Sandra Maischberger will nun klären, was da passiert ist, was aber so richtig keinen Bürger vor den Bildschirmen aufregen wollte. Außer vielleicht, dass man kurz hoch geschreckt ist, so wie man eben aufmerkt, wenn man mal abgleicht, ob die Veränderung wirklich was verändert, einen lausigen Gedanken verschwendet und sich daran dann wieder erschöpft in der geschützten Wohnung aufs bequeme Sofa fallen lässt, um dem Hund den warmen Nacken zu kraulen.
Der Tichys-Einblick-Autor und renommierte Wahlkampfexperte Fritz Goergen hatte ja schnell auf den Punkt gebracht, was daran so langweilt, wenn einer wie Sigmar Gabriel die große Trickkiste aufmacht, nur, um wieder nur sich selbst zu inszenieren. Wieder und wieder: Wir erleben hier eine „inszenierte Schulz-Euphorie“.
Und vom Niedersachsen-Gabriel wird später, wenn überhaupt, ein Stinkefinger in Erinnerung bleiben und eine Pöbelei gegen diese Pegida-Schmuddel-Sachsen. Wenn er nicht als Außenminister noch irgendwo spektakulär eine Gangway hinaufpurzelt. Wie heißt es so schön in diesem Niedersachsenlied?
Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen. Fest wie unsre Eichen halten alle Zeit wir stand, wenn Stürme brausen übers deutsche Vaterland.
Ach Du je. Und nein, stimmt ja auch gar nicht. Denn Sigmar macht jetzt den Schröder: Wenn Stürme aufziehen, geben Niedersachsen fast schon traditionell Fersengeld und retten sich hinter den Deich. Noch ein bisschen Außenminister, dann auslaufen auf dem politischen Parkett und dann husch, husch in die Privatwirtschaft entschwinden, die Erbschaft für den späten Nachwuchs mehren?
Was neben der Mär von den Guten aus Niedersachsen ebenfalls mit dem Teilzeit-Abgang Gabriels beerdigt scheint, ist die Idee einer Rot-Rot-Grünen Koalition unter einem SPD-Kanzler. Die Sache ist zu windig, Gabriel zu erschöpft. Will aber mit erhobenem Haupte von der lauwarmen Herdplatte springen, auch wenn das dann ausschaut, als hätte der Dirigent zwar noch seinen Frack, aber schon keine Hosen mehr an.
Basis-Stimme
Wer ist noch vorgeladen bei Maischberger? Fangen wir mit dem wichtigsten Gast an, das war dieses Mal Susanne Neumann, Gelsenkirchner Reinigungskraft, Neu-SPD-Mitglied und Gewerkschafterin, die damals ihre 15 Minuten Ruhm hatte, als sie Sigmar ausgerechnet bei der „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ schlagfertig den Schneid abkaufte – und nun in Talkshows den Authentizitäts- und Volksnähefaktor besetzen darf. Die dann jenen im eigenen Saft schmorenden Damen und Herren aus den Parlamenten und Medien eine Nähe zum Publikum ersetzen darf, na ja.
Sigmar Gabriel ist nicht dabei, Martin Schulz auch nicht, dafür die SPD-Ministerpräsidentin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, der Passauer CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, die Talkshow-Königin Sahra Wagenknecht von der Partei Die Linke und zwei Journalisten. Der eine ist der Talkshow-Beauftragte vom Stern, Hans-Ulrich Jörges, den anderen kannte niemand, bis sich der WELT-Journalist Dirk Schümer bei Hart aber fair mal einen Strumpf über den Kopf gezogen hatte. Beide haben wohl den selben Optiker oder mindestens eine Affinität zu Harry Potter, das aber nur am Rande.
„Eine Kollegin wird morgen in Rente geschickt, ich hatte noch was zu besorgen“, startet nun Frau Neumann die Runde und kurz denkt man: Oh, könnte doch mal ganz unterhaltsam werden. Und das wird es: „Wenn die SPD eine Arbeitnehmerpartei werden möchte, wieder zurück zu den Wurzeln, egal, wie man es umschreibt, dann muss dieses Führungspersonal ausgewechselt werden.“ Sahra lächelt und weiß wohl genau, dass Frau Neumann bei ihr viel besser aufgehoben wäre. Das ist doch ihre Stammklientel. Wozu also Personalwechsel bei der SPD?
Und was bitte hat, was die gutste Frau Neumann sagt, mit Martin Schulz zu tun? Ausgerechnet der lang gediente EU-Apparatschick mit Kammerdiener soll die SPD wieder zur Arbeitnehmerpartei machen? So viele Leute kann die SPD nicht anstellen.
