Hart aber fair, die letzte Sendung im alten Jahr, die nächste Ausgabe des ARD Talk-Formates dann erst wieder am 14. Januar 2019. Nun könnte man an der Stelle eine Art Jahresresümee ziehen, ein paar Statistiken zusammenschustern: Solche wie die, wer am häufigsten da war oder wer nicht mehr eingeladen wurde usw.
Ja, könnten wir machen, haben wir doch Frank Plasberg bei fast jeder seiner Moderationen in 2018 und die Jahre zuvor begleitet. Selten allerdings war das die reine Freude, oft sogar eine echte Zumutung und immer Gelegenheit, sich selbst zu überprüfen, wie weit man sich erfolgreich abzugrenzen und trotzdem eine annehmbare Rezension so einer Sendung schreiben kann. Also besser den Schleier des Vergessens herunter und mit zusammengekniffenen Augen ein letztes Mal hingehört für dieses Jahr, wenn Plasberg eine Art Jahresrückblick veranstaltet mit der Frage „Sprachlos, verständnislos, wütend: Wie gespalten ist Deutschland?“
Keine Verantwortung der Talk-Shows?
Eine Prognose darf hier schon an den Anfang gestellt werden: Plasberg wird die Gelegenheit nicht nutzen, seine und die Verantwortung seiner drei Talk-Show-Kolleginnen Will, Illner und Maischberger an dieser Spaltung zu offenbaren. Kein Wort wird darüber zu hören sein, welche unrühmliche Rolle solche öffentlich-rechtlichen TV-Tribunale in den letzten Jahren gespielt haben, wenn es darum ging, kritische Stimmen zur Massenzuwanderung zu diffamieren, zu diskreditieren und prominente Vertreter dieser Stimmen vorzuführen, als ständen sie vor Gericht vor einem Millionenpublikum.
„Leben wir zwar in einem Land, aber in unterschiedlichen Welten?“ fragt der Moderator und vor den Bildschirmen hört man förmlich, wie es ihm entgegen geschrieen wird: „Klar, darauf kannst Du wetten!“
Neben Annette Behnken vom Wort zum Sonntag sind noch der Drogerie-König Dirk Rossmann (einer der fünfzig reichsten Menschen Deutschlands, wie Plasberg später seine Zuschauer informieren wird), der Moderator und Künstler Michel Abdollahi, der Moderator und Journalist Claus Strunz und die Politikerin der Freien Wähler Sachsens, Antje Hermenau, eingeladen.
Der Ton wurde rauer
Comedy dann gleich zu Beginn, wenn Plasberg feststellt, der Ton sei in Deutschland rauer geworden und dann in die Runde fragt: „Was ist ihr persönlicher Anteil daran, ich fange bei Ihnen an, Herr Strunz.“ Fragt also Plasberg, der als öffentlich-rechtlicher Talkmaster den gehörigsten Anteil in dieser Runde haben dürfte, aber davon natürlich keine Rede. Da lacht Claus Strunz zu Recht: „Na, so ein Zufall.“
Für Strunz trifft Passion auf Emotion und Häme, dieses Aufeinandertreffen verkannte die ganze Debatte von Anfang an. Das peinliche Geplänkel, welches Plasberg sofort folgen lässt, ignorieren wir zu diesem frühen Zeitpunkt noch und schauen auf die Sächsin Antje Hermenau, die nicht mehr so gelassen reagiert, wenn Linke ihr damit drohen, ihrem Sohn einmal auf der Schule zu erzählen, was seine Mutti für eine Nazibraut sei, weil sie sich nicht scheut, aus ihrem Buch auch bei der AfD vorzulesen.
Nein, Antje Hermenau lässt sich kein X für ein U vormachen, die 54-Jährige begann ihre politischen Aktivitäten in der Wendezeit, als sie Mitglied des Runden Tischs der Stadt Leipzig war, sie ist also durchaus erprobt in Sturm- und Drang-Phasen und wird eine gesunde Distanz zu Obrigkeiten entwickelt haben, ebenso, wie ein feines Gehör, wenn an den Grundpfeilern der Demokratie gesägt wird.
Dirk Rossmann ist lustig, wenn er zunächst das übliche Bashing an den Dresdnern und Leipzigern fortführt, dann aber betont, er sei ja grundsätzlich konsensfähig, er könne also bei sich keinen Anteil entdecken. Nein, muss er auch gar nicht, wenn die Selbstreflexion so schlecht ist. Der Zuschauer ist über die Jahre sensibilisiert genug, es wird ihm gar nicht schwer fallen, hier Ross und Mann zu benennen. Hat er eigentlich seine Filialen an diesen Orten geschlossen oder nimmt der das Geld doch gerne? Moral ist eben, wenn man weitermacht an der Kasse.
