Tichys Einblick
Sendung der faulen Kompromisse

Bei Maischberger: „Koalition der Verlierer“

Ein Titel, der viel verspricht - die Koalition von gestern als Koalition der Verlierer für morgen. Aber dann wird doch wieder alles zermümmelt, damit es so klein bleibt, wie es ist und kommt. Eine ermüdende Debatte, die Zeit lässt für allerlei nebensächliche Betrachtungen. Bis kurz vor Schluss.

Screenprint: ARD/maischberger

„Die Koalition der Verlierer: Drohen uns faule Kompromisse?“ Oskar Lafontaine spricht gleich mal von einer Destabilisierung der Gesellschaft, wenn erneut vier Jahre eine Große Koalition regiert. Journalist Friedrich Küppersbusch kommt als Widergänger, als Stimme aus dem letzten Jahrhundert, damals, als Figuren wie er medial die Trommel schlugen, als er noch nicht diese schon fesch wirkende Faltenburka übers Gesicht gezogen hatte. Seine Stimme hallt nach aus dem Gestern. Er dürfte nach all den Jahren müder erscheinen, wirkt aber erstaunlich frisch und recht munter. Ich Küppersbusch habe richtig Bock auf die Sendung, will er uns wohl sagen.

Die Wiederkehr der Gestrigen

Ähnliches darf für Klaus Wowereit gelten, nur anders: auch der Ex-Kult-Bürgermeister Berlins hat sichtbar Federn gelassen, aber die Freiheit vom Amt schenkt ihm ein paar verbrauchte Jahre zurück, alt aber sexy. Sympathisch. Wowereit meint zum Auftakt, alle Bündnisse seien heute möglich. Natürlich ohne die AfD, aber das muss er in dieser Runde offenbar nicht extra erwähnen. Die Ausgrenzeritis hat ihr Ziel erreicht. Erst Claus Strunz wird das zum Ende übernehmen. Der kommt gewohnt angriffslustig. Seinen Maischberger-Anrechtsschein hat er mit seiner „Neuwahlen-Position“ errungen.

Dorothee Bär (CSU) möchte jetzt nicht noch einmal wochenlange Sondierungen. Die ist so fesch wie nett. Nachsichtig-mütterlich fast zu den vielen verwirrten Wählern und den herumpolternden Politikern – wie zu den eigenen Kindern daheim. Sondierungen: Das müsste doch jetzt schneller gehen, bevor man dann in die eigentlichen Verhandlungen eintritt. Küppersbusch stänkert gleich gegen Bär. Seine alten Reflexe gestatten ihm keine argumentative Freiheit, er kapiert auch nicht, dass man so Bär nicht kontert, sich quasi automatisch ins Unrecht setzt. Wenn Seehofer der beste Ministerpräsident der Welt wäre, wozu dann Söder? Bär antwortet fast modern, es wäre doch wie überall im Leben, manchmal muss man neue Wege gehen. Klingt nach Streit zu Hause, kann aber auch eine Ente sein.

Lafontaine findet dieses ganze: „Wer mit wem und warum“ einen großen Zirkus. Warum fängt man nicht mal mit dem Rentensystem an? Wir hätten eines der schlechtesten in Deutschland. Es würde sogar schon reichen, wir würden bei Österreich abschreiben. Im Übrigen wären die drei Parteien, die jetzt miteinander sprechen, allesamt vom Wähler abgestraft worden. Strunz will eine Vision. Diese elenden Diskussionen, beispielsweise, welches Amt Sigmar Gabriel bekäme in Zukunft, könne er nicht mehr hören. Er hat ja Recht. Erhält Gabriel das Außenministerium oder doch nur eine Spielzeugeisenbahn zu Weihnachten?

