Nein, Maischberger muss einem nicht leid tun, Strafe muss sein. Aber wer nach etlichen Sondersendungen zum Thema und noch dazu so spät am Abend ab 23:20 Uhr noch mal Corona durchnehmen muss, der hat es wirklich nicht leicht. Noch weniger, wenn Stunden vor Maischberger eine maskenhaft erstarrte Kanzlerin den Bürgern mit einer aufgesetzt emotionalen Aufführung völlig unnötig Angst eingejagt hat.
Die Nachrichten überschlagen sich, jeder neue Tag schein schon die nächste Undenkbarkeit parat zu halten, gerade hat Wirtschaftsminister Altmaier die noch vor wenigen Tagen gemachten finanziellen Zusicherungen für alle Betroffenen zurückgenommen, als er in den Nachrichten verkündete: „Wir gehen nicht mit der Gießkanne übers Land, es ist das Geld der Steuerzahler.“
Der Chef des Robert-Koch-Instituts spricht das Versagen der Kanzlerin in den letzten zwei Wochen offen im heute journal an und EU-Kommissionsvorsitzende von der Leyen hat längst die Außengrenzen dichtgemacht, während Angela Merkel sich noch die Zeit nimmt, sich selbst an die Spitze einer Kabinettssondergruppe zu stellen, die dem Rechtsextremismus im Lande regelmäßig den Garaus machen will, während die Möglichkeit an Wahrscheinlichkeit gewinnt, das demnächst Handys der Bürger umfassend überwacht werden dürfen und das Parlament in den Notstandsmodus übertreten könnte, ausgestattet mit einer Reihe empfindlicher Sonderegelungen.
[inner_post2] Ach ja, die Türkei schließt die Grenzen zu Griechenland wieder. Nein, nicht, weil der überraschende wie durchaus tapfere Gegendruck der Griechen zu mächtig wurde, sondern weil die Bundeskanzlerin mal wieder ein paar dicke Schecks nach Ankara geschickt hatte, bevor sie sich für ihre um das Corona-Virus verlängerte Weihnachtsansprache an die Deutschen vor die Fahne der Deutschen klemmte, als wäre da nichts gewesen zwischen ihr und Schwarzrotgold.
Das sind also die Vorlagen für Maischberger. Aber was kann sie da auflegen oder gar aufklären?
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet ist dabei ebenso wie Karl Lauterbach (SPD). Gottseidank sind auch ein paar Fachleute dazu gebeten worden, um wenn schon nichts Neues, dann wenigstens etwas Fundiertes beizutragen.
Laschet setzt Merkel gleich mal ein Krönchen auf, als wäre der Fernsehauftritt seiner Parteigenossin etwas, für das die Deutschen nun mindestens dankbar zu sein hätten, weil sich Madame herabgelassen hat. Laschet bleibt eben Laschet. Und er will der Wunschnachfolger der Bundeskanzlerin sein, die sich aber wohlweislich noch nicht entscheiden hat.
Karl Lauterbach schätzt die hochgerechneten Zahlen der Infizierten in Deutschland auf deutlich im sechsstelligen Bereich. Die offiziellen Zählungen lägen aktuell um 10.000 und werden zum Wochenende wohl bei 20.000 liegen. Also ein Bruchteil derer, die bereits weitere Bürger infizieren, so sie denn Kontakt haben.
Uwe Janssen ist Chefarzt der Intensivmedizin in Eschweiler und schätzt die offiziellen Zahlen der Infizierten für Ende nächster Woche auf 80 – 90.000, also nach Lauterbachs Rechung wären das dann real schon weit über eine halbe Million Infizierte. Dann könne es sein, so Janssen, das die Kliniken mit der Zahl der Schwererkrankten „sehr stark unter Druck geraten“.
Aber Deutschland hätte ja 34 Intensivbetten auf 100.000 Einwohner, Italien nur achteinhalb. Nun, das sind fast fünfmal so viel. Aber klingt das wirklich beruhigend? Und wie viele dieser Betten sind aktuell schon belegt?
Herold erklärt den Erkrankungsverlauf: Das Virus befällt zunächst die oberen Atemwege. Viele jüngere Leute werden es da schon wieder los. Dann passiert aber, wovor sich vor allem Ältere und Risikopatienten fürchten müssen: Das Virus gelangt in die tieferen Atemwege. Dort befällt es die Lunge und die Zellen in der Lunge „und wird kritisch“. Dann folgen die Beatmungsmaschine und ggf. sogar die Herz-Lungenmaschine.
Lauterbach erinnert daran, dass 20-35 Prozent der Infizierten zwar nicht beatmet werden müssten, aber dennoch eine Lungenentzündung bekämen, was sehr beunruhigend sei. Besorgniserregend sei hier zudem, dass nach vier Wochen via Computertomografie Veränderungen der Lunge erkennbar wären, von denen man nicht sagen könne, ob die jemals ganz wieder weggingen. Mit anderen Worten: Auch die, die es überstehen, sind langfristig noch keineswegs über den Berg.
Karl Lauterbach warnt junge Leute eindringlich, diese Krankheit sorglos zu betrachten. Er selbst hätte dazugelernt, sagt er. Allerdings erst, nachdem ihn Maischberger daran erinnert, dass er selbst unter anderem gegen eine Schließung der Schulen war. So wie Ministerpräsident Laschet übrigens auch. Aha, Maischberger kann also auch seriösen Journalismus.
