Tichys Einblick
Drumherum-Gerede am Mittwochabend

Bei Maischberger: Der Brei ist heiß

Schnell wird dem Zuschauer klar, warum solche Formate Talk-„Show“ heißen. Selten war ein Wort treffender gesetzt. So ziemlich alles andere wäre spannender als diese Sendung, dieser Tanz um den heißen Brei. Aber egal, da müssen Sie jetzt durch. Von Michael Plog

Screenprint: ARD / Maischberger

Dass der „Islamische Staat“ das Attentat von Solingen für sich reklamiert, hat in den vergangenen Tagen die Schwerpunkte im politischen Diskurs verschoben. Auch bei Maischberger am Mittwoch ist dies spürbar. Die Debatte geht weg vom Migrationsproblem und hin zur allgemeinen Terrorgefahr.

Plötzlich sind nicht mehr die offenen Grenzen das Thema, die große Anzahl „Geflüchteter“, von denen man weder Namen noch Herkunft noch Alter noch irgendetwas weiß. Und die einfach hierbleiben dürfen, wenn sie sich nur ein bisschen gegen die Abschiebung wehren.

Es geht auch nicht um die sprunghaft gestiegene Zahl der Messerangriffe in Deutschland (+42,6 Prozent im Jahr 2023 allein in Nordrhein-Westfalen, Quelle: Tagesschau). Nein, plötzlich geht es nur noch um das ganz große Terror-Rad. Es sind keine fünf Minuten vergangen, da spricht Kerstin Palzer (ARD Hauptstadtstudio) als Erste von „den Terroristen“, die „erzielen, was Sie wollen“. Und Podcasterin Helene Bubrowski („Table Briefings“) zieht sogar eine Parallele zwischen Solingen und dem 11. September 2001.

Solingen. Das Attentat, bei dem drei Menschen getötet und acht teils lebensgefährlich verletzt wurden, soll Prof. Peter Neumann vom King’s College London einordnen. Maischberger stellt ihn als Terrorismusexperten vor, vergisst aber zu erwähnen, dass er eigentlich sehr viel mehr ist. Neumann ist aktives Mitglied der CDU und war sogar im achtköpfigen „Zukunftsteam“ des Armin Laschet während dessen Kanzlerkandidatur zur Bundestagswahl 2021.

Neumann hat in den vergangenen zehn Monaten in Westeuropa 29 dschihadistische Anschläge gezählt, ungefähr viermal so viel wie im ganzen Jahr 2022. Und er hat keine guten Nachrichten: „Ich bin fast vollständig davon überzeugt, dass da noch mehr kommt.“ Ganz vorsichtig spricht er auch das Migrationsproblem in Deutschland an, sein Unbehagen währenddessen tropft geradezu aus der Standleitung nach London. Und er wird auch sofort zurückgepfiffen. Für ARD-Frau Palzer ist noch alles soweit im Lot. Also halbwegs. Also fast. Von einem Migrationsproblem zu sprechen, „halte ich für ein bisschen übertrieben. Es ist kein Notfall, dass man sagen kann, das Land geht unter.“

Olaf Scholz’ Trauershow in Solingen
Die Parole des Tages lautet „Zorn“
Maischberger lässt Kanzler Scholz einspielen, der in einem Interview „zornig“ über Solingen ist und dem „der Kragen platzt“, wie er sagt. Palzer kritisiert das: „Ich finde, ihm platzt in aller Ruhe und mit einer gewissen Distanz der Kragen.“ Dass sie damit ungewollt auch ihre eigene Reaktion wenige Sekunden zuvor konterkariert, fällt ihr erkennbar nicht auf.

Schon jetzt, es sind nur wenige Minuten Sendezeit vergangen, wird dem Zuschauer klar, warum solche Formate Talk-„Show“ heißen. Selten war ein Wort treffender gesetzt als bei solch jämmerlichem Spektakel. Eine Show. Und eine ziemlich schlechte noch dazu. Ich könnte Ihnen jetzt lieber von meinem superflauschigen Kater Dooley erzählen, wie er den ganzen Tag draußen in den Blumen-Rabatten herumfläzt, oder von dem Gründerzeitstuhl, den ich gerade restauriere. Alles, wirklich alles wäre spannender als diese Sendung. Aber gut, wir müssen weitermachen. Sie haben hier schließlich für Maischberger bezahlt (haben Sie doch, oder?)

