Tichys Einblick
In seiner Selbstwelt

Claus Kleber: Neue Doku „Unantastbar- Der Kampf für Menschenrechte“

Die Menschenrechte dürften nicht den Regierungen überlassen werden, so spricht der Nachrichtenmann einfach immer weiter. „Die sind zu gefangen in ihren Problem und Interessen.“ Wem dann?

Screenprint: ZDF

Eine geradezu entwaffnende Geste, die Claus Kleber da zeigt, wenn er den Kopf vor dem Elend absenkt um dann doch mit den Augen hochzuschauen, hinzuschauen. So gesehen auf einer Fotografie, die den Medien mitgeliefert wird, die über einen Film von Kleber berichten, der seit gestern in der ZDF-Mediathek angeboten wird. Auf dem Foto hockt Kleber zusammen mit arabisch aussehenden jungen Männern auf sandigen Boden in einem Zelt.

Die Bildunterschrift zu dieser Aufnahme von Nikolaus Winter erzählt: „Claus Kleber und sein Übersetzer Issmail im Gespräch mit syrischen Flüchtlingen auf Lesbos in einer Szene des Films „Unantastbar- Der Kampf für Menschenrechte““. Nicht nur im Sinne der Filmvermarktung eine gute Aufnahme und Auswahl. Der Augenaufschlag Klebers aus so etwas wie Zerrissenheit und Verzweiflung heraus ist toll. Damit ist alles gesagt, hier schwingen Intention und Auftrag dieser filmischen Arbeit 1:1 mit, knapp 90 Minuten gedreht für das ZDF-Format „Doku ZDFzeit“.

„Wir hatten es schon fast geschafft, nach Weltkriegen einen neue Welt gebaut, gegründet auf Rechte eines jeden Menschen.“, startet Claus Kleber wortgewaltig, während die Kamera aus der Vogelperspektive über die Wolkenkratzer einer nächtlich glitzernden Meotropole hinweggleitend.

Mit Claus Kleber auf Weltreise gegangen ist die Fernsehpreis ausgezeichnete Filmemacherin und Journalistin Angela Andersen. Und es ist nicht die erste Zusammenarbeit der beiden.

Während die Kamera kurz am Trump-Tower hängen bleibt, kommentiert Kleber im O-Ton: „Eine neue Generation von Führern stellt Demokratie und Menschenrechte in Frage.“ Kleber beginnt mit dem blinden chinesischen Dissidenten und Menschenrechtler Chen Guangcheng, der heute in New York lebt. Der wurde, so Kleber, verfolgt weil er die dreißig Artikel der Menschenrechtserklärung ernst nahm, „die auch China unterschrieben hatte. Ein Grundgesetz der Menschheit.“ Allerdings würde der Überwachungsstaat in China seiner Vollendung entgegeneilen, wenn bald keine Ausweise mehr nötig sind, weil die Gesichtserkennung das Antlitz des Einzelnen zu seinem Ausweis macht. Technisch sei das längst Standard.

„Heerscharen junger Programmierer schärfen die Algorithmen für die totale Kontrolle.“, heißt es weiter. Und tatsächlich ist es diese Kontrolle, die, gekoppelt an ein Punktesystem für gutes Verhalten am Ende über jeden Einzelnen entscheidet. Darüber, wo er leben darf, ob er einen Pass bekommt, welche Schule seine Kinder besuchen dürfen. Hier geht es Claus Kleber um die Erinnerung an Artikel 12 der Menschenrechte, der die Privatsphäre schützen soll. Und diese neuen digitalen Überwachungstechniken aus dem Reich der Mitte sind importierbar. Sind sie erst einmal ausgereift und entwickelt, lassen sie sich theoretisch in jedes Land der Welt implantieren, wenn nur die Infrastruktur stimmt.

„Die erste Generation, die nichts anders mehr kennen wird als permanente Überwachung, ist geboren.“, ja, der dystopische Sound von Claus Kleber ist bemerkenswert. Unter der maximalen Bedrohung macht er es nicht. Ein Film zur Klimaerwärmung aus den Händen Klebers müsste wohl indiziert werden, wenn man bei Kindern und Jugendlichen keine Angsterkrankung riskieren will. Oder wenn man etwas dagegen hat, wenn die Filmemacher genau das im Sinn haben. Oder positiver ausgedrückt: Die Dramaturgie stimmt. Kleber versteht sein Geschäft. Allerdings: Zu oft hat er Vergleichbares dort getestet, wo es nichts verloren hat, in seinen Nachrichtensendungen.

Aber Kleber hat es selbst bemerkt und sich eine Hintertür gebaut, wenn er Menschenrechte verhandelt: „Da will dieser Film nicht neutral sein. Er feiert die Menschenrechte und die, die sich für sie einsetzen.“ Nun ist diese Haltung Klebers keine neue: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen steht heute in besonderem Maße für die Aufgabe einer Reihe von journalistischen Neutralitätsgeboten – Nachrichtensendungen stehen hier selbstverständlich noch einmal mehr in der Pflicht. Denkt Claus Kleber eigentlich einen Moment lang darüber nach, wie bigott und dissonant das beim Zuschauer ankommen mag, wenn sie diesen Film vom Ankerman des Heute Journal, anschauen und seiner Kommentierung lauschen?

