Tichys Einblick
Phobokratie oder Empathie oder Soziopathie?

Das üble Spiel mit der verstorbenen Oma

„Draußen“ berichten immer mehr Menschen im Netz bewegend davon, dass sie sich nicht einmal mehr von ihren sterbenden Eltern verabschieden konnten, dass sie nicht einmal mehr in den offenen Sarg schauen durften, dass Mutter oder Vater ohne Rückfrage eingeäschert worden war. „Drinnen“ „witzelt“ ein Witzloser und Humorfreier.

picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Waltraud Grubitzsch

Am 10. Dezember 2020 meinte Kanzlerin Merkel im Bundestag: „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben.“ Die „große“ Presse ist hingerissen von diesem Satz: Die sonst ach so rationale „Naturwissenschaftlerin“ Merkel sei den Tränen nahegewesen; sie habe in bewegender Weise Emotion und Empathie gezeigt.

Hat sie das, oder ist sie wider Erwarten doch eine begnadete Schauspielerin? Wie auch immer: Eines ist sie mit diesem Satz geworden: Souffleuse für den öffentlich-rechtlichen ZDF-Möchtegern-Hofnarren Jan Böhmermann. Der konnte es nicht auf sich sitzen lassen, dass der Konkurrenzsender WDR zum Jahreswechsel 2019/2020 mit einem Kinderchor und dem „Song“ zu Oma als „alte Umweltsau“ Furore gemacht hatte. Darin hatte es zur Melodie von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ unter anderem geheißen: „Meine Oma fährt mit nem SUV beim Arzt vor, überfährt dabei zwei Opis mit Rollator. Meine Oma ist ne alte Umweltsau! Meine Oma brät sich jeden Tag n Kotelett, weil Discounterfleisch so gut wie gar nichts kostet. Meine Oma ist ne alte Umweltsau! We will not let you get away with this!” („Wir werden Euch damit nicht davon kommen lassen!“)

Gar nicht royal-kreativ sprang nun Böhmermann im „ZDF Magazin Royal“ vom 18. Dezember ebenfalls auf diesen Zug auf. Wieder singt ein Kinderchor etwas zur Melodie von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“. Und es reimt sich sogar umwerfend: „Oma … Corona … Koma.“

Umweltsau Teil 2 mit Corona
ZDF - „Meine Oma liegt seit vorgestern im Koma, im Koma, im Koma“
Den „Fluch des Jahres 2020“ möchte das ZDF-Flaggschiff brechen, verkündet Böhmermann. Das sei natürlich kein „neuerlicher Angriff auf die Großmütter der Republik“. Aber: Die Oma erstürmte ja „schwarz-weiß-rot den Reichstag“. Und: „Meine Oma weiß, es gibt gar kein Corona, Corona, Corona. Sie glaubt nicht mehr an Tagesthemen und ans MoMa. Meine Oma hat das Spiel schon früh durchschaut“, singt der Kinderchor. Dann Böhmermann höchstpersönlich: „Meine Oma liegt seit vorgestern im Koma, im Koma, im Koma. Mit nem Plastikschlauch in ihren Tracheostama. Pandemie vorbei und meine Oma auch.“

Ist das Satire, wie der Sender glauben machen möchte? Nein, auch Satire bedürfte eigentlich eines Minimums an Intellektualität. Nach Art Regierender nur auf Opposition gegen Opposition zu machen, das wäre den Hofnarren des Mittelalters nie und nimmer eingefallen. Letztere nutzten ihre Narrenfreiheit weidlich aus, denn sie waren die einzigen, die den Regierenden ohne Angst vor Leib und Leben den Marsch blasen durften.

So aber ist ein „Öffentlich-Rechtlicher“ wieder einmal zum zynischen Helfershelfer von Regierenden geworden, die „alternativlos“ auf „Phobokratie“ machen, das heißt, die das Volk mit Phobiemachen, also mit Angstmachen ruhigstellen wollen. Solche Politik duldet keinen Widerspruch. Das haben vor allem die öffentlich-rechtlichen Apportiermedien verinnerlicht, auch die angeblich kritischen Formate.

Ja, es ist zynisch, was hier geschieht. „Draußen“ berichten immer mehr Menschen im Netz bewegend davon, dass sie sich nicht einmal mehr von ihren sterbenden Eltern verabschieden konnten, dass sie nicht einmal mehr in den offenen Sarg schauen durften, dass Mutter oder Vater ohne Rückfrage eingeäschert worden war.

Schrill, schriller
Es wird ernst: Karl Lauterbach lacht
Vor diesem Hintergrund wäre zu fragen, ob nun auch die Themen „Tod und Sterben“ pseudo-satirisch enttabuisiert werden müssen. Hier wäre sehr wohl ein wenig Pietät angebracht, ein wenig Empathie, keine regierungsamtliche Pseudoempathie – im „besten Deutschland, das wir je hatten“ und „in dem wir gut und gerne leben.“ Denn aus Pseudoempathie wird schnell gefühlskalte Soziopathie. Das ist eine Kälte, die im wahrsten Sinn des Wortes über Leichen geht.

Das gilt auch für die „Öffentlich-Rechtlichen“, die ja bekanntermaßen schon wieder einen zusätzlichen kräftigen Schluck aus der Pulle nehmen möchten. Die monatlichen Zwangsgebühren sollen von 17,50 auf 18,36 Euro steigen. Das sind fünf Prozent. Oder in absoluten Zahlern: ARD/ZDF und Co. waren uns bislang pro Jahr acht Milliarden „lieb“ und vor allem teuer; zukünftig sollen es gar mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts per anno 400 Millionen mehr sein: Das ist täglich mehr als eine Million zusätzlich!

Für „Produkte” wie diese!

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