Sarrazin im Gespräch mit Roger Köppel, Herausgeber der WELTWOCHE beim „Gipfeltreffen der freien Rede“ am 3. Oktober in Berlin, am 4. Oktober in Wien und am 5. Oktober in Zürich.
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