Kommen wir zu Cherno Jobatey. Der Turnschuh-Moderator aus den späten Neunzigern guckt die ganze Zeit ziemlich betroffen. Das kann er super. Betroffenheit ist seine große Stärke. Dazu muss man wissen, dass „Tschernobyl“, wie ihn seine Freunde nennen, einst sogar eine Buchstabensuppe zum Anlass nahm, eine Sendung zu verlassen und deren Ausstrahlung jahrelang (!) zu untersagen („Zimmer frei“, 1999). Und dass er bei Maischberger den erkennbar eingeschränkten Joe Biden schonmal als „sehr schnell im Kopf“ bezeichnete – naja, geschenkt. Turnschuhe und Betroffenheit gehen immer. Rauf mit dem Mann aufs Podium der Journalisten, die bei Maischberger „alles einordnen und kommentieren“.

Oppositionsführer Friedrich Merz wird eingespielt: Der hat nach Solingen einen Aufnahmestopp für Einwanderer aus Afghanistan und Syrien gefordert. „Das ist Populismus“, wettert Jobatey. Die Sache mit dem Zorn und dem geplatzten Kragen bei Scholz findet er allerdings „richtig gut“. Kein Ausschlag an seinem Populismus-Detektor. Dann ist ja alles gut.

In diesem Duktus geht es weiter. „Trauer, Wut und ein Ohnmachtsgefühl“ empfindet Finanzminister Christian Lindner nach Solingen. „Aber davon dürfen wir uns nicht gefangennehmen.“

Einschub: Ich möchte an dieser Stelle in aller Form dafür um Entschuldigung bitten, dass ich Sie mit derart nichtssagenden Floskeln langweile. Aber was soll ich tun? So war die Sendung!

An handfesten Aussagen kommt von Lindner nur dies: „Es muss auch abgeschoben werden nach Syrien und Afghanistan.“ Und: „Der Magnetismus des deutschen Sozialstaats muss beendet werden.“ Er meint: Keine Sozialleistungen mehr für abschiebepflichtige Asylbewerber und Flüchtlinge, die rechtswidrig aus einem anderen EU-Land nach Deutschland weitergereist sind.

Rückführungen nach Bundesrecht?
Asyl in Deutschland – Urlaub in Afghanistan: FDP-Stamp will Gesetze anwenden
Jenen Menschen, die ausgerechnet in dem Land Urlaub machen, aus dem sie angeblich geflohen sind, will Lindner das Aufenthaltsrecht entziehen. Maischberger versucht sofort, zu relativieren, aber Lindner sagt nochmal ganz klar: Er meint Menschen, die Urlaub machen, nicht etwa eine Beerdigung besuchen.

Der Bundeshaushalt ist dann noch ein weiteres Thema, auch die schlechten Umfragewerte der Ampelparteien und Lindners Ähnlichkeit mit Gandalf aus Herr der Ringe. Ja, wirklich. Die absurden Details erspare ich Ihnen an dieser Stelle. Nur so viel: Die Gandalf-Posse nutzt Lindner tatsächlich, um sich als möglichen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten ins Spiel zu bringen. Halt, alles nur Spaß, sagt er. Ja, klar …

Dass die FDP, aktuellen Umfragen zufolge, im Osten der Republik teilweise nur noch unter „Sonstige Parteien“ geführt wird, nimmt Lindner sportlich. Ungefähr so sportlich wie Boxer Evander Holyfield, nachdem ihm Mike Tyson gerade das halbe Ohr abgebissen hatte. „Im Osten hat die FDP ein Auf und Ab seit 30 Jahren“, sagt Lindner. Maischberger kontert trocken: „Aber so ein Ab hatten Sie noch nie.“

Lindner beklagt, dass der RBB seine FDP nicht mal mehr in seine Wahlsendungen einladen würde. „Dagegen klagen wir. Der RBB soll über Politik berichten, nicht Politik machen.“ Spätestens jetzt beschleichen den geneigten Zuschauer „Trauer, Wut und ein Ohnmachtsgefühl“. Warum ist eigentlich schon wieder niemand von der AfD eingeladen worden? Die Partei hätte doch zum Thema Migration und Messergewalt bestimmt sehr klare Argumente vorzubringen.

Naja, nächstes Mal ganz bestimmt.

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