Tichys Einblick
Ein Hauch von Huntington

Terroristen könnten sich als Flüchtlinge tarnen, aber das Juste Milieu verschließt weiter die Augen

Das BKA warnt vor Terroristen, die als Flüchtlinge nach Europa kommen könnten. Vor den offensichtlichen Realitäten haben nicht nur die Medien jahrelang die Augen geschlossen. Auch der Zentralrat der Juden ordnet Deutschland als sicher ein. Aber warum bekommen dann selbst die Grünen Angst vor der Hamas?

IMAGO / Le Pictorium

Sind wir in die Vergangenheit gereist? Einige Schlagzeilen dieser Tage wirken aus der Zeit gefallen. Da warnte etwa der BND vor einer Fortsetzung des „Nahostkonfliktes“ – ein Wort allein, das eher an die 1990er erinnert, denn die 2020er – und das Bundeskriminalamt warnte vor „erhöhter Terrorgefahr“ im Kontext der Anschläge auf Israel. Das BKA bezog sich dabei auch auf Fluggesellschaften; auch das ein Thema, das gefühlte 20 Jahre keine Rolle spielte. Seit den Terroranschlägen in Israel habe das Amt eine Zunahme von 874 Straftaten in Deutschland im Zuge der pro-palästinensischen Demonstrationskultur festgestellt.

„Der Umstand, dass es bereits zu Drohungen zum Nachteil verschiedener Luftfahrzeuge kam, bestätigt die besondere Gefährdung, die auch speziell für Fluggesellschaften im Zusammenhang mit den aktuellen Terroranschlägen gegen den Staat Israel besteht”, berichtet die Bild-Zeitung von einem internen Papier. Und auch bei den 16 Landesvertretern herrscht große Sorge vor dem Hamas-Terror. In einem Protokoll sei vermerkt worden – wieder laut Bild-Zeitung – dass die Befürchtung bestehe, Deutschland könne zu einem Rückzugsort von Terroristen werden.

Dabei wird auch explizit ein Thema genannt, das in Deutschland insbesondere seit 2015 als völlig unbegründete Angst zurückgebliebener Ewiggestriger und Agitationsmöglichkeit der „Rattenfänger“ verharmlost wird: die Möglichkeit, dass sich Terroristen unter die Migranten mischen könnten. Zitat:

„Es gilt zu vermeiden, dass der Angriff der Terrororganisation Hamas auf den Staat Israel und eine mögliche Ausweitung des Konflikts auf die Region zu vermehrten Fluchtbewegungen möglicherweise bis nach Europa führt. Es sind zudem geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit Deutschland und Europa nicht zu einem Rückzugsort für Hamas-Mitglieder, deren Sympathisanten und Unterstützer oder militante Palästinenser wird.“

Aufziehender Zivilisationskampf, die Bedrohung durch den Islamismus, Terrordrohungen, eine verwundete westliche Macht: Es riecht ein Stück weit nach der Luft in der Zeit nach dem 11. September. Den Vergleich haben die Medien selbst nach dem verheerenden Angriff der Hamas auf Israel gezogen. Da ist einerseits das Trauma, das mit der Tat einhergeht: Israel, das sich in den letzten Jahren so sicher gefühlt hatte, muss einen Blutzoll leisten, der sich überproportional zu dem der USA nach der Zerstörung des World Trade Centers verhält, angesichts einer wesentlich kleineren Gesamtbevölkerung. Es wäre zu wenig gesagt, wollte man konstatieren, Israel habe sich seit dem schicksalhaften Wochenende gewandelt: über zwei Ecken wird jeder Israeli jemanden kennen, der umkam.

Auch in anderer Beziehung gibt es eine Parallele. Mittlerweile ist fast vergessen, dass einer der führenden Terrorpiloten von New York Mohammed Atta war. Drei Jahre lebte der Ägypter in Deutschland und gründete in Hamburg eine Terrorzelle. Bis heute geht man davon aus, dass diese Gruppe die Anschläge maßgeblich plante. Das war in den Jahren 1998 bis 2001. Hat sich seitdem etwas in der deutschen Migrationspolitik, insbesondere hinsichtlich der Identifizierung von Terroristen, geändert?

Hier schließt sich der Kreis. Denn trotz der bereits zu Beginn des Jahrtausends in Europa bestehenden Probleme mit importiertem Terrorismus und Antisemitismus hatte sich der Konflikt damals noch nicht so offen gezeigt. Die Berliner Polizei geht mittlerweile davon aus, dass die Proteste und Randalen pro-palästinensischer Anhänger abends zur Routine werden könnten, wenn jetzt nichts dagegen unternommen wird. Damals gab es noch eine Debatte über Mohammed-Karikaturen, von denen man halten mag, was man will – sie existierte. Und damals war der Antisemitismusvorwurf ein Todesurteil für jede öffentliche Personalie. Heute können Fridays for Future, Greta Thunberg oder auch ein ehemaliger Nationalspieler wie Mesut Özil munter ihre Unterstützung für Gaza verkünden und den tausendfünfhundertfachen Mord an Juden relativieren.

Das zeigt, dass sich in den letzten 20 Jahren in Deutschland – und Europa – etwas erheblich gewandelt hat. Die Probleme, die bereits damals vorhergesagt wurden, sind nun virulent. Verschwörungstheorien einer Islamisierung gewinnen an Boden, wenn etwa ein schottischer Ministerpräsident muslimisch-pakistanischen Hintergrunds fordert, die Bewohner Gazas auf die Insel umzusiedeln. Dass die Hierarchie der Opfer sich mittlerweile so gewandelt hat, dass nicht mehr jüdische Mitbürger, sondern muslimische Einwanderer als die eigentlich Bedrängten in der Gesellschaft eingeordnet werden, ist bereits seit einigen Jahren offensichtlich. Dass jüdische Schüler jüdischen Schulen fernbleiben, weil sie um ihre Sicherheit fürchten, ist eine Randnotiz. Nie wieder – aber bitte nur, wenn es die Komfortzone nicht stört und eigene Weltbilder nicht zu brechen drohen.

