Der Zentralrat der Juden ist nicht für eine besonders laut artikulierte kritische Haltung gegenüber staatlicher Politik in Deutschland bekannt. Umso bemerkenswerter sind die Signale, die in den vergangenen Wochen aus seinem Umfeld in Richtung Kulturstaatsministerin Claudia Roth ausgesandt werden. Es geht um den Skandal rund um die antisemitischen und antiisraelischen Kunstwerke bei der Weltkunstausstellung Documenta in Kassel (TE berichtete).
Nicht weniger als Roths Rücktritt hatte die vom Zentralrat herausgegebene Jüdische Allgemeine bereits am 22. Juni gefordert. Die Grünen-Politikerin sei für den Antisemitismusskandal „allen voran“ verantwortlich, schrieb der Chef vom Dienst der Zeitung. Entweder sei sie nicht in der Lage gewesen, Einfluss auf die Documenta zu nehmen, oder aber sie habe die Herausforderung des Judenhasses nicht verstehen wollen. „Beides disqualifiziert sie in höchstem Maße als Kulturstaatsministerin“ – eine klare Aufforderung zum Rücktritt.
Das BDS-Problem
Denn die hatte 2019 gegen den Beschluss des Bundestages gestimmt, BDS für antisemitisch zu erklären. Damals unterzeichnete sie eine Erklärung, die die Bewegung zwar unter anderem für ihren Umgang mit Antisemitismus kritisierte, sich aber dagegen wandte, sie „pauschal als antisemitisch zu bezeichnen“. Pikant auch: Roths heutiger Amtschef Andreas Görgen tauchte 2020 in einem Papier der „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“ als Berater auf, die sich ebenfalls gegen den BDS-Beschluss des Bundestags wendet.
Alle schuld außer Frau Roth
Trotz der Signale aus dem Zentralrat, auf den man sich in der Politik sonst immer gerne beruft, zeigt Roth bislang keine Anzeichen von Selbstkritik. Stattdessen hat sich die Staatsministerin eine Argumentation zurechtgelegt, die sie von der Mitverantwortung entlasten soll. Ihr sei „persönlich versichert“ worden, „dass für Antisemitismus auf der Documenta kein Platz sei“, hatte sie Anfang Juli vor dem Kulturausschuss des Bundestags erklärt und von einem „Wortbruch“ geredet – Frau Roth als Opfer.
Bereits im Januar, nach den ersten überregionalen Medienberichten zu Antisemitismusvorwürfen, habe sie zudem mit dem Documenta-Aufsichtsrat gesprochen und einen internationalen Beirat zur Beratung des Aufsichtsrats bei der Prüfung der Vorwürfe vorgeschlagen. Dies sei aber von Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) abgelehnt worden. Und sowieso gelte: Der Bund sei im Aufsichtsrat seit einer entsprechenden Entscheidung ihrer Amtsvorgängerin Monika Grütters (CDU) gar nicht mehr vertreten, wozu man doch diese einmal befragen solle.
Schormann als Bauernopfer
Schormann kann für die Staatsministerin nun als Bauernopfer dienen, auf das sie alle Schuld abzuladen hofft. Es sei „richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann“, tönte sie am Samstag bereits gegenüber der Frankfurter Rundschau. Sie stehe bereit, die Neuaufstellung der Documenta zu unterstützen. Jetzt also weitergehen, bitte!
Durchkommen darf sie damit nicht, denn keine von Roths Rechtfertigungen kann erklären, warum sie die Documenta bis zum ganz großen Knall in Interviews öffentlich gegen Kritik abgeschirmt und von einer „klaren Grenzüberschreitung“ ausgerechnet nur mit Blick auf die Kritiker geredet hatte. Offensichtlich hatte die Freude über den viel gepriesenen Postkolonialismus der Ausstellung, die „Perspektive des globalen Südens“, der Staatsministerin jeden Blick für den darin vorhandenen Antisemitismus versperrt.
Zusätzlich belastet ist sie mit Blick auf ihre Ablehnung des BDS-Beschlusses des Bundestags von 2019, auf die nun Josef Schuster erneut die Aufmerksamkeit lenkt. Im Kulturausschuss hatte Roth vor zwei Wochen erklärt: „enttäuschtes Vertrauen muss wiederhergestellt werden“. Mit dieser Staatsministerin im Amt wird das aber bis auf weiteres kaum möglich sein.