Der Axel Springer Verlag hat BILD-Chefredakteur Julian Reichelt fristlos entlassen. Offensichtlich hatte Reichelt Affären am Arbeitsplatz; „Privates und Berufliches“ seien vermengt worden und er habe die Verlagsleitung angelogen, so die Begründung des Verlags. Der Fall Reichelt ist, politisch oder gar historisch betrachtet, kaum mehr als eine Fußnote. Aber die verschiedenen Facetten dieses Skandals scheinen symptomatisch für die wachsenden Gefahren einer freien und demokratischen Gesellschaft zu sein.
Es geht kaum noch um Gesetze, Spielregeln und Augenmaß, sondern um eine fast willkürliche Emotionalisierung und Moralisierung. Das sind die bewährten Waffen der Linken in ihrem Kulturkampf der westlichen Demokratien. Dank ihres enormen Erfolgs in der jüngeren Geschichte können sie sich einen fast hemmungslosen Umgang mit Begriffen und Interpretationen leisten. Der Spiegel titelte schon früh „Vögeln, fördern, feuern“, um die angeblichen Methoden Reichelts zu geißeln. „Ein verheerendes Sittenbild“ – diese dramatische Formulierung verwendet nun der „Medieninsider“.
Ohnehin ist es in den ohnehin tief verunsicherten westlichen Gesellschaften immer üblicher geworden, dass (meistens) Frauen Männer übler Dinge bezichtigen, die oft sogar Jahrzehnte zurückliegen. Eine einigermaßen faire Nachprüfung ist dann so gut wie ausgeschlossen. Dennoch gibt es in den USA, in Großbritannien oder Deutschland reihenweise Opfer dieser perfiden Beschuldigungs-Methode. Es reichen oft Anschuldigungen, Eindrücke und Gefühle, hinzu kommt dann eine aufgeblähte Moralisierung, die oft genug keine Rücksicht auf die vorhandenen Fakten und Beweise nimmt.
Es war sicher kein Zufall, dass ausgerechnet die New York Times (NYT) mit einem großen Artikel über Reichelt und den Springer-Verlag den entscheidenden Beitrag zum beruflichen Ende des Bild-Chefs leistete. Schließlich ist die Zeitung das mächtige Medien-Flaggschiff der amerikanischen „Liberals“, der Linken, die massiv die „woke“-Kultur verbreiten. Im angeblichen Interesse von Frauen und von Minderheiten, die wegen ihrer Rasse oder sexuellen Orientierung diskriminiert würden, gibt das Blatt die Vorgaben für das, was gedacht, gesagt oder veröffentlicht werden darf. Kaum eine andere Zeitung hat das tiefe Misstrauen gegenüber der westlichen Kultur und ihren Werten so intensiv propagiert wie die NYT. Die „Enthüllungsgeschichte“ über Springer und Reichelt, entsprach inhaltlich der Ideologie des Blattes – hinzu mag gekommen sein, dass Springer derzeit ansetzt, sich auf dem US-Medienmarkt stärker zu engagieren.
Wie um alles in der Welt kann sich ein mehrköpfiges „Investigativ-Team“ der Ippen-Zeitungsgruppe monatelang mit den Bettgeschichten im Haus Springer beschäftigen, als ob es hier darum ginge, einen Staatsaffäre aufzuklären, einen politischen Skandal zu entlarven? Begründet wurde das mit angeblichen „Machtmissbrauch“ bei Springer – wohlgemerkt, nicht Gesetzesrelevantes kam bei den Recherchen heraus. Vermutlich ist die Diskrepanz zwischen objektiver Bedeutung der Vorgänge in der Bild-Redaktion und dem absurden Personal- und Materialeinsatz des Reporterteams ein wesentlicher Grund gewesen, dass Verleger Ippen die Notbremse zog und die Veröffentlichung des Schmuddelmaterials aus dem Haus Springer nicht zulassen wollte.
Es ist sicher kein Zufall, dass gerade Medien wie der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung oder die ARD-Sender den Fall Julian Reichelt auswalzen, als ob es sich um einen spektakulären Skandal handeln würde. Denn der 41 Jahre alte, sendungsbewusste Boulevard-Journalist ist nicht irgendein Chefredakteur, sondern in dieser Zeit ein krasser Außenseiter seiner elitären Gilde.
Seitdem Reichelt 2017 das alleinige Sagen in der Bild-Redaktion hatte, wurde das Blatt zum heftigsten Kritiker der Regierungspolitik in Berlin – sei es in Fragen der Migration und Flüchtlinge, der Corona-Politik oder Energie-Politik. Zudem begegnete die Zeitung unter seiner Führung den Grünen-Politikern mit deutlich weniger Bewunderung und Nachsicht als so gut wie alle anderen deutschen Massenmedien; auch wurde das Thema islamischer Extremismus und Antisemitismus unter Migranten in der „Bild“ nicht so ignoriert oder unterbewertet wie in fast allen anderen deutschen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern.
Es liegt also nahe, die Ausschaltung Reichelts als einen für unsere Zeit typischen Charaktermord anzusehen – also die Diskreditierung einer öffentlichen Person ohne jede rechtliche Basis, nur aufgrund von mehr oder minder vagen Anschuldigungen. Cancel Culture für jene, die eine Machtposition haben, die die Apologeten des links-grünen Zeitgeists aber stört.
Sollten sich Journalisten einmal mit Affären und Sex-Dramen in den ARD-Sendern, in den Redaktionen großer Magazine oder überregionaler Zeitungen beschäftigen, würden sie vom Material erschlagen. Es ist sicher gut, dass heute Machtverhältnisse nicht mehr so missbraucht werden können, wie das früher gang und gebe war. Aber den Fall Reichelt als spektakulären Skandal zu präsentieren ist vermutlich nur politische Willkür. Reichelt wird all jenen fehlen, die mit größter Besorgnis die Folgen des moralisierenden und emotionalisierenden Haltungsjournalismus in sehr vielen Medien erkennen.
Ironischerweise war es Springer-Verlagschef Mathias Döpfner, der das Politikum im Fall Reichelt zugespitzt auf den Punkt gebracht hatte. Die NYT zitiert aus einer angeblichen Nachricht Döpfners an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, in der Döpfner schreibt, man müsse „sehr vorsichtig“ sein, weil Reichelt „der letzte und einzige Journalist in Deutschland“ sei, „der noch mutig gegen die neue DDR-Obrigkeit“ rebelliere. Womit Döpfner vermutlich auf die Berliner Corona-Politik anspielte, die ohne große Bedenken die Grundrechte der Bürger massiv einschränkte, als auch auf eine Medienlandschaft, die kaum noch ernsthaft die Regierung kritisiert.
Aber längst geht es nicht mehr nur um Reichelt. Matthias Döpfner ist Präsident der Zeitung- und Zeitschriftenverleger.
Jetzt soll der Verband bzw. er dazu gedrängt werden, diesen Job abzugeben – weil Döpfner mit seiner Aussage „alle Journalist:innen verunglimpft“ habe, da sie gegen den „neuen DDR-Obrigkeitsstaat“ nicht aufbegehren würden; so einer, den man heute als „Aktivist“ bezeichnet. Für andere aus der Gilde ist Döpfner nicht mehr zumutbar, weil er die gefälligen Journalisten als „Propaganda-Assistenten“ bezeichnet habe.