Für Andreas Scheuer ist Martin Schulz das letzte Aufgebot der 20-Prozent-SPD. Und dann darf Jörges stolz erzählen, wie das so war mit der Ankündigung von Gabriel, die ja mit großem Getöse im Stern laufen sollte, dann aber irgendwie durchgesickert ist. „Das ist eine hoch komplizierte Operation unseres Chefredakteurs gewesen.“, prahlt er. Der Rücktritt von Gabriel? Schreckt man kurz hoch und denkt, jetzt kommt wirklich mal was Spektakuläres, aber der Altblonde meint die Platzierung der Story in den Medien. Da wurde der Stern wohl mehrfach nach Goslar zu Bier und Mettwurst eingeladen und man beratschlagte wohl zusammen, wie man es machen würde.
Wer hier „Lügenpresse“ schreit, liegt weiterhin falsch, hat aber gerade ein paar neue Argumente für die falsche These erhalten. Sahra lächelt ihr schönstes Lächeln, also so ein bisschen. Sie weiß es ja wie alle anderen auch, wie dringend der Stern neue Leser braucht und dass seit den gefälschten Hitlertagebüchern nichts Spannenderes dazugekommen ist, nur die Werbeseiten immer dicker geworden sind.
Der Entscheidungsfindungsprozess hätte sich im Wesentlichen und entlang eines dreimonatigen Interviews zwischen seinem Chefredakteur und Sigmar Gabriel abgespielt, erklärt Jörges. Hat man sich gerade verhört? Wenn es so wäre, wäre es der echte Skandal, aber die Runde lässt ihm die Aufschneiderei durchgehen. Ist ja keiner da, der intervenieren würde. Und Frau Wagenknecht spielt die Medien mittlerweile so perfekt, die würde einen Teufel tun, sich da jetzt die Hasskappe aufzusetzen.
Ach je, Maischberger fragt, wer den alles eingeweiht gewesen sei, als würde es sich beim Personalwechsel an der Führungsspitze der SPD um irgendeinen geheimen Staatsakt handeln, als stände der Fall der Mauer vor der Tür, aber die Mauern zwischen Volk und Parlament könnte nicht höher sein als in diesem Moment, wo die Medien schon für sich beanspruchen, die Entscheidungen der gewählten Volksvertreter direkt am Mann duchzudeklinieren.
Was für ein Mordsklima muss das mittlerweile sein innerhalb der abstürzenden SPD. Und Frau Maischberger fragt zu recht: Da entscheidet einer, den Parteivorsitz abzugeben, da ernennt einer gleich seinen Nachfolger und macht sich selbst zum Außenminister, „darf man das undemokratisch nennen?“ „Das kann man fast autokratisch nennen!“, rumpelt Plauder-Jörges sofort dazwischen, da haben drei weitere Teilnehmer der Runde aber noch gar nichts gesagt.
„Mir kommt das so vor, als wenn wir jetzt eine Therapeutenrunde sind für Sigmar Gabriel“, haut endlich Andreas Scheuer auf den fehlenden Tisch. „Wir reden jetzt über einen neuen Außenminister in dieser weltpolitisch angespannten Lage, der Außenminister macht, weil er mehr Zeit für die Familie haben will! (…) Diese Begründung ist hanebüchen.“ Und Brigitte Zypries würde jetzt Wirtschaftsministerin werden, die aber schon angekündigt hätte, gar nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen. „Ein Vorruhestandmodell!“
Der Journalist Schümer glaubt, dass es bei einer großen Koalition bleiben wird. Und dann säße Martin Schulz in einer Regierung, der Gabriel noch angehören würde und müsste weiter Gabriels Politik machen. Das findet er schade, er würde Martin Schulz mehr zutrauen. Schümer erinnert an den Ex-Kandidatin Steinbrück, der auch mal als Kanzlerkandidat gestartet war, der nun von der Bildfläche verschwunden ist und für eine holländische Bank arbeitet.
Was hat Schulz mit „sozialer Gerechtigkeit“ zu tun?
Sahra Wagenknecht sagt in irgendeinem Zusammenhang, „das ist völlig unstrittig“ und man denkt auf einem Nebengleis, Mensch, das sagt sie doch öfter in unterschiedlichen Zusammenhängen. Unstrittig ist für sie beispielsweise das die guten Umfragewerte für Martin Schulz diesem kurzzeitigen Hoch geschuldet sind. Man glaube, nun sei wenigstens das größte Desaster abgewendet. Das ist gut: Sigmar Gabriel hat also jetzt schon den Aufkleber „größtes Desaster“ erhalten. Und wenn sich, was wir gerne vermuten wollen, Frau Wagenknecht gelegentlich mit ihrem Gatten Lafontaine austauscht, dann weiß sie besonders gut um die Ränkeschmiede der SPD Bescheid.
