Tichys Einblick

Bei Maischberger: Corona für immer?

Die Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber: Lauterbach und seine Kanzlerin wollen einen langen harten Lockdown. Vorsichtig dürfen auch Kritiker zu Wort kommen, als Ventil für den wachsenden Unmut darüber, wie ein Land langsam aber stetig zu Grunde gesperrt wird.

Screenprint: ARD/maischberger

Vor genau einem Jahr wurde in Süddeutschland der erste mit Corona-Infizierte Fall bestätigt. Zwölf Monate Leben und Sterben mit der Pandemie. Zehn Monate unter stetig zunehmenden Beschränkungen, unterbrochen von kurzen Sommer- und Herbstmonaten. Und beim virtuellen Strohhalmziehen in der TE-Redaktion hat es mich erwischt: Maischberger gucken.

Drei Journalisten am Pult, zwei Politiker und ein Virologe im Sesselchen, mit Sandra Maischberger also aus sieben verschiedenen Haushalten Personen im Fernsehstudio, um über Corona-Maßnahmen und einige Ereignisse der Woche zu sprechen. Lohnt sich das gefahrvolle Unterfangen?

Claus Strunz war gefühlt das letzte Mal zu Gast in einer ÖR-Talkshow, als der Präsident der USA noch Barack Obama hieß. Weil er jetzt wieder bei BILD präsent ist, hat man ihm wohl endlich auch seine harten Fragen an Angela Merkel im Kanzlerduell mit Martin Schulz verziehen, die ihn so lange Jahre in Ungnade haben fallen lassen.

Der Verlierer der Woche sei für ihn Bodo Ramelow. Der Ministerpräsident von Thüringen fand sich neulich abends in einer geselligen Telefonkonferenz wieder, bei der auch Journalisten zugegen waren. Redselig und bildlich gesprochen offenherzig wie ein Exhibitionist im Park erzählte Herr Ramelow darin von „dem Merkelchen“ und dass er während Ministerpräsidentenkonferenzen schon mal gerne zehn Level des bei kleinen Mädchen beliebten „Candy Crush“-Spiels auf dem Handy zockt.

Verhöhnt habe Ramelow – sich selbst, das Amt, die Minsterpräsidentenkollegen, die Kanzlerin, die Menschen, die im Lockdown festsitzen, die Angehörigen von Verstorbenen, die Erkrankten, so Claus Strunz.

Eva Schulz, Journalistin beim ÖR-Format FUNK kann da erwartungsgemäß über den Mann von BILD nur lachen. Es gäbe doch genug Beispiele, wo Politikerinnen(!) im Bundestag aufs Handy schauen, Bodo Ramelow sei eher naiv im Umgang mit der „Clubhouse“-App gewesen. Ach so. Es ist nur blöd, dass Ramelow sich verplaudert hat. Dass er während wichtiger Sitzungen geistig abwesend ist und bunte Süßigkeiten puzzelt, lässlich. Wer gendert, verzeiht eben, wenn es denn eine Linke ist. Denn konsequent gendert Frau Schulz Wörter, hinter denen sie einen Mann vermutet, und das sind viele. Das hat auch Vorteile: Man versteht sie nicht so richtig. Statt der drei Journalisten vielleicht doch mal drei richtige Malocher einladen, die die Coronamaßnahmen und ihre jeweilige Woche im Lockdown auf ihre Weise einordnen. Man würde sie trotz ungeübter Zunge verstehen, was bei Frau Schulz nur teilweise der Fall ist.

Auch der TV-Moderator Cherno Jobatey kann nicht verstehen, wie Ramelow da so wenig Profi ist, aber plädiert für mehr Nachsicht: bei zehn Stunden andauernden Sitzungen, wer da durchgehend konzentriert sei und da noch nie zwischendurch auch mal am Handy gezockt habe, solle den ersten Stein werfen. Jaja, wer kennt das nicht. Ich ertappe mich beim Maischberger gucken auch selbst dabei, wie ich geistig „Plague Inc.“ auf meinem Handy aufrufe. Ich leite aber auch kein Bundesland und treffe keine Entscheidungen über die beruflichen Existenzen von Millionen.

Gewinner der Woche? Nun darf Cherno Jobatey durchstarten. Für ihn ganz klar Claus Madsen, parteiloser Oberbürgemeister in Rostock, der zeigt, wie es gehen kann. „Der macht einfach was!“, Jobatey ist begeistert. Claus Madsen, ehemaliger Möbelverkäufer und Politik-Quereinsteiger ist es gelungen, Corona in Rostock in den Griff zu bekommen: die 7-Tages Inzidenz liegt dort konstant unter 50. Mit Willen und konsequenter Planung ist es offensichtlich machbar.

„Der Lockdown ist die Verzweiflungstat der Hilflosen“

Gegen das Bild des Machers (Madsens) steht das Bild der Kanzlerin, so Sandra Maischberger. Die habe mit der Bundesregierung auch einen klaren Weg und will besonders streng sein. Strunz fragt sich, wie klug es sei, ständig die Dosis der Verschärfungen und Einschränkungen stetig zu erhöhen, anstatt mal die Frage nach dem eingesetzten Medikament bzw. der Strategie zu stellen. Man spreche von Hotspot-Strategien, aber es sind gar nicht die wirklichen Hotspots gemeint: die Altenheime, Schulen. Ihm komme die Politik in Deutschland vor, „dass wir drei-vier Geisterfahrer zur gleichen Zeit haben und man sperrt aber das gesamte Straßensystem in Deutschland“. Merkels Satz „Es bricht mir das Herz“ käme bei den Menschen daher eher zynisch rüber und „nicht so warm, wie er gemeint ist“. Claus Strunz zwischen Kanzlerinnen-Kritik und Kanzlerinnen-Emotionsübersetzer: Selbst für einen Jean Claude van Damme wäre dieser Spagat sehr schmerzhaft.