Eine Merkelfan-Frau ist gefunden

Stephanie Bschorr ist dolle heiser. Sie ist im Bundesvorstand des Verbandes deutscher Unternehmerinnen – wird da so viel rumgeschrien? Bschorr ist bekennender Merkelfan. Oh je, mal schauen, was da noch kommt über den Maischberger Abend verteilt. Küppersbusch kann quatschen, stellt gute Fragen, gestochen scharf, wie vor dem Spiegel gelernt. Zu sehr, wie gelernt. Noch dazu vorgetragen ein wenig mit Unterdampf, wahrscheinlich weiß er selbst, dass er mit viel Glück in die Runde geraten ist. Andere kommen häufiger. Da muss man den goldenen Mittelweg finden zwischen Bescheidenheit und diesem spürbaren Willen, Duftmarken zu setzen.

Was für eine Quasselrunde. Man nehme ein paar dutzend Artikel zu den Wahlen, zur GroKo, zu Jamaika, verquirle das alles ein wenig und schaue mal, was dabei rauskommt, wenn jeder alles vortragen kann, was ihm aus dem entstandenen Wortbrei gefällt. Ein Partyspielchen zu vorgezogener Stunde. Irgendwie wird kurz über Kubicki geredet, dann wird der Senior der FDP auch gleich wieder fallen gelassen. Oskar fragt: „Was soll denn die neue Regierung tun?“ Erst wenn man das wüsste, würde sich etwas verändern. „Neuwahlen haben keinen Sinn, wenn die selben Gesichter mit dem selben Programm wieder antreten.“ Das ist ja mal ein Wort.

Oskar Lafontaine in den 1900er Jahren. Einspieler, Wahlkampfbegeisterung, „Glück auf!“ Scharping abserviert. „Oskar, manches hat bitter weh getan (…) Aber wir haben eine Aufgabe, die wichtiger ist als wir selbst.“ „Wird Schulz auf dem kommenden Parteitag ebenfalls gestürzt?“, fragt nun Maischberger. Lafontaine redet aber lieber über seine damalige Rolle. Aufarbeitungsminuten. Seichter Geschichtsunterricht. Als Wowereit erzählt, feixt Lafontaine kurz zu Strunz herüber. Fand er sich nur zu toll? Oder was bahnt sich da an? Der Moderator über den die Süddeutsche noch im September titelte: „Der Spalter“ muss sehr gegen den neben ihm sitzenden Küppersbusch ankämpfen, der hat immer die schnellere Antwort parat. Da hat sich wohl über die Zeiten ohne Kamera ordentlich was angestaut, was jetzt raus will.

Strunz meint, es wäre nicht wichtig, was die Partei von Schulz hält, wichtiger sei doch, was der von sich selber hält. Da gibt Strunz leider nicht viel drauf. Wowereit – na klar – muss Schulz verteidigen, auf ihm hätte doch ein enormer Druck gelastet. Diesen Druck müsste man erst einmal aushalten. Na gut, eine Entlastung des Strunz’schen Vorschlags ist das nicht. „Die Leute verstehen jemanden nicht mehr, der heute A und morgen B sagt“, interveniert Strunz und meint damit die totale Absage und dann die halbe Zusage zur GroKo. Frau Bär will auch mal: Sie fand es nicht in Ordnung von Schulz, vor sechs Uhr am Wahlabend zu sagen, wir machen da nicht mit. Sagt sie ganz energisch.

Weniger Gäste, mehr Einsichten?

Zu viele Stimmen? Wären weniger Gäste mehr gewesen? Küppersbusch schon wieder. Irgendwas über den Bundespräsidenten. Er hat Zeitungen gelesen und die Artikel in einem Bündel schlaksiger Sätze mit Pepp zusammengefasst, die er jetzt nach und nach abfeuert. Es nervt jetzt doch schon sehr. „Was will eigentlich das Volk? Im Wesentlichen doch eine Entscheidung!“, weiß Unternehmerin Bschorr. „Der Wähler in der jetzigen Situation glaubt an gar nichts mehr.“ „Klar“, weiß Strunz. Deshalb hätten ja alle Angst vor Neuwahlen, weil es für die Zauderer eine große Klatsche gäbe. Im würde das aber offensichtlich gut gefallen.

