Man merkt: Die Bundestagswahl rückt näher. Für gewöhnlich lässt sich Außenministerin Annalena Baerbock am liebsten per Bildschirm in die Talkrunden zuschalten. Bei Caren Miosga am Sonntagabend aber sitzt sie eine ganze Stunde lang persönlich mit am Tisch. Präsenzunterricht mit den üblichen Textbausteinen und Versprechern. Und einigen Rüffeln.
Dabei sind Miosgas Fragen geradezu zärtlich. Baerbock darf am Vorabend des Jahrestags, an dem palästinensische Terroristen Israel überfielen, erzählen, wie sie diesen Tag erlebt hat. Das tut sie, macht dabei kleine Pausen, so, als würde sie überlegen, doch ihr schauspielerisches Talent reicht nicht aus. Alles wirkt abgesprochen, einstudiert. Dazu dann noch Miosgas verständnisvolles Augenklimpern – die ersten Minuten der Sendung sind wirklich harter Tobak.
„Ist der Krieg im Nahen Osten noch zu stoppen, Frau Baerbock?“ lautet das Thema der Sendung, und spätestens, als zwei Experten mit am Tisch sitzen, wird klar, dass Frau Baerbock für diese große Frage der falsche Adressat ist.
Doch zunächst darf sie ungestört vom Krieg erzählen, denn die Fragen gehen so wie diese: „Wenn Sie so geschockt sind, wie bringen Sie sich danach wieder in die berufliche Spur?“ Sie kämpfe vor allem mit Fake News und Kriegspropaganda. Deshalb sei es für sie „so wichtig, so viel es geht auch immer selber vor Ort zu sein, selber zu sehen“. Und dies „spätestens seit dem 24. Februar, dem furchtbaren Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine“. Der Textbaukasten ist damit vollständig geöffnet.
Die einzelnen Bausteine finden aber – wie üblich – nicht immer optimal zueinander. „Es gibt Situationen, da brennt einem das Herz, da würde man als Mensch, als Mutter, einfach sagen: Mach einfach, dass es Stopp ist. Aber ich bin Außenministerin, und dann in solchen Momenten, wenn einem das Herz brennt, einen kühlen Kopf zu bewahren, das ist in diesen Momenten meine Verantwortung für verantwortungsvolle Entscheidungen.“ Uff!
Dabei macht Miosga es ihr doch so leicht. „Wie haben Sie sich darauf vorbereitet, dass die Welt, die da draußen auf Sie warten würde, auch den Menschen Annalena Barbock verändert?“ Baerbock sagt, sie habe eine eiserne Grundhaltung entwickelt: „Mir war immer wichtig, das vor Ort ganz genau anzuschauen.“
Und was die Leute ihr auch immer für Versprechen abverlangen, wenn sie vor Ort ist! Baerbock zitiert eine 16-jährige Ukrainerin, die verschleppt worden war: „Frau Baerbock, bitte versprechen Sie mir eins, vergessen Sie die anderen Kinder nicht, die weiterhin verschleppt sind. Geben Sie sie nicht auf.“ Später lässt sie einen israelischen Vater auftreten: „Frau Baerbock, versprechen Sie mir eins, nicht als Außenministerin, sondern als Mutter: Freuen Sie sich niemals, dass Ihre Kinder zu einem Großeltern-Wochenende fahren.“ Weil er das zu seinen Kindern sagte, und dann habe er sie erstmal für längere Zeit nicht mehr gesehen.
Das Skript ist damit passé, die Dinge und Frau Baerbock nehmen ihren Lauf …
Sie kritisiert, dass Putin „keinen Millimeter über Frieden nachdenkt“, und berichtet, was Diplomatie bedeutet: nämlich „natürlich auch immer, Schlimmeres zu verhindern. Deshalb fahre ich auch immer wieder in die Ukraine.“
Dazu hat Miosga einen passenden Einspieler am Start, in dem Bundeskanzler Olaf Scholz, wenn schon nicht inhaltlich, so doch zumindest linguistisch voll auf Baerbock-Niveau spricht. Zum Thema „Deutsche Waffen auf russische Ziele“ sagt er, dass Deutschland „keine Aufhebung von Weichreitenbeschränkung vornehmen wird“. Wow.
Baerbock erklärt dazu, offensichtlich frei nach Schnauze: „Ich bin total dagegen, dass man öffentlich diskutiert, wie weit jetzt weitreichend ist.“ Ihr gehe es vielmehr darum: „Wie können wir die Kräfte bindeln?“
Miosga geht nochmal auf die Weichreite, pardon, Reichweite: „Wie weit ist denn weitreichend?“, fragt sie. Baerbock: „Ich halte es total für fatal, wenn man öffentlich definiert: 10, 40 oder 200 Kilometer. Abschreckung bedeutet doch, dass in diesem Fall bestmöglich der russische Präsident, die russische Armee glaubt, sie sollten gar nicht mehr so viele Raketen schießen, weil sie ansonsten zerstört werden.“ Ein Satz wie eine Streubombe. Oder war es Streuselkuchen?