Eva Schulz spricht einen der klaren Sätze des Abends: Angela Merkel wisse genau, wie sie wirkt, wenn sie emotional wird.

Wie es seit einiger Zeit so üblich ist bei Maischberger, geht der Schwenk von der Journalistentafel hinüber zur Sesselrunde – wo Epidemiologe Hendrick Streeck und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach warten. Der eine steht für „mit der Pandemie leben“, der andere für „möglichst alle einsperren“. Wer schneidet Ihnen während dieser Zeit eigentlich die Haare, während ich, Tom, Dick und Harry in den Fön schauen? Sandra Maischberger zieht es aber vor, nicht nach den akkuraten Frisuren zu fragen und ein Video von Christian Drosten einzuspielen, der darin von möglichen 100.000 Corona-Infektionen am Tag spricht, Zahlen, die er in diesem Frühjahr/Sommer heraufziehen sieht.

Aber die Infektionszahlen gingen doch runter, was meint denn der Lieblingsvirologe von Spiegel und Merkel? Naja, die Zahlen gingen runter, muss auch Karl Lauterbach zugeben, aber! Aber im Frühjahr und Sommer wird das Wetter wieder besser und die Menschen gleich wieder unvorsichtig, frech ohne Masken. Und dann ist da auch noch die Corona-Mutante – entweder die aus Großbritannien oder die südafrikanische oder die aus Brasilien: Das kann er, der Lauterbach: Kaum ist eine Gefahr kleiner, schwups, die größere finden.

Streeck hält dagegen: Drosten rede nur davon, was passieren würde, wenn alle Maßnahmen nicht mehr eingehalten würden. Dann könne man auf solche Zahlen von 100.000 am Tag kommen. Die Menschen würden nach dem Lockdown nicht alle Vorsichtsmaßnahmen fahren lassen, zu tief der Schock und die antrainierte Furcht. Zwischenzeitlich seien sogar bis zu 5.000 Mutationen des Sars-Cov Virus entdeckt worden, das sei nicht ungewöhnlich und auch nicht zwingend gefährlich. So gehen in England, Irland, Dänemark die Infektionszahlen auch mit der neuen britischen Mutante zurück, so denn die Maßnahmen wie harter Lockdown eingehalten werden.

Sogar drei der Impfstoffe helfen bei der britischen Variante, bei der südafrikanischen und brasilianischen immerhin zwei. Vielleicht. Nur kurz. Man weiß es nicht so genau. Lauterbach klingt da etwas im Nebel stochernd. Streeck beruhigt und Lauterbach erschreckt: Bei all den vielen Mutationen, die sich neu bilden, könne es sein, dass es am Ende auch welche gibt, wogegen man dann auch nicht mehr impfen könne. Man hört es ganz laut zwischen den Zeilen, dieses hätte, würde, könnte, ein Albtraum ohne Ende – dieser verschärfte Lockdown wird ewig bis endlos dauern, wenn man nur Karl Lauterbach eine besonders fiese Mutante finden lässt.

„Die EU hat moralisch recht, AstraZeneca rechtlich recht“

Auf den aktuellen Streit zwischen EU und Impfstoffhersteller AstraZeneca angesprochen und wer denn nun recht habe, antwortet Lauterbach, dass die „EU moralisch recht hat, AstraZeneca rechtlich“. Weil das wohl nicht nur bei mir so ankommt, als habe ein Fünfjähriger eine Geschichte für den „Paulaner-Garten“ geliefert, hört man das freundliche Lachen von Streeck und Maischberger dann auch sehr deutlich. Die USA und Großbritannien haben drei Monate früher bestellt und das rechtlich fixiert – wer zu spät kommt, den bestrafen die Sterne. Aber die geliebte EU kann nichts verkehrt machen.

Und während immer mehr Bürger in immer kleinere Käfige gesperrt werden, sagt Maischberger scherzhaft: Immer, wenn sie Zug fahre, begegne sie dabei Karl Lauterbach. Ähnlich hoch ist übrigens die Wahrscheinlichkeit eine Talkshow zu erwischen, in der Karl Lauterbach gerade mal nicht sitzt. Beide, Lauterbach und Streeck, seien so viel gereist, haben so viele Menschen getroffen, und keiner habe sich angesteckt.

Überleben ist also möglich – warum aber dürfen nur noch Promis reisen? Der Ärger darüber explodiert. In den Niederlanden fanden an mehreren Tagen und Nächten Krawalle statt. Claus Strunz möchte nicht ausschließen, dass man solche Bilder auch in Deutschland zu sehen bekommen könnte und verweist auf das Bild vom ARD Deutschlandtrend, wo die Zufriedenheit mit den Maßnahmen deutlich erkennbar abnimmt. Die Politik in den Niederlanden liefere mit den Ausgangsbeschränkungen einen Pseudoanlass.

Ach ja, und dann kommt noch Grünen-Chef Robert Habeck, keine Talkshow sei ohne ihn und wenn, dann bitte mit seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock.

„Kanzleramtsminister Braun und Frau Merkel konzentrieren sich auf die Wirklichkeit und konzentrieren sich nicht mehr auf die CDU-Fraktion. Frau Merkel und Herr Braun haben sich von ihrer eigenen Partei komplett entkoppelt. Das ist wohltuend“ sagt Habeck. Genau. Man hatte ja immer schon den Verdacht, dass Angela Merkel in Wirklichkeit ein Parteibuch der Grünen auf dem Herzen trägt.

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