Tichys Einblick
Gift und Gegengift?

Creme #D17: Alchemie der ZEIT gegen das Böse

Aus der Debatte verabschiedet habe sich doch die, die sich der Dokumentation aller Standpunkte verweigerten. Wie die ZEIT selbst, als man sich mit Stiftungen und Initiativen gemein machte. Nun mit der Diskurs-Lotion #D17 in die Gegenrichtung?

Internet ohne Werbung hätte was von DDR. No-Logo-Internet wäre das virtuelle Leipzig 1980. Das Auge hat sich ja über die Jahre an diesen bunten Reigen der Angebotsgarnierungen von Text gewöhnt. Was allerdings immer noch stört, sind diese kryptischen Werbungen in eigener Sache. Angebote, die nicht auf den ersten Blick als reine Produktschau erkennbar sind. Eben Infos aus der virtuellen Twilight-Zone.

Das Online-Angebot der ZEIT hat da neuerdings ein besonders verdruckstes Exemplar zwischen seine Zeilen geschummelt. Inmitten der Online-Nachrichtentexte locken seit neuestem interaktive Ankreuzfragen mit Branding „#D17/ Deutschland spricht“.

Liest man da beispielsweise gerade einen ZEIT-Text über Abschiebungen, schwupps, bleibt man an einem unverlangten Zwischenrufer hängen, der zwischen den Zeilen fragt: „Hat Deutschland zu viele Flüchtlinge aufgenommen?“ „Ja“, „Nein“, „Absenden“.

Wo das hinführen soll, bleibt zunächst nebulös. Sagen wir also mal „Ja.“ Zack, geht schon ein neues Fenster auf: „Danke, und willkommen bei „Deutschland spricht“. Der Leser wird nun darauf hingewiesen, dass doch aber viele Leser anderer Meinung wären, als man selber. Deshalb würde die ZEIT gerne weitere Fragen stellen. Die gehen dann so:

„Sollte Deutschland zur D-Mark zurückkehren?
Geht der Westen fair mit Russland um?
War der Ausstieg aus der Atomenergie richtig?
Sollten homosexuelle Paare heiraten dürfen?“

Wieder soll man jeweils „Ja“ oder „Nein“ ankreuzen. Wenn das erledigt ist, werden persönliche Daten, Name, Beruf ebenso abgefragt, wie: „Wie verbringen Sie Ihren Feierabend?“, Was ist Ihr „Ihr Erkennungsmerkmal“, von was oder wem sind Sie ein Freund, was mögen Sie gar nicht und zum Schuss bitte noch die private Handynummer.

„Vielen Dank! Wir melden uns, sobald wir einen Gesprächspartner für Sie gefunden haben.“ Tatsächlich haben wir es hier mit einer Art ZEIT-Dating-Portal für unterschiedliche politische Meinungen zu tun.

Ist das nicht toll? Wer eine Haltung hat, bekommt also automatisch einen Menschen vermittelt, der die gegenteilige hat. Die ZEIT möchte mit dieser Kuppelei erreichen, dass wir alle aus unserer Filterblase aussteigen und uns miteinander austauschen. Uns im Wortsinne die Hände reichen. Kirchentagsatmosphäre! Soll so alle 11 Minuten ein Hater zum Flüchtlingsfreund werden? Soll die AfD so vor der Bundestagswahl alle 11 Tage 0,1 Prozentpunkte verlieren?

Der Chefredakteur ZEIT-Online, Jochen Wegner, fürchtet, dass Journalisten das Gefühl für die Hälfte eines ganzen Landes verloren hätten. Ganze Gesellschaften hätten verlernt, miteinander zu reden. Die ZEIT will, so Wegner, im Jahr der Bundestagswahl „Deutschland Deutschland erklären“.

Weil Die ZEIT nun aber möglichst viele Leser damit erreichen will, wird diese Twilightzonen-Indoktrinationsmaschine zwischen den Nachrichten maximal aufgeblasen. Hier noch ein Projekt mehr, dort noch ein Aktionchen, noch eine Querverbindung, noch ein Ausfallschritt nach links – Hauptsache so weit weg, das der im Multitasking-des-Guten Angesprochene kaum noch hinterfragen kann, wer da was mit wem und wofür das überhaupt veranstaltet wird.

Ja, Die ZEIT hat viel gelernt aus der gemeinsamen Zeit mit der Kahane-Stiftung, die ja nach Selbstauskunft bereits „über 1100 lokale Initiativen und Projekte“ unterstützt. Übrigens ein Garten Eden für Investigativ-Journalisten. Da wartet immer noch viel Arbeit, wollte man restlos aufzuzeigen, welche Interessen da wirklich vernetzt wurden.

Ist „#D17/ Deutschland spricht“ eines dieser Kahane-plus-ZEIT-Projekte? Oder macht ZEIT es ausnahmsweise mal ganz alleine?