Ein altes Wrack im Frack?

Hat Merkel den passenden Moment verpasst, abzutreten?, fragt der nächste Einspieler. Die Partei müsse laufen lernen auch ohne ihr altes Schlachtross, hatte Merkel damals in der kohlschen Kanzlerdämmerung gesagt. „Ich möchte kein halbtotes Wrack sein, wen ich aus der Politik aussteige“, hatte Merkel mal zu einer Fotografin gesagt, weiß Maischberger. „Hat sie den Zeitpunkt verpasst?“, fragt die Moderatorin so keck, wie es sich die Kanzlerinnen-Moderatorin Anne Will wohl nie getraut hätte. Hintergrunddoppelbild, als wäre man schon besoffen: Merkel und Merkel mit Raute und Raute. Was immer aussieht wie ein archaisches Fruchtbarkeitssymbol hat sich offensichtlich nicht etwa schrecklich abgenutzt, sondern verdoppelt sich von nun an immer weiter, reproduziert sich, bis der Arzt kommt. Es ist eine simple Frage, nur nicht für die ARD. Da wird man schnell zum medialen Mut-Moderator.

„Aber es gibt leider keine Nachfolger“, weiß wieder Wowereit. Irgendwo in Irgendwo hat irgendeiner gerade seinen Fernseher aus dem Fenster geworfen. Man hört den Knall in Braunschweig ebenso, wie in Erlangen oder in Sonstwo. Maischberger lässt laufen, was aber leider genauso öde ist, als würde sie wie sonst immer dirigieren. Diese Sendung wäre insgesamt glaubwürdiger, wenn der Tisch voll stehen würde mit jeder Menge angetrunkener Alkoholflaschen, Drogenkrams und sonst was. Dann wäre zumindest deutlicher, warum das alles so klingt, wie es nun mal klingt. Oder liegt es doch an der späten Uhrzeit und die Zuschauer sind nur alle schon angesoffen? Der Mut hat sich nach einer Überschrift und einem Statement schon versendet.

Die Sendung verliert sich, Küppersbusch merkt sich Zeitungsüberschriften, die selbst Vielleser überblättern. Toll! Maischberger trägt einen tropfenförmigen Bernstein am Hals, vielleicht hilft es. Mal kurz googlen. Genau: Bernstein soll Heilstein für Lebensfreude und Optimismus sein. OK, Wunsch ist Wunsch liebe Fee aus dem Fernsehen. Bär ist mittlerweile bei Theo Waigel angekommen. Sie erinnern sich vielleicht an den Augenbrauenbuschigen. Ach Du je, wie rührselig.

Wowereit bringt die Flüchtlinge ins Spiel, die „verfassungsfeindliche Obergrenze“. Er hat eben trotz gutem Aussehen nichts gelernt. Strunz darf: „Messen wir doch Söder mal daran, was er gesagt hat. Dass sind doch Themen, wo die Wähler sofort mitgehen.“ Schön doofer Satzanfang von Maischberger: „Ich finde, wir haben jetzt gut herausgearbeitet …“ den Rest sparen wir uns hier.

Die Schlagwortgehudel von der Fan-Frau

Bschorr sagt was von „Bedürfnisprüfung“. Sagt was von so und so viel Milliarden 2030. „Wir brauchen höllisch viel Geld für Bildung. (…) Unsere Köpfe sind unser Rohstoff. (…) Mittelstand steuerlich entlasten. (…) Mehr Netto bei den Arbeitnehmern. (…) Senkung der Arbeitslosenbeiträge.“ Lafontaine findet das alles allenfalls märchenhaft. Er spricht von einem „Hartz-4-Lohndumping –System“, das müsse weg, „das wäre mal eine Aufgabe. (…) Beiträge weiter senken, die Arbeitslosenkassen weiter ausplündern“ wäre falsch.

