Bis auf den Ehrenmord hat er eigentlich das gesamte Beleidigten-Programm abgefahren, der schäumende Sultan vom Bosporus. Schmiss die Möbel aus dem Fenster, biss vor Wut in seinen fliegenden Teppich, zerdepperte das gesamte politische Porzellan („Verehrte Merkel, du unterstützt Terroristen!“) und drohte zuletzt, dass er weiß, wo Merkels Haus wohnt (wo er ganz viele Flüchtlinge vorbeischicken will). Und wie reagieren unsere zuständigen Bereichsleiter auf den Integrationsverweigerer? Peter Altmaier, Merkels Sancho Panza, jammerte, auch Deutschland habe „eine Ehre“.
Der fürs Äußerste zuständige Sigmar Gabriel war zuletzt eher weniger präsent, dafür „aktualisierte“ jemand auf der Außen-Amts-Website die Reise- und Sicherheitshinweise für die Türkei. Schließlich war erst vor kurzem ein Europäer in der Türkei zusammengeschlagen worden, weil man ihn für einen Niederländer hielt, und holländische Rindviecher wurden von den Türken außer Landes gebracht.
Die Niederländer bringen uns dann auch zu unserem Thema: Maybrit Illners Frage des Tages „Erdogans Zorn – Lässt Europa sich provozieren?“. Da standen dann sechs Stühle und eineinhalb Meinungen im Raum. Die halbe Meinung gehörte zum AKP-Mann Fatih Zingal, auf den wir später zurückkommen. Alle anderen hatten im Geiste das T-Shirt „Je suis Rutte“ übergezogen, für Mark Rutte, den ersten Vrijheidshelden der EU. Der hatte zwei Fliegen mit einem Streich geschlagen, Wilders mit Erdogan, und alle am Tisch waren mächtig stolz auf ihn. Sogar Gesine Schwan von der SPD, obwohl ihre niederländischen Parteifreunde mit minus 19,14% mit am Fliegenfänger hingen.
Als Vertreter der heldenhaften Niederländer war der Migrationsforscher Ruud Koopmanns geladen, der dann so Sätze sagen durfte wie „Auch wir sind eine stolze Nation“ und „Es gibt einen demokratischen Patriotismus“, oder „Politiker haben die Pflicht, auch die Unzufriedenheit im Volk aufzunehmen“, ohne im Geheul von Multikulti-Phantasten unterzugehen. Dafür guckte Claudia Roth an dieser Stelle besonders böse und zog drohend eine Augenbraue hoch. Ehrlich gesagt hatten wir nur wegen ihr eingeschaltet, denn Erdolf ist ja längst überall unten durch und medial total ausgeweidet. Könnte Claudia, die Betroffenheitsschleuder, die Dicke Berta der Grünen, uns noch einmal aus der Erdogan-Lethargie herausholen?
Immerhin verdanken wir der gelernten … Quatsch! Nix gelernt, … der geborenen Politikerin Erkenntnisse wie „Die Türken haben Deutschland nach dem Krieg wieder aufgebaut.“ (Hinweis an CR: türkische Gastarbeiter kamen ab 1961 mitten ins voll laufende „Wirtschaftswunder“.) Politisch hat sie außerdem die gefühlte mindestens zweite Staatsbürgerschaft: „Ich mache seit 20 Jahren Türkeipolitik, das ist viele Jahre. Und ich liebe die Menschen in der Türkei. Und ich liebe die Konflikte in der Türkei.“ Ist es da ein Wunder, dass wir besonders von ihr heute viel erwartet haben?
Dann wusste sie tatsächlich, dass den Türken seit 1963 ernsthaft versprochen wurde, sie einmal in die EU aufzunehmen (obwohl es 1963 gar keine EU gab), und dass Merkel mit ihrer „privilegierten Partnerschaft“ den türkischen Frust noch verschärft habe. Also irgendwie sind wir Deutschen doch an allem schuld.
Wir Deutschen. Das bringt uns zum Solinger Rechtsanwalt und Erdogan-Unterstützer Fatih Zingal von der „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“. Der sollte das freiheitlich demokratische Bekenntnis ablegen, dass er sich von Erdolfs Nazi-Vergleichen genauso beleidigt fühlt wie alle anderen am Tisch. Er fühlte sich eher „tief traurig“. Worauf Dorothee Bär, Karrierefrau der CSU, scharf nachfragte: „Fühlen Sie sich als Türke oder als Deutscher?“ „Sowohl als auch. Aber ‘beleidigt‘ ist das falsche Wort.“
An Zingal prallten die Aufgeregtheiten um ihn herum ab, als habe er die Aufregung um ihn herum nicht vernommen. Easy peasy. Nein, wir wollen den ganzen Trara nicht wiederholen, nur so viel, als dass schon das türkische Recht Auslandspropaganda türkischer Politiker verbietet (Koopmanns), dass Erdogan, die „starke Persönlichkeit“, tief enttäuscht sei, dass man die Nazi-Vergleiche in der Türkei anders sehe (Zingal), dass Europa der Türkei wohl keine Demokratie zugetraut habe (Schwan). Und dass Merkel der Türkei Visa-Freiheit und beschleunigte Beitrittsverhandlungen versprochen habe (Koopmanns).
Nun hoffen alle (bis auf einen), dass Erdogan das Referendum verliert, das sei jetzt das „Endspiel der Demokratie“ in der Türkei, sagte Koopmanns. Claudia will die EU-Gelder für die Türkei an ihre Freunde von den NGOs umleiten und dass Schäuble auch dem türkischen Finanzminister keine Kredite gibt. Dass europäische Banken bis zum Hals in nun politisch wackeligen Türkei-Krediten stecken, kam nicht vor beim allgemeinen Bekenntnis-Geschwätz – macht ja alles nur komplizierter.
Natürlich ist längst in Vergessenheit geraten, warum um Himmels Willen die Türkei überhaupt zu Europa gehören soll. Weil sie im Eurovision Song Contest mitmacht? Macht Australien auch. Weil die Türkei vor 2000 Jahren zum Römischen Reich gehörte? Das taten Marokko, Tunesien und Libyen auch. Welchen Vorteil hätte eine Europäische Union von einem weiteren Nettokassierer in ihrer eh schon angeschlagenen Organisation? Eigentlich nur den, dass Claudia Roth ohne Pass in das Land ihrer Träume reisen kann. Schließen wir mit einem Blick in die Archive, als unsere Bundesvizedingens Claudia noch so von dem Land schwärmte: „Mir gefällt in der Türkei Sonne, Mond und Sterne, mir gefällt Wasser, Wind. Mir gefallen die Meze, mir gefallen Kichererbsenpüree, mir gefallen Börek. Ich kann gute Börek machen.“