Deutsche Abhängigkeiten von russischem Gas auf null reduzieren – für immer. Es ist ein starkes Statement, zu dem sich Annalena Baerbock während ihres Besuchs in Kiew hinreißen ließ. Ihren Auftritt diskutieren „Welt“-Redakteur Robin Alexander, „Tagesspiegel“-Kolumnistin Sabine Rennefanz sowie der Moderator und Schauspieler Bernhard Hoëcker. Robin Alexander steht voll hinter seiner Außenministerin. Dass man „Abhängigkeiten“ reduzieren solle, sei doch richtig. „Wer könnte denn dagegen sein?“ Doch die Absolutheit des Ausspruchs kritisieren seine Mitdiskutanten.
Sabine Rennefanz äußert Verständnis dafür, dass Baerbock sich unter dem Eindruck ihres Besuchs in Butscha zu solchen Aussagen hinreißen haben lassen könnte. So seien sie jedoch problematisch für eine Außenpolitikerin, stellt sie klar. Auch Hoëcker meint vorsichtig: „Ich glaube nicht, dass sich in zwei-, dreihundert Jahren noch jemand auf diesen Satz bezieht.“ Er verstehe jedoch, was Baerbock sagen wolle – und das sei auch richtig. „Wir wollen uns unabhängig machen.“ Dass Baerbock gereist sei, sei richtig: Damit habe die Scharade um die Trips deutscher Politiker nach Kiew endlich ein Ende, kommentiert Rennefanz erleichtert. Scholz jedoch habe seinen Zeitpunkt für eine Reise verpasst – und das diplomatische Hick-Hack zwischen Kiew und Berlin habe international genug Reputationsschaden angerichtet. „Das hat so ’ne ganz absurde Dynamik erreicht – das hätte nicht so sein müssen“, meint Rennefanz.
Da ist selbst Maischberger überrascht. Doch Lang unterstreicht: „Das sollte ein Komplett-Ausstieg und auch ein dauerhafter sein.“ Damit schütze man „Klima, Zukunftsfähigkeit und unsere Demokratie“. Die Grünen-Chefin fordert mal eben einen schnellen Gasausstieg. „Soweit es sich um Energieträger handelt, ist das sicherlich ein Thema, über das man reden kann. Gas ist aber auch ein Rohstoff.“ Merz: Würde Deutschland auf Gas als Rohstoff verzichten, würden wir „weite Teile unserer Industrie verlieren“ – „das wäre für hunderttausende Arbeitsplätze das Ende“. Lang bekräftigt daraufhin nochmal, aus „russischem Gas aussteigen“ zu wollen – sie versteht scheinbar gar nicht, was Merz ihr erklären will.
„Nochmal“ stellt der CDU-Chef den Unterschied zwischen dem Energieträger und dem Rohstoff Gas dar. Merz sagt: „Ganz raus wird schwierig. Wir sollten es tun, sobald wir es uns mit Ersatzlieferungen erlauben können.“ Lang hingegen zeichnet ein energiepolitisches Traumbild mit den von der Ampel proklamierten „Freiheitsenergien“. Der totale Erdgasausstieg ist für die Grünen-Chefin ein Projekt der energiepolitischen Unabhängigkeit. Wie Deutschland den dritten „Ausstieg“ aus einem zentralen Energielieferanten und einer relevanten Ressource stemmen soll, weiß Lang selber nicht so richtig – sie spricht von Abschaffung der Abstandsregeln für Windräder in NRW und einem „Turbo“ für ihren Ausbau. Das ist alles reichlich unkonkret.
Eine von Maischberger avancierte Verbindung des Zwiegesprächs zur Regierungsbildung in Schleswig-Holstein und der Wahl in NRW lässt sich nicht von der Hand weisen – nicht zuletzt, weil Ricarda Lang in der Runde „Jamaika“ im Norden eine Absage erteilt und sich klar für Schwarz-Grün positioniert. Auch bei den Grünen in Düsseldorf, so scheint es zumindest nach Langs Auftritt, wäre man einer Koalition mit der CDU zumindest nicht ganz abgeneigt. Wenige Wochen vorher klang Merz noch schärfer, als er im Plenum des Bundestages „feministische Außenpolitik“ aufgriff. „Abwertend“ habe er nicht reden wollen, beteuert er – er verstehe auch gar nicht, was das überhaupt sei, halte es aber nicht für „Gedöns“.
Er sei jetzt von feministischer Außenpolitik überzeugt, bestätigt er kurz darauf – Merz biegt sich bis zum Brechen, um schwarz-grünen Koalitionen den Weg zu ebnen, scheint es. Aber wenigstens geht es mal nicht um die immer gleichen Themen: „Ich bin total dankbar, dass wir mal über was anderes geredet haben“, sagt selbst Maischberger. Nach einem kurzen Segment mit der Dreier-Runde, in der „Tagesspiegel“-Kolumnistin der Debatte um Verteidigungsministerin Lambrecht Sexismus attestiert – natürlich werde sie nicht als Politikerin, sondern als Mutter und Frau kritisiert -, wendet sich die Moderatorin ihrem letzten Gast des Abends zu.
Dohnanyis Ausführungen sind historisch begründet – ob er damit noch mit der Gegenwart Schritt halten kann? Denn die Situation ist heute doch anders als vor 80 oder 40 Jahren. Dennoch sind die Ausführungen des Westen- und Nato-Kritikers Dohnanyi von Wert für die Talkshow – weil sie eben die Meinung von vielen Menschen in Deutschland widerspiegeln. Das stellt auch Sandra Maischberger am Ende einer vielseitigen Talkshow fest, die von schwarz-grünen Annäherungen und Kollisionen von Bullerbü-Politik und Realität geprägt war – und inhaltlich tiefgehend und bereichernd 70 Minuten füllt.