Küppersbusch weiß wieder was von linken Mehrheiten irgendwann damals. Weiß jeder, interessiert aber doch keinen mehr. War auch nicht knackig genug vorgetragen. Wowereit hat immerhin die angenehmste Stimme. So ein warmer schnoddriger Bariton passt zur späten Stunde. Schön. Aber was hat er gesagt? Nichts hängen geblieben, was man nicht schon hunderte Male gehört hätte. Irgendwas sei ein Thema der SPD. Aber was Themen der SPD sind, kann doch niemand mehr sicher sagen. Nicht einmal die SPD selbst, wie Wowi eindrucksvoll demonstriert.

Es sollen die profitieren, die es finanzieren?

Was ist eigentlich die Position der Union, will Maischberger noch von der Runde wissen. „Es sollen auch die profitieren, die das alles finanzieren“, meint Frau Bär. Ein Satz wie aus dem FDP-Programm, und in der Union mittlerweile ein klarer Ausweis für Radikalisierung in der Realität. Ein Hochschachern des Mindestlohnes zwischen den Parteien, warnt sie allerdings, das führe doch zu nichts. Aber auch diese Vorlage wird nicht aufgegriffen. Es würde ja Millionen bewegen, wortwörtlich. Nur ein „Man kann einen Euro nur einmal ausgeben.“, weiß Maischberger dazu. Bauernweisheiten, während der Hahn auf dem Mist längst pennt. Es ist Null Uhr irgendwas. Gleich vorbei.

Küppersbusch lässt Strunz immer noch nicht gerne zu Wort kommen. Freut sich mit Maischberger, dass es gelingt zu stören. Hier wollen noch zwei auf der Zielgeraden auf Kosten von Strunz den Unsympathenpokal gewinnen. Für Maischberger ist es ja ein Wanderpokal. Lafontaine sagt, es hätte System, wenn die Linke in den Medien immer zu kurz komme. Lügenpresse ist jetzt Lückenpresse. Hatten wir aber auch schon mal bei TE als Headline, oder? Küppersbusch sagt: „Pegida!“ Und „Ramelow.“ Und meint irgendwas damit. Geschenkt. Lafontaine meint: „Wer von unseren Zuschauern weiß schon, das in Österreich der Rentner im Durchschnitt 800 Euro mehr hat.“ Stimmt, wissen sicher nicht viele. Lafontaine meint, wenn sie es wüssten, gäbe es eine andere Wahlentscheidung. Jeder meint irgendwas, aber wer meint es gut? Fragt sich der Zuschauer allerdings längst nicht mehr.

Spät kommt es, aber es kommt

Strunz‘ Sorge ist, dass die Sorgen der Leute nicht mehr von der SPD oder der Linken verstanden werden, „dann eben von der AfD“. Denn die vermag es im Moment offensichtlich, diese Ängste und Sorgen zu adressieren. Die Wähler der AfD seien auch nicht doof oder rechtsradikal, fügt er noch an. Das kommt spät, aber es kommt. Wäre es vorne gekommen, hätte es vielleicht Einsichten erzwungen.

Dabei hatte sich Küppersbusch doch so angestrengt, trotzdem darf Claus Strunz den schlauen Absatz des Abends in die ausgehende Sendung sagen: „… weite Teile der Gespräche heute Abend verdeutlichen für mich, dass wir keinen Schritt weiter sind. Es wird wieder ein Kuddelmuddel. (..) Am Ende des Tages werden die Leute das Gefühl haben, unsere Probleme werden hier gar nicht richtig bearbeitet. Wir haben keine Anwälte für unsere Sorgen mehr in der großen Politik.“

Obwohl noch ein paar kamen, darf hier einmal jeder weitere Schlusssatz ruhen. Sacken lassen. Die Kirsche auf der Geschwätztorte also von Claus Strunz. Nun gut.

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