Die Redaktion von Maischberger hat ihre Winterpause offensichtlich genutzt, um sich auszuruhen und nun fit und munter ins Geschäft zu starten. Die gestrige Sendung war eine gute – zumindest geschickt eingefädelt. Alles hätte super laufen können, wenn die Trottel vor der Kamera sich an das Skript gehalten hätten, aber dazu später. Im Fokus der gestrigen Sendung stand natürlich Corona: mit einer Impfpflicht-Debatte ins neue Jahr. Ein super Timing eigentlich: Spätestens jetzt haben doch die allermeisten schon ihre Neujahrsvorsätze gebrochen und werden – ganz schuldbewusst – noch viel empfänglicher für Moralpredigten.
Gleich zu Anfang hat Maischberger Kollegen aus der Journalistenzunft bei sich. Die zerreißen sich den Mund über den ungeimpften Tennisspieler Djokovic und darüber, weshalb er und sein verrückter Vater, der seinen Sohn mit Jesus vergleicht, die Verlierer der Woche seien.
Ein wunderbarer Einstieg, um auf die böse neue Variante zu sprechen zu kommen, die Maischberger immer wieder „Ommokron“ nennt. Helene Bubrowski von der FAZ ist sichtlich beunruhigt. Ihr sind Fälle bekannt, bei denen Infizierte (halten Sie sich bitte fest oder setzen Sie sich hin, die Schilderungen sind furchtbar) „zwei, drei Wochen im Bett liegen“! Und das waren, so betont sie, „gesunde, junge Menschen“. Nicht nur, was die neue Variante angeht, wird den Zuschauern für 2022 der Kopf gerade gerückt, bevor sie wegschalten. Auch was gewisse Spaziergänge angeht: So wird man aufgeklärt, was man von Leuten zu halten hat, die „mit Nazis laufen“ – nämlich gar nichts.
Nun kommt der Höhepunkt der Sendung: die Diskussion zwischen Linda Teuteberg, (FDP-Bundestagsabgeordnete) und Boris Palmer (Grüner Oberbürgermeister von Tübingen). Frau Teuteberg darf als erste, sie sagt: „Ich bin selbst dreimal geimpft, aber das hat mir nicht den Sinn für Verhältnismäßigkeit und unser Grundgesetz verstellt.“ Sie betont, dass man „nicht alles, was man für sich selbst als vernünftig, als erstrebenswert ansieht, auch insbesondere mit einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, anderen vorschreiben kann.“
5000 Euro Geldstrafe für Ungeimpfte
Dann darf Palmer ran. Er ist völlig anderer Meinung: „Wir haben alles getan“; wenn Argumente nicht mehr ziehen würden, müssen Maßnahmen ergriffen werden. Damit hat er scheinbar auch gar kein Problem, denn: „Für mich sind Pflichten etwas Positives.“ Er gibt sich differenziert – immerhin will er die Impfpflicht ja auch nur für die Risikogruppe ab 60. Und eine Perfektion in der Quote strebt er gar nicht an. Maischberger deutet an, dass das Bundesverfassungsgericht die Impfpflicht direkt wieder kassieren könnte, darauf erwidert Palmer völlig abgebrüht: „Wenn es das in einem halben Jahr täte, wären alle geimpft, hätte ich als Praktiker auch kein Problem.“ Ein grandioses Argument: verfassungswidrige Maßnahmen? Völlig egal, solange die Richter beim Urteil bummeln. Hinterher ist ja eh egal.
Auch das Argument, die Impfpflicht belaste zuerst die, die sich die Bußgelder nicht leisten können, lässt er nicht zu sich durchdringen: „Wenn die Leute wüssten, das kostet 5000 Euro, ungeimpft zu sein, dann hätten wir 98 Prozent Impfquote, und die übrigen 2 Prozent können wir uns in Ruhe drum kümmern.“
Tja, klar wissen die Leute das auch – und dann stellen sich die Herrschaften aus der Politik hin und können sich nicht erklären, weshalb so viele Leute das Vertrauen verlieren und auf die Straße gehen. Aber hey: Wenn man die Leute austrickst, die das wissen und trotzdem drauf reinfallen, sind sie doch selbst schuld, oder? Wozu noch ehrlich sein und seine Pflicht tun? Pflichten sind zum Verhängen da, und Ehrlichkeit macht so blöd berechenbar. Wer seinen Blinker benutzt, verrät doch nur seinem Konkurrenten, wo man als Nächstes hinfährt.
Ich finde es zwar in erster Linie immer beängstigend, wenn Politiker sich so selbstverständlich derartige Ausfälle leisten, aber mittlerweile finde ich, dass man dem auch zumindest eine positive Sache abgewinnen kann. Palmer war noch vor einem Jahr ganz ruhig in Interviews. Und auch Söder hatte mal bessere Jahre, Herr Tschentscher hatte bestimmt auch mal Haare, und von einem Wüst hatte ich bis vor Kurzem noch nie etwas gehört. Das ist neu.
Doch auf was weist die demonstrative Aggressivität hin? Nehmen wir mal Kim Jong-un, nur mal hypothetisch, ohne dass ich mich eines streng verbotenen unangemessenen Vergleichs schuldig machen wollte: Aber strahlt Kim etwa Stärke aus, wenn er seinen Bürgern verbietet, von unvollendeten Gebäuden zu sprechen?
Menschen, die sich selbst nicht unter Kontrolle haben, verlieren sie auch ansonsten. Und ein Löwe muss seinen Untertanen nicht täglich klar machen, dass er ein Löwe ist.