An #D17 angebunden sind weitere ZEITProjekte wie „Heimatreporter“, „Überland“, „Festival Z2X“, und „Das geteilte Land II“. Alles Projekte, die ZEIT-Menschen beschäftigen, die Geld damit verdienen. Ein Beschäftigungsmodell für Journalisten also. ZEIT nennt das seinen „umfangreichen #D17-Themenplan“. Viel soll hier vielen helfen. Ein Helfersyndrom zur Selbsthilfe?

Zu einem bestimmten Stichtag will die ZEIT-Redaktion dann die Paarungen, also die #D17-Kontrahenten zusammenführen. Meinungsaustauschs-D-Day also.

„Die meisten Deutschen, so hoffen wir, interessieren sich für die Lebenswelten und Blickwinkel anderer. Sie wollen im Gespräch bleiben. Welch großartige Gelegenheit.“

Zunächst mal: Wer würde da nicht zustimmend nicken? Diese Kombination aus Speed-Dating und traditionellem Stuhlkreis plus ZEIT-Moderation hat schon was. Hier schmorrt der Deutsche mit dem Deutschen im eigenen Saft. Entsaftet anschließend auf den Seiten der ZEIT für das große Publikum.

Aber was soll das werden? Eine Wiedergutmachung für eine Gesprächsverweigerung der ZEIT mit ihren Lesern, wie sie der Chefredakteur di Lorenzo schon vor einiger Zeit bedauernd geäußert hatte? Damals, als man die Agenda der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage zum einheitlichen ZEIT-Standpunkt gemacht hatte? Jetzt tut man also so, als ginge es bei #D17 nur darum, die Menschen da draußen miteinander ins Gespräch zu bringen. Die sollen dank ZEIT-Initiative #D17 neu lernen, sich wieder gegenseitig zuzuhören.

Ach du liebe ZEIT, wer sich allerdings so wie Wochenblatt aus der Debatte verabschiedet hat, wer entgegen dem journalistischem Auftrag die Dokumentation der widerstreitenden Standpunkte verweigert hat, der sollte erst einmal selbst Farbe bekennen. Wie war das denn, als die ZEIT sich eigeninitiativ mit der Kahane-Stiftung gemein gemacht hat („Netz gegen Nazis“)? Wie war das, als die ZEIT zum verbalen Lynchmob aufgerufen und die ideologisch-denunziatorischen Brandbeschleuniger in die sozialen Netzwerke geschleudert hat?

Dabei waren die gebrandmarkten Beschimpfungen und Beleidigungen immer öfter gegen die Medien selbst gerichtet. Die ZEIT will hier nun ihre #D17 Klappstühle anbieten, als wäre die Zeitung immer schon ein neutraler Mediator gewesen. Und nicht etwa Vollzugsorgan der Bundesregierung. Die ZEIT war es doch, die von der Politik der Merkel-Regierung abweichende Meinungen, „manchmal auch schon kritische Fragen“, unter Generalverdacht stellte: „Man habe etwas gegen Flüchtlinge oder betreibe das Geschäft der Populisten.“ Kritisierte nicht irgendwer, sondern ausgerechnet der Blattmacher selbst in einem selten Anfall von Wahrhaftigkeit.

Nun also will Die ZEIT mit Hilfe so einer Weichspül-Diskurs-Lotion #D17 einen Neubeginn wagen. Will den Faltenwurf, den tiefen Graben zwischen sich und den Lesern glätten, indem sie etwas initiieren, was man zuvor noch als Akteur selbst hintertrieben hatte: Nämlich den ganz normalen Austausch der Menschen über den Gartenzaun hinweg, zwischen den Supermarktregalen, im Büro, in der Mittagspause usw.

Man macht’s, aber die Giftspritzen in den ZEIT-Redaktionsstuben sind deshalb längst nicht entsorgt. Nur vorübergehend wurde hier eine Kommunikationscreme mit Faktor #D17 aufgezogen, damit sich die Menschen da draußen gegenseitig das freche Mäulchen einschmieren können. Was aber wäre wenn? Wenn die böse Person A die liebe Person B in so einem ZEIT-Gespräch wiedererwarten davon überzeugt, dass doch zu viele Flüchtlinge in Deutschland sind, das Deutschland besser zur D-Mark zurückkehren sollte, dass der Westen fairer mit Russland umgehen und der Ausstieg aus der Atomenergie zurückgenommen werden soll?

Würde die ZEIT die Formel der Creme dann als unwirksam erkennen? Käme dann aus den Redaktionsstuben nur immer weitere modifizierte Cremes #D18, #D19 und #D20 usw.? So lange, bis endlich die entsprechende Wirkung sichtbar wird in diesen lamm-dummen Gesichtern der aufeinandergehetzten Menschen da draußen? Es steht zu befürchten. Ach, creme Dich, ZEIT!

Die mobile Version verlassen