Laschet wird von Maischberger explizit als Katholik angesprochen auf den Papst, der verkündet haben soll, dass man sich weiter umarmen soll. Laschet weicht aus auf die ja nun nicht mehr öffentliche Osterliturgie.
Der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn sei bei zwei Drittel der Betroffenen auffällig, aber noch zu diffus in der Differenzierung. Janssen setzt neuerdings auf eine frühe Computertomografie. Und er warnt weiter, negative Tests nicht zu leichtfertig anzunehmen, wenn diese Tests im Rachen gemacht werden. Denn dort kann das Virus mitunter verschwunden sein, sich aber in den tieferen Atemwegen schon etabliert haben.
Tatsächlich ist diese Sendung bis zu diesem Zeitpunkt für die Zuschauer sehr hilfreich. Fachlich ebenso, wie in ihrer Aktualität und auch in der Gelassenheit des Vortrags. Maischberger macht das gut. Sie stellt die richtigen Fragen.
Hinzu kommt Ute Teichert, sie vertritt die deutschen Gesundheitsämter. Dort melden sich die besorgten Bürger, die glauben, an Corona erkrankt zu sein. Aber längst können viele Meldungen nicht mehr abgearbeitet werden. Noch sei man zwar in der Kontaktpersonenverfolgung, aber es sei schon klar, das man sich nun nur noch auf die Risikogruppen konzentrieren muss. Die Eingrenzung des Umfeldes von Erkrankten ist demnach aufgegeben worden, wenn man Frau Teichert hier richtig interpretiert.
Der Zuschauer erfährt, das in den Gesundheitsämtern in den letzten 15 Jahren 30 Prozent Personal abgebaut wurde, dass würde sich jetzt rächen. Das allerdings hat sich schon 2015 und 2016 gerächt, als die gesetzlich vorgeschriebenen Tuberkulose-Untersuchungen an den Asylbewerbern in den Massenunterkünften nicht mehr flächendeckend durchgeführt werden konnten.
Es ist übrigens ausnahmsweise kein öffentlich-rechtlich kompatibler Journalist im Raum, was der Sendung tatsächlich gut bekommt.
Dann noch Armin Laschet im Einzelgespräch. Aber was soll da noch kommen? Die drei Fachleute plus Lauterbach haben der zuschauenden Bevölkerung die Informationen gegeben, die sie zur Verfügung hatten. Und das ist mehr, als man sonst so geboten bekam im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Was macht Laschet? Er nutzt erst einmal die Fernsehminuten, um sich die Hände in Unschuld zu waschen für die – so weiß man heute – lebensgefährlichen Beschwichtigungen der Politik in den ersten Wochen. Er traut sich sogar, den schwarzen Peter an die Wissenschaft weiterzureichen, die der Politik die richtigen Hinweise hätte geben müssen. Hat sie zwar, weiß Maischberger, interessiert Laschet aber nicht. Traurig. Eine Dampfplauderei auf tiefem Hocker im langen Schatten der Wissenschaft.
Es ist schon mehr als ein stückweit blamabel für Laschet, wenn Maischberger angesichts seiner dünnen Antworten schon zurückzuckt nachzusetzen. Aber sie macht das wirklich gut heute. Kurz nach Mitternacht noch ein Schmunzler, wenn die Moderatorin nach einer weiteren langatmigen Laschet-Erklärung fast süffisant anfügt: „Ich verstehe.“ Aber es gab da nichts zu verstehen, da war keine Antwort, die irgendeine offene Frage aufgeklärt hätte. Ein Politikschauspieler, dessen Darstellungskraft in der Krise brutal einbricht.
Dann darf sich Markus Gürne als Börsenfachmann des Senders noch in die Nähe von Armin Laschet setzen. Die Herdenimmunität wird angesprochen, aber Medizinerin Herold versteht nicht, wie man so etwas steuern soll, wenn doch auch unter jungen Leuten gefährdete Personen wären. Lauterbach soll noch sagen, ob es eine Immunität gibt, winkt aber ab und verweist auf Experimente an Rhesusaffen, die das nahe legen würden. Armin Laschet bleibt renitent, als er die Rede der Kanzlerin wieder lobend ins Spiel bringt, welche viele Zuschauer gerade schon gnädig vergessen hatten.
Der christdemokratische Ministerpräsident sagt dazu zunächst nichts. Er hört zu, schaut an die Studiodecke, aber auch von da oben kommt kein schlauer Gedanke. Aber dann freut er sich doch darüber, dass die Börse und die Wirtschaft jetzt einen starken Staat wünschen: „Wenn Krise ist, wird staatliches Handeln von allen erwartet.“
Nun gut, das mag bei einer Pandemie stimmen, aber davor war es wohl oft genug der Staat, der die Krisen heraufbeschworen hat – diese Erinnerung hatte Laschet allerdings zuvor seinerseits gnädig Richtung Studiodecke entfleuchen entlassen.
Beenden wir also diese über weite Strecken gelungene Sendung mit einem typischen Laschet-Satz, den man nicht weiter kommentieren muss: „Wenn das Unternehmen in die Insolvenz geht und weg ist, wird es so schnell nicht wiederkommen.“ Gilt das eigentlich im übertragenen Sinne auch für Politiker? Nur die Hoffnung bleibt.