Keine Frage, eine Reportage mit grandiosen Aufnahmen. Aseptischen Clips wie gemacht für aufgeregte Werbeagenturen, wenn diese ihren Kunden und deren Produkten einen Anstrich große weite Welt verpassen wollen: Drei-Wetter-Taft, die Frisur sitzt, allerdings ist die Welt schon aus dem Lot geraten. Also von den majestätischen Kameradrohnen-Aufnahmen hoch oben über Guatemalas Bergwelten hinunter dorthin, wo der Raubtierkapitalismus Beute gerissen hat. Wo der erfolgreiche deutsche Medienmann jenseits der sechzig noch einen Nachhall dieser Che-Guevara-Begeisterung der anderen nach erleben kann. Damals, als Claus Kleber Mitglied der katholischen Studentenverbindung war, während Mitkommilitonen die Welt retten oder mindestens dieses unvergleichliche Venceremos-Feeling über die Zeit retten wollten. Bald ein halbes Jahrhundert später gibt sich nun Claus Kleber die Ehre als Weltenretter. Und er kommt auf seiner Mission heute viel weiter, als die meisten seiner Mitstudenten zu ihrer Sturm- und Drangzeit. Die indigenen Völker, die Armen, die Unterdrückten – darunter macht es Claus Kleber heute nicht mehr.

Der Nachrichtenmann als Anwalt für Menschenrechte, als Hüter der UN- Deklaration von 1948. Wo seine Ehemaligen heute monatlich und mit schlechtem Gewissen Fünfzig Euro für ein Patenkind nach Südamerika versenden und mit Bildern und Fotografien belohnt werden, ist der gebürtige Schwabe vor Ort, schaut in die Hütten und schimpft von dort auf die Paläste. Ja doch, die Schicksale sind ja echt, aber der Vortrag des Journalisten, was ist das? Dramatische Sozialromantik? Kleber appelliert an die Solidarität der Welt. An die Durchsetzung der Menschenrechte.

Putin, Trump, Erdogan, Orbán – für Kleber die Populistenriege, jene, die „Unzufriedenheit schüren“ und „Hass gegen Minderheiten“ richten. Und obendrein, so klagt der Nachrichtenmann, setzt China an, die Welt zu dominieren. Die Menschenrechte interessierten die Chinesen nicht, wenn hunderte Millionen von hungernden Chinesen nun endlich zu essen hätten.

Kleber spricht mit Kenneth Roth, Chef von Human Rights Watch, die heute, so erzählt es der Film, drei Stockwerke im Empire State Building belegen. Roth ist überzeugt, dass die Amerikaner über Trump hinwegkommen werden, „irgendwann werden die USA wieder Schutzmacht der Menschenrechte sein.“ Ob die Südamerikaner dieses Verständnis der Rolle der USA ebenso teilen? Zwar haben sich tausende auf den Weg gemacht ins vermeintliche Paradies, aber ist das verheerende Engagement der USA in Süd- und Mittelamerika in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deshalb vergessen? Hier erfährt die Sozialromantik Klebers einen Einschnitt. Stringenz als Option, aber nicht unbedingt als Gebot.

Shanghai, New York, Bangladesh – die rasante Reise um die Welt in 89 Minuten geht weiter. Von Kenneth Roth zu Madeleine Albright und hinüber auf den Rasen eines Campus in China – Kleber springt im Anschluss an den Gesprächskreis wie mühelos aus dem Schneidersitz. Die Kamera zeigt auch das. Aber neben diesen Aufnahmen und Landschaften aus der Vogelperspektive ist auch das Elend nicht weit. Ja, die Welt ist für viele Menschen kein guter Platz, für die vergewaltigen Frauen der Rohingya, die in Bangladesh Zuflucht gefunden haben ebenso wenig, wie für die Frauen von Guatemala, die um ihre erschlagenen Männer weinen.

Die Vergewaltigungen werden in endlosen Minuten von den Opfern selbst erzählt und Kleber lässt diese Passagen ungeschnitten. „Sind wir überfordert vom Elend überall, abgestumpft?“ fragt Kleber sich und seine Zuschauer und schneidet dann unvermittelt tausende Kilometer herüber von Bangladesh direkt zwischen die grauen Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals, wo die Kamera mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck ins Gespräch kommt.

„Hier zu stehen, heißt, dem Scheitern einer Nation zu begegnen“, Gauck legt eine Hand auf die Wand einer der Stelen, wohl um dem Grauen symbolisch nachspüren und versucht dann nichts weniger, als den Spagat zurück zu den Rohingya, für die wir Deutschen nach dem Holocaust ja quasi eine Verantwortung hätten. Nämlich die, darauf zu drängen, dass hier ein UN-Mandat helfe, die Menschenrechte durchzusetzen.