„Dauerbefristete Jobs, Leiharbeit, Werkverträge, die alle dereguliert wurden – warum sollen die Arbeitnehmer diese Partei noch wählen?“, fragt Wagenknecht.
„Ist Schulz der bessere, wenn es darum geht soziale Gerechtigkeit durchzusetzen?“, fragt Maischberger. Fragt sie, als wäre „soziale Gerechtigkeit“ nicht die Leiche im Keller der Hartz4-SPD, sondern so was wie ein unbedingter Wille jenseits aller Pöstchenschiebereien, wie sie der Niedersachse Nr. 2 vorgeführt hat.
Ob Schulz nun an die Vor-Schröder-Lafontaine-SPD anknüpfen könne, fragt Maischberger Sahra Wagenknecht. Aber den Zahn zieht ihr die Linke sofort:
„Dafür steht Martin Schulz nicht.“ Der käme vom rechten Flügel der SPD. „Schulz ist nicht jemand, der glaubwürdig für soziale Gerechtigkeit steht. Im Europa-Parlament hat er engstens mit Herrn Juncker eine Europapolitik mitgetragen, die ärmeren Ländern und Ländern, wo die Jugendarbeitslosigkeit bei 50 Prozent liegt, alle Kürzungen diktiert hat. Er hat CETA und TTIP, also die zwei Konzernschutzabkommen, im Europaparlament massiv unterstützt. (…) Das nehmen die Wähler nicht ab, dass die SPD bei Wahlkämpfen plötzlich wieder die soziale Gerechtigkeit entdeckt.“
Sahra Wagenknecht glaubt sogar, dass die Reise von Sigmar Gabriel noch nicht zu Ende ist. Sie vermutet, er hat bei Steinmeier abgeschaut und denke wohl, dass er als Außenminister seine Popularität wieder steigern kann, um dann irgendwann an die Spitze der SPD zurückzukehren.
Wenn man es dann so betrachten will, warum sollte der Wähler das nicht, dann hat Gabriel sich gerade selbst einen Gefallen getan. Er hat möglicherweise auch der SPD einen kurzfristigen Gefallen getan, aber er hat mit Martin Schulz keinen Erneuerer der verlorenen gegangenen SPD-Werte ins Boot geholt. Warum hat er keinen anderen ausgesucht? Weil keiner da war. Es gibt niemanden. Die, die es hätten machen können, hat Schröder weggetreten und als Gabriel dran war, war keiner mehr da, der es hätte richten können.
Schulz wäre mit seiner Erfahrung möglicherweise ein guter Außenminister, stellt die Runde dann – nicht ganz übereinstimmend – fest, „aber kein Kanzler!“, wie Andreas Scheuer anfügt. Und dann spricht Sahra Wagenknecht wieder und wieder von sozialer Gerechtigkeit und man fragt sich, was soll das überhaupt sein? Wo soll die herkommen, wo fehlt sie vor allen Dingen besonders und wer soll sie durchsetzen am Ende des Tages, wo die ersten schon anfangen nach den USA zu schauen, ob da nicht ein Modell entsteht, dass tatsächlich mehr Arbeitsplätze schafft, Menschen in Lohn und Arbeit bringt, eben „soziale Gerechtigkeit“ schafft. Und wie? Indem Trump die nationale Karte spielt. Und damit ist dann plötzlich wieder die AfD beim Wähler die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Nein, so einfach ist es dann Gott sei dank doch noch nicht.
Der Schlusssatz dieser völlig überflüssigen Debatte soll tatsächlich noch mal Hans-Ulrich Jörges gehören, der stellt nämlich fest: Soziale Gerechtigkeit? „Es kommt nicht nur darauf an.“ Ja worauf denn dann? Und was heißt das eigentlich? Wollen wir am Ende das gleiche auch über die Demokratie sagen und zum Schluss dann noch über die Menschenrechte?
Sagen wir es ganz einfach: Politik wird von Menschen gemacht. Menschen werden Politiker. Und diese Menschen verändern sich, wo sie ursprünglich angetreten waren, etwas in der Gesellschaft zum Positiven hin zu verändern. Wie soll aber nun bitte schön an einem – Entschuldigung – abgearbeiteten und abgehalfterten Pleiten-Pech-und-Pannen-EU-Politiker (Brexit und Co.) wie Martin Schulz das Potenzial haben, etwas zum Positiven hin zu verändern?
„Schulz gleichauf mit Merkel!“, lauten die Schlagzeilen heute früh. Aber wer, bitte schön, soll daran irgendetwas beruhigend finden? Oder es auch nur glauben?