Bezeichnend ist dabei die Position der Zentralräte beider Gruppen. Der Zentralrat der Muslime hat dadurch auf sich aufmerksam gemacht, weil er es unterließ, im Zuge des Hamas-Terrors eben diesen zu verurteilen. Der Zentralrat der Juden hingegen betont: „Deutschland ist ein sicheres Land für Juden.“ Das sagt Josef Schuster in derselben Woche, in der er mehr Unterstützung gegen Antisemitismus fordert und von einer FFF-Sprecherin beschimpft wird, er würde Hetze betreiben. Zu Zeiten eines Ignatz Bubis wäre niemand so ungeschoren davongekommen.

Dass es bei Zentralräten indes wie bei allen Organisationen der bundesrepublikanischen Gesellschaft ist – gleich ob Parteien, Kirchen oder Vereinen –, nämlich, dass sich so gut wie niemand von ihnen vertreten fühlt, mag als obligatorische Petitesse anmuten. Freilich wirft das ein nur größeres Licht darauf, dass die atomisierte Gesellschaft (in den letzten Jahren nicht sturmreif geschossen, sondern zufrieden vor sich hin hedonisierend wie moralisch vollgefressen den eigenen Zukunftsillusionen und fremden Versprechungen glaubend) nunmehr Fraß anderer Kräfte werden könnte, die sie zauberlehrlingshaft herberief und nachher zu ignorieren pflegte. Eine Ignoranz, die selbst im Auge des Sturms nicht überwunden ist.

Wenn es eine Zeitung gibt, die der Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann wohl gelesen hätte, um das Rollen der Brandstifterfässer auf dem Dachboden zu verdrängen, dann war es mit verlässlicher Sicherheit die Süddeutsche Zeitung. Wenn es eine mit gesundem Menschenverstand fassbare Angelegenheit gibt, die für jeden ersichtlich ist, aber die Bevölkerung „verunsichern“ könnte, dann ist die Süddeutsche zur Stelle, um genau diese mit einer verkopften Gegendarstellung zu widerlegen. Im Artikel „Die Mär vom eingeschlichenen Terroristen“ hat sie vor fast genau 8 Jahren beispielhaft gezeigt, wie sich das grüne juste milieu selbst betrügt und neuerlich jeden entweder als Schwarzseher, Geisterfahrer oder schlimmeres abschmettert, der auf die Gefahr möglicher Terroristen unter „Flüchtlingen“ hinweist.

Dass der vierfach abgelehnte Asylbewerber, der zwei Schweden in Brüssel ermordete, über Lampedusa einreiste – das sind so aktuelle Geschichten, die damals wie heute nicht in das Weltbild und die Narrative der Süddeutschen passen, sie aber auch bald mit Sicherheit aus der Welt schaffen kann. Wer bereit ist, sein Narrativ buchstäblich auf Kosten der Sicherheit anderer Menschen durchzuziehen, der hat auch keine Skrupel, das Kind medial einzuäschern, das auf den nackten Kaiser zeigte. Mit Sicherheit findet es auch das eine oder andere antisemitische Flugblatt in dessen Schultasche. Nur da, wo der Antisemitismus herrscht, ob importiert oder auf der Straße, da bleibt das Münchener Blatt auffallend schweigsam.

Heute dagegen tut sich etwas im grünen Milieu. Plötzlich. Da lernt Cem Özdemir, wie man mit den Händen isst. Richtig gelesen: er übernimmt Positionen, die man früher hier bei TE lesen konnte oder auch bei anderen Publikationen, die der Landwirtschaftsminister vor einigen Monat noch als Ausweis latenter oder offener geistiger Rückständigkeit deklarierte. Der Grüne fordert einen anderen Umgang mit Islamverbänden: „Wer in den deutschen Medien säuselnde Töne an den Tag legt und sagt, was wir alle hören wollen, nur um auf Arabisch oder Türkisch das Gegenteil zu erzählen, dem standen alle Türen offen.“ Das müsse, so Özdemir, jetzt umgekehrt sein. „Man konnte direkt nach dem Terrorangriff der Hamas wieder das alte Spiel beobachten“, so Özdemir. „Erst nichts sagen, dann klassische Täter-Opfer-Umkehr und zum Schluss, wenn es gar nicht mehr anders geht, wohlfeile Erklärungen, die oft das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen.“

Auch der Parteikollege Konstantin von Notz legt eine für seine Partei bemerkenswerte Wende hin, wenn er sich nun für das Betätigungsverbot der Hamas starkmacht. Dieselbe Hamas, die mit jenem UNRWA verdrahtet ist, das antisemitische Schulbücher ausgibt, Kinder zu Israelhass aufstachelt, Hamas-Brüder in den eigenen Reihen duldet und auch mal Waffen versteckt. Es ist jenes UNRWA, das die grüne Außenministerin Annalena Baerbock mit weiteren 50 Millionen Euro füttert. Nie wieder? Wir haben gelernt? Das Kurzzeitgedächtnis des Animal laborans hält keine drei Monate.

Hoffen lässt das demnach alles wenig. 20 Jahre hatten Politik und Gesellschaft Zeit, auf die Gefahren zu reagieren. Noch einmal 20 Jahre hat sie nicht.

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