„Deshalb fühlen wir uns beauftragt, den Finger immer wieder drauf zu legen, wenn Menschenrechtsverletzungen geschehen“; sagt Gauck zum Abschluss des Gesprächs, bevor es wieder nach New York geht zu einem weiteren Drohnenflug rund um die Freiheitsstatue um dann direkt aus dieser Bewegung heraus nach Hongkong zu den Schauplätzen der Regenschirm-Proteste weiterzufliegen.

Es sei einsam geworden um Freiheitsbewegungen, so Kleber, „die westliche Welt hat andere Sorgen“ und damit ist der Film nach nicht einmal der Hälfte seiner Zeit bei den Booten der Zuwanderer auf dem Mittelmeer angekommen, bei Rettungswesten und kurzen Clips kenternder maroder Schiffe. Schnitt: Merkel und ihr berühmt gewordenes „Wir haben so vieles geschafft. Wir schaffen das!“ Trump, Zäune, traurige Kinderaugen. Der Zuwanderer, der Flüchtling, der Immigrant auf dem Pfad Richtung Sicherheitszone Europa, aber immer öfter eben auch Richtung europäischem Wohlstand und mit seiner eigenen hier schwer kompatiblen Kultur im Rucksack.

Letzteres interessiert Kleber nicht. Seine prädestinierte Welt ist eine abgeschlossene, dreifach gesichert gegen den Eindringling, der Weltenbummler hat alle Optionen, er kann notfalls das Land wechseln, Wohlstand auf Wanderschaft ist fast überall gerne gesehen. Freiheit ist eben auch das: käuflich. Und wer Freiheit einfach kaufen kann, der geht mit der Freiheit der anderen mitunter sorgloser um.

Kleber auf Lesbos. Freiwillige Europäer halten am Strand in gelben Westen Ausschau nach Booten. Die Menschen würden auf Lesbos in Ghettos kommen sagt eine Helferin leichthin. Und da denkt man schnell an das Warschauer Ghetto und fragt sich: Soll man an der Stelle so denken? Und darf man diese Vergleiche ziehen? Vom Holocaust-Mahnmal mit Gauck nach Lesbos und immer wieder die Suche nach Analogien zu den Verbrechen des Nationalsozialismus. Ist das der Weg Menschenrechte einzufordern? Oder geht es hier viel mehr darum, Zuwanderung nach Europa zu rechtfertigen und im Vorfeld der UN-Migration- und Flüchtlingspakte eine Akzeptanz zu erzwingen beim Zuschauer? Ist das eigentlich schon Propaganda, wenn niemand mehr erfolgreich gezwungen werden muss?

„Die Erklärung der Menschenrechte war eine großartige Vision, aber unser Planet und die Schöpfung kamen damals nicht vor.“, sagt Claus Kleber. Wir sind mittlerweile in Kalamatan, Indonesien, ein Hubschrauber fliegt einen Käfig mit einer Orang-Utan-Mutter und ihrem Jungen in den Urwald. Klebers Kamera ist live mit dabei im Käfig. Die Menschenrechte müssten weitergedacht werden, so Kleber und die Kameradrohne fliegt mittlerweile über Brandrodungen. „Orang-Utan heißt in der indonesischen Sprache Waldmensch.“, klärt Kleber auf. Also müsste es ja endlich auch Waldmenschenrechte geben, darf der Zuschauer hier gerne zu Ende denken. „Menschenrechte werden wertlos ohne einen menschenwürdigen Planeten.“, so Klebers mahnender Schlusssatz zur Orang-Utan-Sequenz.

Bei einem Besuch bei Journalisten in Istanbul erfährt Kleber „Wer Angst hat, kann kein Journalist sein.“ Aber was soll nun ausgerechnet Claus Kleber mit so einer Information anfangen? „Wenn es bei uns so hart auf hart käme, wie viel würde wohl bleiben vom Mut der Journalisten?“ fällt ihm dazu ein. Und der eine oder andere Zuschauer mag für diesen Moment sprachlos zurückbleiben über diese und andere kühnen Fragen, für die es einmal wirklich kühne Journalisten bräuchte.

Claus Kleber beendet seinen Menschenrechtsausflug mit einigen wild geschnittenen Filmschnipseln Revolutionsromantik weltweit. „Mit Blick auf ihre Geschichte sage ich Ihnen, dass ihre liberale Demokratie eine vorübergehende Sache sein wird.“, schreibt ihm Professor Zhang Weiwei noch auf die letzten Seiten des Reisetagebuchs.

„Der neue Ungeist von Ungarn endet nicht bei Flüchtlingen“, kommentiert Kleber noch und mag sich über dieses Wortspielchen gefreut haben. Und er schlägt noch einmal den großen Bogen, wenn er nach Chemnitz zeigt: „Wenn nicht Einhalt geboten wird, enden Hetzjagden nie bei einer Gruppe.“

Die Menschenrechte dürften nicht den Regierungen überlassen werden, so spricht der Nachrichtenmann einfach immer weiter. „Die sind zu gefangen in ihren Problem und Interessen.“ Aber welche Interessen hat eigentlich Claus Kleber, dessen Schlussmonolog einfach nicht enden will, wenn die Kameradrohne noch ein weiteres Mal um die Freiheitsstatue kreist?

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