Miosga lässt sich anstecken: „Es gibt ja Flughäfen und Abschussbasen, die sind eben etwas weiter als nur 200 Kilome… äh 200 Meter entfernt oder zwei bis fünf oder zehn Kilometer.“ Es ist dies der Moment, als der Zuschauer seinen Frieden mit der Sendung schließen kann, wenn er möchte. Vorausgesetzt, er akzeptiert, dass derartiger Nonsens 3.650 Euro GEZ-Gebühren pro Sendeminute frisst.
Dass die Ministerpräsidenten Sachsens und Brandenburgs sowie Thüringens Chef-Plagiator Mario Voigt in einem gemeinsamen Zeitungsbeitrag Friedensverhandlungen für die Ukraine fordern, versteht Baerbock nicht. Sie sagt: „Wie die drei Herren auf den Trichter sein können, dass man jetzt die deutsche Bundesregierung, die Europäer oder gar die Ukraine noch weiter herausfordern muss.“ Keine Ahnung, was sie damit meint. Aber sie möchte sich immerhin gern persönlich erklären: „Vielleicht kann ja der eine oder andere Herr mich einmal begleiten bei meinen Reisen in die Ukraine.“ Die Einladung erweitert sie später noch auf Sahra Wagenknecht: „Auch sie lade ich herzlich ein, mal gemeinsam in die Ukraine zu reisen.“ Das dürfte ein interessanter Ausflug werden. Vielleicht mieten sich die Fünf einen Minivan, schließlich sind es von Potsdam angeblich nur sieben Autostunden bis Kiew.
Zwei Nahost-Experten bringen Pfeffer in die Runde. Sie kritisieren Baerbocks Bemühungen im Nahen Osten. „Ich habe das Gefühl, dass da einfach nicht viel Kraft auf die Straße gekommen ist“, sagt Islamwissenschaftler Guido Steinberg. Er wundert sich, „dass man tatsächlich denkt, dadurch, dass man sich zuhört, dass man sich respektvoll begegnet unter Freunden oder wie auch immer, den Eindruck erweckt, als würde man tatsächlich Ziele erreichen“. Und Daniel Gerlach, Chefredakteur des Magazins „Zenith“, schließt in seiner Kritik den Kanzler gleich mit ein: „Dieses Thema scheint ihn absolut nicht zu interessieren. Die 40.000 Toten in Gaza, die jetzige Situation im Libanon. Es scheint dieser Konflikt für ihn nicht zu existieren.“
Baerbock sagt, sie sei ein „tiefer Freund des israelischen Staates“. „Deshalb war ich so oft in der Region. Elfmal in der Region, neunmal in Israel.“ Harte Arbeit über den Wolken, und „da kann man sich ja nicht Rosinen raus pucken“.
Steinberg hat „fast ein bisschen Mitleid“. Europäische Politiker würden „von Israel nicht ernstgenommen“. Und „das liegt daran, dass Deutschland, gerade wenn es um Sicherheitspolitik geht, einfach kein Akteur ist. Und alles, was wir in der Region sehen, ist Sicherheitspolitik. Da hat Deutschland nichts beizutragen. Ganz einfach nichts.“ Baerbock aber bleibt dabei: Es gehe nicht darum „das Bequemige zu tun, sondern das Richtige zu tun. Außenpolitik ist ja kein: Man hat ’nen Zauberstab, und dann zaubert man mal den Frieden vorbei, sondern man muss immer mit Realpolitik umgehen.“ Das hat Robert Habeck ja auch schon festgestellt, den die Realität bisweilen geradezu umzingelt.
Realsatirisch wird es nochmal, als Miosga wissen will, warum Baerbock 2025 nicht als Kanzlerkandidatin antritt. Sie sei ja angeblich „zu eingebunden“. Ob das eine schlechte oder gute Ausrede sei, fragt Frau Miosga. „Ich glaube, eine gute Nachricht für die Außenpolitik und auch für mich“, sagt Frau Baerbock. „Meine Aufgabe als Außenministerin, das ist ja mein Jobprofil, ist, in der Welt unterwegs zu sein.“
Miosga stichelt: „Sie hätten auch ehrlicherweise sagen können: Ich war schonmal dran. Da lief’s nicht so gut. Jetzt macht es der andere.“
Baerbock antwortet knapp: „Jo.“
Miosga: „Gut.“