Dresden-Bashing geht bei Rossmann immer
Michel Abdollahi stänkert gleich mal gegen Strunz und gesteht sich dann ein, überreagiert zu haben und einseitig berichtet zu haben. Aber wo? Auf welchem Sender findet statt, was auch der Autor hier noch nie gesehen hat? Müssen wir nachher mal gemeinsam googlen. Dann geht es lustig weiter, als Dirk Rossmann darum bittet, sich korrigieren zu dürfen, er hätte sich doch mal geärgert, als Kritik an der Zuwanderung gleich in die rechte Ecke gestellt wurde. Wir denken auch nach und fragen uns: Ob ihm das spontan eingefallen ist, als Abdollahi reflexartig gegen Strunz insistiert hat? Warum sitzt da eigentlich nicht Ismail Tipi?
Dann wird diskutiert, ob Seehofer denn Recht hat, wenn er die Migrationsfrage die „Mutter aller Probleme“ nennt. Ja, was denn sonst? Wer, der auch nur halbwegs in den letzten drei Jahren Ohren und Augen aufgetan hat, würde das bestreiten? Sicher kann man diskutieren, wie es dazu kam, aber sich zu fragen, ob es diese Probleme überhaupt gibt, ist geradezu gespenstisch surreal.
Und es ist eine glasklare Demonstration, wie schon nach wenigen Minuten Strunz und Hermenau Argument an Argument aneinanderreihen, während die beiden Gegenstimmen sich in kurzen emotionsgeladenen Eruptionen erschöpfen, als ginge es darum, zu beweisen, wo eigentlich die Tiefbauabteilung beim Ausheben des besagten Grabens quer durch die Bevölkerung seine Schaufeln versteckt hat.
Michel Abdollahi ist als kleiner Junge aus dem Iran nach Deutschland gekommen, ja, aber warum ist er so unzufrieden mit Deutschland? Warum giftet er so mit allem, was mit diesem Land zu tun hat und den Menschen, die hier schon seit Generationen leben? Wie kann man endlich ankommen, wenn man schon so lange da ist und die einheimische Mehrheitsgesellschaft einfach nicht leiden kann? Was soll man da tun, wenn man von einem Ort flieht, und an einem Ort landet, den man so sehr hasst?
Leben in einem Land, das man hasst
Abdollahi erinnert die Runde daran, dass Revolutionen am Beispiel Iran ziemlich schnell passieren, die würden sich nicht immer ankündigen. Nun äußert er hier allerdings die Sorge vor einer rechten oder konservativen Revolution, Logisch: Merkels Politik der offenen Grenzen als gefährlichen revolutionären Akt zu verstehen, liegt ihm völlig fern.
Warum eigentlich? Michel Abdollahi spricht nur mit Menschen mit anderen Meinungen, wenn er das Gefühl hat, „die argumentativ zurückzubekommen.“ Damit hat er wunderbar zusammengefasst, woran diese Gesellschaft ebenfalls krankt, nämlich daran, dass eine bestimmte Gesellschaftsschicht fest davon überzeugt ist, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, so groß wie Baggerschaufeln.
Zwischenbeobachtung: Plasberg bewundert insgeheim seinen Kollegen Strunz für dessen Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung, das spürt man mit jedem Satz, jeder Geste, jeder kleinen Spitze, die er sich nicht verkneifen kann. Da prallen zwei Alphatiere aufeinander, zwei unterschiedliche Strategien, sich öffentlich zu verkaufen. Beide nicht unsympathisch, beide professionell genug. Beide für ein gemeinsames Bier danach prädestiniert. Aber wo das Herz kräftiger schlägt, spürt selbst der müdeste Zuschauer in diesem Moment.
„“Der Mob“, das war die Keule, mit der da gleich argumentiert wurde.“, sagt Plasberg überraschenderweise. Und er meint damit tatsächlich die Reaktionen der Medien und der Politik auf die erste Demonstration in Chemnitz, als tausende Bürger auf die Straße gingen, als Flüchtlinge in der Nacht zuvor einen Chemnitzer mit Messern ermordeten und zwei weitere schwer verletzt hatten. Und Plasberg legt nach, als er fragt, was man denn mache solle, wenn auf einer Demo beispielsweise Hitlergrüße gezeigt würden: „Besteht da die Verpflichtung zu sagen, ich könnte ja damit rechnen, dass da Hitlergrüße gezeigt werden, man ahnt das ja schon, da gehe ich gar nicht erst hin oder ich gucke, wenn ein Arm hoch geht, laufe ich schnell weg.“
„Die Leute wollten nicht, dass die Kehrmaschine über den Blutfleck geht und dann ist alles vergessen“, erklärt Antje Hermenau die Reaktionen in Chemnitz. Und dann muss man sich diese arrogant-hämischen Gesichter anschauen von Abdollahi und einem weiteren Gast, während Hermenau spricht – reinste Selbstentlarvung, was die Kamera da einfängt.
Und während sich – man kann es nicht besser sagen: – Michel Abdollahi wiederholt grantelig etwas in den nicht vorhandenen Bart grummelt, fasst Claus Strunz das ganze Geplänkel um Chemnitz bei Plasberg dankenswerterweise noch mal zusammen:
So schnell wird man Nazi
„Wenn wir beide, Herr Plasberg, eine Demonstration machen, die ist regierungskritisch und geht vielleicht über die Flüchtlingspolitik und wir haben eine Sorge, die wir teilen wollen, dann riskieren wir, dass aus einer Seitenstraße fünf Idioten mit einem Hitlergruß rauskommen, und landen in der Tagesschau als Aufmacher und Organisator einer Nazidemo.“ Strunz erzählt weiter, er hätte im Gespräch mit Chemnitzern auch eine Hilflosigkeit festgestellt: „Wie können wir uns bemerkbar machen, ohne gleich sozusagen im Spiegel-Cover zu landen und ohne gleich als Nazi zu gelten? Und da gibt es ganz viele. Ich würde sogar sagen, die meisten. Die Allermeisten! Hunderttausende, die in dieser Hilflosigkeitsfalle sitzen.“ So schnell geht also die Nazi-Macherei neuerdings.
Wer aber hat diese Hilflosigkeit eigentlich fördert und begrüßt? Wer ist schuld an der Spaltung der Gesellschaft? Diese Frage sollte doch über der Sendung stehen. „Gehör verschaffen, ohne stigmatisieren“; fasst Strunz in vier Worten zusammen, was endlich auch die Aufgabe der Medien sein sollte im Umgang mit regierungskritischen Bürgern. Und die Kamera zeigt Plasberg und mit etwas gutem Willen, will man das schlechte Gewissen erkannt haben.
Strunz weiter „Es wird nicht mehr erklärt, es wird diffamiert. Und das macht dieses Klima leider.“ Die spannende Frage hier: Was wäre denn, wenn diese Erklärungen längst stattfinden, aber einfach nicht überzeugend sind? Was dann? Anders wählen? Dass das in Teilen und immer öfter real passiert ist, darüber sind allerdings alle am Tisch mehr oder weniger einig bzw. politisch-korrekt besorgt.
„Die Westdeutschen sind kein Vorbild auf diesem Gebiet.“, stellt Antje Hermenau in aller Deutlichkeit fest und meint damit die misslungene Integration von Zuwanderern in den alten Bundesländern in Vierteln, in die sich die Polizei nur noch in Mannschaftsstärke traut. Das wollen die Ostdeutschen nicht, deshalb protestieren sie, dafür muss man keine bestimmte Ausländerquote haben im Land. Herr Abdollahi fällt auch hier nichts anderes ein, als – wir benennen es, wie es ist – unqualifiziert dazwischen zureden. Oder genauer, vor sich hin zu murmeln, als nehme er gerade an etwas ganz Furchtbarem teil, als begreife er gerade stoßweise, dass es hier durchaus andere Meinungen gibt als jene, die er durchgehend so ungenügend artikulieren kann.
Aber auch Plasberg beweist Humor, wenn er Michel Abdollahi einen „Brückenbauer“ nennt. Allerdings mit dem Zusatz, er würde diese Tätigkeit heute und hier eher „konfrontativ“ erledigen. Schön auch, wenn wieder Strunz darauf hinweist, dass man hier in zehn Sekunden über islamistische Täter hinweggefegt sei um sich dann ellenlang über einen Nazi zu unterhalten, der eine Art Wegweiser-Maibaum mit Braunau am Inn aufstellt. „Wir haben hier eine kleine Unwucht bekommen meiner Meinung nach.“
Und nun am Ende der Sendung noch eine große Enttäuschung, wenn diejenige, die wir einfach mal aus dieser Rezension ausgeladen hatten, in Echtzeit tatsächlich nichts zu sagen hatte: Es wäre nicht einmal aufgefallen, Annette Behnken dabei gehabt zu haben, denn das Wort zum Sonntag sprach an diesem Montagabend Claus Strunz. Gemeinsam mit einer ebenfalls glänzend aufgelegten Antje Hermenau. Strunz kannten wir bereits, Hermenau werden wir uns im Kalender anstreichen müssen.